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Der Zürcher Gemeinderat stand im Schatten der Pandemie. Im April zog er vom alten Ratssaal in die Messehalle 7 (Bild) um. (Bild: PD)

Ein emotionales Politjahr

Von: Jan Strobel

23. Dezember 2020

Das politische Jahr 2020 befand sich auch im Zürcher Gemeinderat im Würgegriff der Coronakrise. Dennoch verloren die Stadtparlamentarier auch andere lokale Themenfelder nie aus den Augen. Das zeigt eine kleine Auswahl an Geschäften, die in den vergangenen Monaten für Diskussionen sorgten.

 

 

Politik in Pandemie-Zeiten
Die Corona-Pandemie zwang auch das politische Leben in der Stadt Zürich zu einem temporären Stillstand. Von Mitte März bis Ende April ruhte der Betrieb im Gemeinderat, ehe er schliesslich seine Sitzungen in der Messehalle 7 in Oerlikon wieder aufnahm. Besonders die wirtschaftlichen Herausforderungen der Krise fanden im Stadtparlament ihren Widerhall. So beschloss der Gemeinderat im September, dem Gastgewerbe und den Organisatoren von Veranstaltungen unter die Arme zu greifen, um die negativen Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Unter anderem sollten Boulevard-Cafés auf öffentlichem Grund die Gebühren erlassen werden. Zu diesem Punkt hatte SVP-Gemeinderat Stephan Iten im Juni eine Motion eingereicht. Überwiesen wurde auch ein Postulat von FDP und SVP, das die Unterstützung von Organisationen von Veranstaltungen forderte, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt oder verschoben wurden.

Im November stand dann der Tourismus im Fokus. Der Gemeinderat entschied, Zürich Tourismus mit zwei Millionen Franken zu unterstützen, und folgte damit dem Stadtrat. Überwiesen wurde auch ein SP-Postulat, das verlangt, die Marketingmittel für Zürich Tourismus vermehrt in Europa einzusetzen.


Demos als Kontroverse

Wie sehr die Pandemie auch das Demonstrationsrecht als Grundrecht tangierte, zeigte sich zum ersten Mal im Nachgang zum 1. Mai. Die Stadtpolizei hatte keinerlei Menschenansammlungen am Tag der Arbeit zugelassen und auch kleine Gruppen aufgelöst. Die AL kritisierte das Vorgehen der Polizei als «unverhältnismässig». Eine schriftliche Anfrage der Partei befasste sich mit dem Thema «Grundrechte in Coronazeiten». Im August sorgte zudem der Entscheid von Stadträtin Karin Rykart, den Demonstrationszug «Marsch fürs Läbe» zu verbieten, für heftige Kontroversen. Kritik kam von bürgerlicher Seite. FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher monierte, in der Stadt Zürich hätten «gewisse gewalttätige Gruppierungen offensichtlich ein Vetorecht, auf das die Sicherheitsvorsteherin eingeht».

Das Velo dominiert

Im Februar drehte sich die Debatte in der Verkehrspolitik um die Velo­initiative und das geplante Veloroutennetz. Und das Veto des Gemeinderats fiel klar aus. Mit 84 Ja zu 33 Nein stellte sich das Stadtparlament klar hinter die Initiative. Dagegen votierten die FDP und die SVP. Sie sahen darin eine einseitige Lösung, die auf Kosten der weiteren Verkehrsteilnehmer umgesetzt werde und die Sicherheit nicht zwingend erhöhe. Am 27. September wurde die Vorlage von der Stadtzürcher Stimmbevölkerung schliesslich klar angenommen. Grundsätzlich war es für Autofahrer erneut ein schwieriges verkehrspolitisches Jahr. Das zeigte sich nicht nur in den Diskussionen um die Gebührenerhöhung für die Blaue Zone; das Stadtparlament lehnte zum Beispiel auch ein SVP-Postulat ab, das forderte, dass sich die Stadt Zürich beim Bund um einen Pilotversuch bewirbt, bei dem Autos bei Rot rechts abbiegen dürfen. Ab Januar dürfen in der ganzen Schweiz Velos bei Rot rechts abbiegen. Abblitzen musste die SVP auch mit ihrem Postulat, in dem sie forderte, Autolenker vor Blitzkästen zu warnen. Die SP kritisierte, die SVP halte offenbar nur dort Regeln ein, wo sie gebüsst werde. Überraschend unterstützen Teile der AL-Fraktion die Idee der SVP.

