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Koryphäe der Rechtswissenschaften: Prof. Hans Giger. Bild: Sacha Beuth

«Ein Impfobligatorium wäre juristisch vertretbar»

Von: Sacha Beuth

25. Januar 2022

CORONA Mit der wegen Omikron steigenden Zahl von Covid-Infektionen kocht auch das Thema Impfpflicht wieder hoch. Eine solche ist in der Schweiz laut Hans Giger (92), Gründer der Kanzlei Prof. Giger & Partner sowie emeritierter Rechtsprofessor an der Uni Zürich, zwar möglich, allerdings mit Einschränkungen.

Obwohl die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli kürzlich gerade Lockerungen bezüglich der Covid-Massnahmen in Aussicht gestellt hatte, wird weiter um eine mögliche Einführung einer Impfpflicht gestritten. In Österreich ist eine solche seit dem 20. Januar Tatsache, in Deutschland wird sie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach gefordert. Aber ist eine Impfpflicht in der Schweiz überhaupt zulässig? Und falls ja, unter welchen Umständen? Die Antwort dazu kennt Hans Giger, emeritierter Rechtsprofessor der Uni Zürich und Gründer der Kanzlei Prof. Giger & Partner.

Wegen der immer stärker um sich greifenden Omikron-Variante fordern gewisse Kreise eine Covid-­Impfpflicht. Kann der Staat wirklich Personen zwingen, sich impfen zu lassen?

Hans Giger: Kommt darauf an, was überhaupt unter dem Begriff «Impfpflicht» zu verstehen ist. Wir müssen hier nämlich zwischen Impfzwang und Impfobligatorium unterscheiden. Ersteres wäre dann der Fall, wenn sich jeder unter Ausübung von direktem Zwang, sprich: mit Anwendung von Gewalt, impfen lassen müsste. Ein solcher Zwang ist in der Schweiz nach jetzigem Recht jedoch nicht möglich, auch nicht mittels Notrecht. Etwas anders liegt der Fall bei einem Impfobligatorium. Bei diesem können Massnahmen getroffen werden, die den Alltag für Ungeimpfte erheblich erschweren und gewisse Tätigkeiten – auch berufliche – verunmöglichen. Bestraft wird dann eine Zuwiderhandlung gegen diese angeordneten Massnahmen, nicht aber gegen die Weigerung, sich impfen zu lassen. Wieweit der Staat dabei genau gehen darf, ist allerdings umstritten. Gemäss Bundesverfassungsrecht kann aber ein solches Impfobligatorium unter gewissen Umständen in der Schweiz angeordnet werden.

Und die wären?

Das Impfobligatorium fällt unter das Epidemiengesetz (EpG). Gemäss Artikel 6, Abs. 2, kann der Bundesrat bei einer besonderen Lage und nach Anhörung der Kantone Impfungen für obligatorisch erklären. Eine derartige Anordnung ist auf gefährdete Personengruppen, besonders exponierte Personen und Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, beschränkt. Auch einzelne Kantone können darauf basierend für ihren Kanton eine solche Anordnung erlassen, wenn nicht zuvor schon der Bund entsprechende Massnahmen beschlossen hat. Für die Einführung einer die ganze Bevölkerung treffenden Impfpflicht bestehen zwei Möglichkeiten. Einerseits gestützt auf Art. 185, Ziffer 3, Bundesverfassung, wonach der Bundesrat die Kompetenz hat, eine zeitlich befristete Impfpflicht für die schweizerische Bevölkerung zu erlassen. Eine solche Anordnung wäre jedoch nur dann möglich, wenn der generelle Schutz der Schweizer Bevölkerung höher gewichtet würde als die von der Anordnung tangierten Grundrechte (zum Beispiel persönliche Freiheit). Andererseits könnte das Parlament eine gesetzliche Grundlage im COVID-19-Gesetz für ein generelles Impfobligatorium schaffen.

Was, wenn man gegen ein Impfobligatorium ist? Kann man dieses auf gesetzlichem Weg auch verhindern?

Im Prinzip ja. Allerdings gibt es bei einer Notrechtsverordnung keine aufschiebende Wirkung. Das heisst, dass in der Praxis wegen der vorgeschriebenen politischen Prozesse das Gesetz durch die entsprechenden Parlamente oder per Referendum erst abgelehnt werden kann, nachdem dessen Geltungsfrist ohnehin abgelaufen ist.

Was ist Ihre Einschätzung? Ist die Möglichkeit eines Impfobligatoriums in der gegenwärtigen Form juristisch vertretbar und sinnvoll?

Wenn eine Ansteckungswelle wie aktuell wegen Corona zu vielen Todesfällen führt, dann ja. Hier kommt die Rechtsgüterabwägung zum Tragen. Und da sind nun mal die Nachteile, die von einer Corona-Infektion für die Allgemeinheit entstehen, höher einzustufen als eine allfällige Entlassung oder Nichtanstellung eines Einzelnen, weil er nicht geimpft ist.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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