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Protestaktion von Quartierbewohnern der Grünau gegen den Lärm der A 1. Bild: JS

Die Insel der Ruhelosen

Von: Jan Strobel

26. September 2017

Lärmbelastung: Seit 40 Jahren kämpft das Quartier Grünau gegen den Autobahnlärm, der den Alltag der Bewohner prägt und plagt.

Es gibt einen Ort in Zürich, an dem Reden eigentlich zwecklos ist, an dem die Sätze im Lärm wie zerrissene Fetzen von der Zugluft der Lastwagen hinweggefegt werden. An der  Bernerstrasse Nord im Quartier Grünau zu wohnen, bedeutet, die Lebensqualität der Stadt in einem anderen Licht zu sehen. Meistens bleiben in den unteren Stockwerken dieser Häuser die Fensterläden unten. Es gäbe ohnehin nichts zu sehen als die Asphaltpiste der Autobahn A 1, die sich keine 20 Meter vor diesen Liegenschaften ausbreitet.

In der Grünau zu leben, heisst, das Rauschen und Heulen des Autobahnverkehrs immer in den Alltag zu integrieren – und das seit über 40 Jahren, seit die A 1 Richtung Bern in den verkehrseuphorischen frühen 1970er-Jahren gebaut wurde. Und ebenso lange kämpfen die Bewohner des Quartiers wie im gallischen Dorf mit Unterstützung grüner Politiker wie der Gemeinderätin Katharina Prelicz-Huber für die Eindämmung dieses Lärms. Vergangene Woche lud der Quartierverein zu einem Pressetermin, um über den Kampf mit dem Bundesamt für Strassen (Astra) um Sofortmassnahmen zu informieren. Als sichtbares Zeichen der Wut versammelten sich auf der Passerelle über der Autobahn Quartierbewohner und hoben Schilder in die Höhe, um den hupenden Autofahrern ihre Verzweiflung entgegenzuhalten: «Lärmschutz jetzt!»

Eine, die ihre Wut teilt, ist Quartierbewohnerin Liliane Brunner, die seit 42 Jahren in der Grünau wohnt und miterlebt hat, wie sich der Alltag verändert hat. Dabei hat sie noch Glück. Zusammen mit ihrem Mann wohnt sie in dem lang gestreckten Riegelblock aus dem Jahr 1978, den sie hier die «chinesische Mauer» nennen.

«Bürger zweiter Klasse»
Der Block liegt etwas entfernt von der Autobahn, das Rauschen ist hier noch erträglich, zumindest, wenn gerade nicht zu viele Cars und Lastwagen über die A 1 donnern. «Wir in der Grünau sind Bürger zweiter Klasse», sagt Brunner. «Verwaltungsinterne Probleme werden auf unserem Rücken ausgetragen.» Und während Schwamendingen mit der Einhausung in den Genuss von Lärmschutzmassnahmen komme, bleibe die Grünau einmal mehr auf der Strecke, keine Lärmschutzwände, keine Abklassierung auf 60 km/h, keine lärmarmen Beläge, und das, obwohl die Pläne beim Bund in der Schublade liegen würden. 2010 hatte die Stadt Zürich Einsprache gegen ein Ausführungsprojekt erhoben, insbesondere aufgrund umwelt-, lärm- und enteignungsrechtlicher Einwände. Das Bundesgericht wies 2015 die gesamte Planung zur «Neubeurteilung» zurück. Immerhin will der Bund ab 2019 das «Teilprojekt Schallschutzfenster» realisieren. Liliane Brunner glaubt indes nicht, dass sich in absehbarer Zukunft etwas ändern wird. Sie habe, sagt sie, bereits zu viele Politiker erlebt, die mit vollmundigen Versprechen im Gepäck ihr Quartier besucht hätten.

Als sie 1975 in die Grünau zog, galt die Gegend als Vorzeigeprojekt des modernen Städtebaus. «Doch es ging nicht lange, bis eine Abwärtsspirale das Quartier, eingeklemmt zwischen Autobahn, Europabrücke und Limmat, erfasste», erzählt sie.

Die Autobahn veränderte schleichend alles. Mit zunehmender Nähe zum Lärm stieg der Mieterwechsel. Die Bevölkerungsstruktur begann sich zu verändern. Bereits 1976 war vom «inselartig von der Umwelt abgeschnittenen Quartier» die Rede, «geplagt von Lärm und üblen Gerüchen». «Und irgendwann begannen auch Drogendealer und Obdachlose diese Insel für sich zu entdecken», erzählt Brunner. Bereits damals wurden Lärmschutzmassnahmen diskutiert, welche zusätzlich der Grünau ihr Inseldasein genommen hätten,  beispielsweise eine komplette, begrünte Autobahnüberdeckung. Anzeichen von Desillusionierung zeigte 1978 selbst Samuel Brawand, als ehemaliger Chef der eidgenössischen Strassenbaukommission der «Vater der Nationalstrassen»: «Wir hätten mit den Autobahnen nicht in die Städte gehen sollen», konstatierte er. «Das war ein Fehler.»

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