Verdichtung als Maxime

Im Mai erweiterte der Gemeinderat die Kompetenz des Stadtrats beim Erwerb von Liegenschaften und folgte damit einer Motion der SP-, Grüne- und AL-Fraktion. Die Kauflimite von zwei Millionen Franken wurde aufgehoben. Die Ratslinke nannte die Weisung einen Meilenstein. Durch die Kompetenzerweiterung des Stadtrats werde im heiss umkämpften Markt keine Zeit verloren. Die FDP hingegen sah den Stadtrat als Preistreiber und stellte sich zusammen mit der SVP gegen das Geschäft. Am 27. September nahmen die Stadtzürcher Stimmberechtigten die Vorlage an der Urne an.
Um das Problem der Business-­Appartements drehte sich im Juni eine dringliche Motion der SP, Grünen und AL. Sie forderten darin eine Registrierungspflicht, besonders in Zeiten der Wohnungsknappheit. Der Stadtrat empfahl – ohne Erfolg – die Motion abzulehnen.

Auch der gemeinnützige Wohnraum war wieder eines der grossen Themenfelder. Zum Beispiel im Friesenberg-Quartier im Kreis 3. Im August sprach sich eine Mehrheit im Gemeinderat für die Teilrevision der Nutzungsplanänderung aus. Bis 2050 sollen im Quartier zusätzliche 500 bis 700 Wohnungen entstehen mit bis zu vier Vollgeschossen. Grüne und AL zeigten sich kritisch. Die EVP sprach von «Verdichtungs-Fetischismus».

Träume für die Kaserne

Die fast schon unendliche Debatte um die Zukunft des Kasernenareals beschäftigte unter anderem im Juli den Gemeinderat. Die Grünen forderten den Stadtrat dazu auf, das Zeughausareal und die Kasernenwiese vom Kanton zu erwerben. Die GLP ging mit einer eigenen Motion noch einen Schritt weiter und forderte auch den Kauf des Hauptgebäudes, mithin also des kompletten Areals. Die FDP widersprach: Der Kanton wolle das Hauptgebäude gar nicht verkaufen, «sowenig wie Dänemark Grönland verkaufen will.»  Der Rat einigte sich schliesslich darauf, beide Motionen als weniger verbindlichere Postulate anzunehmen. Der Stadtrat wird voraussichtlich 2024 den Objektkredit für das Sanierungsprojekt zuhanden des Gemeinderats verabschieden.

Wackelnder Sockel

Gesellschaftspolitisch begann das Jahr mit dem «Genderstreit», ausgelöst durch eine Interpellation von SVP-Gemeinderätin Susanne Brunner. Sie hatte sich gegen die Rückweisung ihres Geschäfts aufgrund der nicht «geschlechtergerechten» Formulierung gewehrt. Brunner empörte sich über die «Genderpolizei». Das Büro des Zürcher Gemeinderats empfahl dem Parlament, auf einen Weiterzug ans Verwaltungsgericht zu verzichten. Dem folgte schliesslich das Stadtparlament.

Im September warf die Verwicklung der Familie Escher in die Sklaverei ein kritisches Licht auf die Stadtgeschichte. SP und AL hatten eine historisch-kritische Aufarbeitung gefordert. Schliesslich reichte die AL-Fraktion eine Interpellation ein, welche eine «materielle Wiedergutmachung» und eine «Zusammenarbeit mit Bund und Kanton im Hinblick einer möglichen, an die Schweiz gerichteten, Reparationsforderung» verlangte. Selbst die Verbannung des Escher-Denkmals vom Bahnhofplatz wurde ins Spiel gebracht. AL-Gemeinderat David Garcia Nuñez meinte: «Die Statue gehört ins Museum».

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