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Ein Viren-Sensor mit Zukunft
Von: Sacha Beuth
Wissenschaftlern der ETH Zürich und der Empa ist ein grosser Wurf gelungen. Sie entwickelten ein Messgerät, das die Konzentration von Corona-Viren in der Umwelt schnell und vor allem zuverlässig bestimmen kann. Und es könnte auch bei anderen durch Viren ausgelöste Pandemien eingesetzt werden.
Normalerweise forschen Jing Wang und sein Team an der ETH Zürich und an der Empa daran, wie man Luftschadstoffe bestmöglich messen, analysieren und gegebenenfalls minimieren kann. Doch als im Januar erste Meldungen über das Coronavirus in China die Runde machten, schlug einer von Wangs Mitarbeitern vor, sich doch darauf zu konzentrieren. «Die Idee war erst, eine alternative Testmethode für Spitäler zu entwickeln, da die dazumal gängigen Personentests noch sehr fehleranfällig und ungenau waren», erzählt Empa-Mediensprecherin Karin Weinmann. Das habe sich zwar erübrigt, trotzdem dürfte der neuentwickelte Biosensor noch von grossem Nutzen sein. Das liegt einerseits an seiner geringen Anfälligkeit auf Fehler, da mit dieser Methode nur die jeweils gesuchten Viren beziehungsweise deren RNA-Stränge (Gen-Einzelstränge) aufgespürt und registriert werden und nicht auch die von verwandten Virenformen. Der Sensor verbindet dabei zwei verschiedene Effekte, einen optischen und einen thermischen (= über Wärme).
Es muss exakt passen
Seine Basis bilden winzige Strukturen aus Gold, sogenannte Gold-Nanoinseln, auf einem Glassubstrat. Auf den Nanoinseln werden künstlich hergestellte Gen-Komplementärsequenzen platziert, die zu bestimmten RNA-Sequenzen des Coronavirus passen. Zur Detektion, also Erkennung oder Aufspürung der Viren, nützen die Forscher eine besondere Plasmon-Technologie. Dabei handelt es sich um ein optisches Phänomen, das bei metallischen Nanostrukturen auftritt, wenn sie in Schwingungen versetzt, also angeregt werden. In diesem Zustand verändern sie einfallendes Licht in einem bestimmten Wellenlängenbereich und erzeugen ein sogenanntes plasmonisches Nahfeld um die Nanostruktur. Wenn an der Oberfläche Moleküle (hier: Viren-RNA) andocken, dann ändert sich genau an dieser Stelle der optische Brechungsindex in diesem plasmonischen Nahfeld. Mit einem optischen Sensor, der sich auf der Hinterseite des Hauptsensors befindet, lässt sich dies messen und somit feststellen, ob sich in der Probe die gesuchten RNA-Stränge befinden. Zentral ist dabei aber natürlich, dass nur diejenigen RNA-Stränge vom Komplementär-Rezeptor auf dem Sensor eingefangen werden, die exakt darauf passen.
Hier kommt ein zweiter Effekt ins Spiel: der plasmonische photothermale Effekt (PPT). «Wird dieselbe Nanostruktur auf dem Sensor mit einem Laser einer bestimmten Wellenlänge angeregt, so produziert diese Wärme», erklärt Weinmann. «Nun besteht das Erbgut des Virus nur aus einem einzelnen RNA-Strang. Findet dieser Strang sein komplementäres Gegenstück, so verbinden sich die beiden zu einem Doppelstrang – ein Vorgang, der sich Hybridisierung nennt. Das Gegenteil – wenn sich also ein Doppelstrang in Einzelstränge aufspaltet – nennt sich Schmelzung oder Denaturierung. Dies geschieht bei einer bestimmten Temperatur, der Schmelztemperatur. Wenn die Umgebungstemperatur nun aber viel tiefer ist als die Schmelztemperatur, können sich auch Stränge verbinden, die nicht zu 100 Prozent komplementär zueinander sind. Das kann zu falschen Testresultaten führen. Durch die Wärme des Lasers im Sensor kann aber ein PPT-Effekt erzeugt, also die Temperatur so geregelt werden, dass sich nur noch komplementäre Stränge zusammenfügen.»
Der zweite grosse Vorteil der neuen Messmethode liegt darin, dass sie für praktisch alle Virentypen (und auch Bakterien) eingesetzt werden kann. Wie Tests des Forschungsteams um Jing Wang zeigten, konnte auf diese Weise sogar das sehr nahe mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) verwandte Sars-Virus (SARS-CoV), welches 2003 eine Pandemie ausgelöst hatte, zuverlässig unterschieden werden. «Das heisst, um die Konzentration eines bestimmten Virus zu messen, braucht man jeweils nur den Rezeptor im Sensor anzupassen», betont Weinmann. Angebracht an neuralgischen Stellen, etwa im Hauptbahnhof Zürich oder im Lüftungssystem eines Kreuzfahrtschiffes, könnte eine Virenkonzentration frühzeitig erkannt und schnellere und gezieltere Gegenmassnahmen getroffen werden.
Noch nicht einsatzbereit
Im Moment ist das neue Messgerät dazu aber noch nicht bereit. «Bis es so weit ist, braucht es noch etwa ein Jahr. Vorher sind noch einige Entwicklungsschritte nötig – etwa ein System, das die Luft ansaugt, die Schadstoffe darin konzentriert und die RNA aus den Viren isoliert», erklärt Wang. Feststeht aber schon jetzt, dass der neue Virensensor Zukunft hat. «Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt», ist sich Weinmann sicher.
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