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Madeleine Zehnder steht hinter der Online-Plattform dein Date für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Bilder: PD

Höhenflug und Tiefschlag

Von: Ginger Hebel

08. Februar 2022

Partnerbörse: Sie wollen sich verlieben, mit Haut und Haar. Doch vielen Menschen mit geistiger Behinderung fehlen dazu die Möglichkeiten und Austauschplattformen. Sexgüsi betreibt in der Deutschschweiz die erste Online-Partnerbörse für diese Zielgruppe. Auch die Stadt Zürich bietet Unterstützung auf dem Weg zur Liebe. 

Lisa hat keinen Bock mehr. Sie hat genug von Davids aufdringlicher Art. Sie will ihn nicht mehr sehen. Dabei hatte alles so gut begonnen. Die 30-Jährige war endlich mal wieder verliebt. Über die Online-Partnerbörse deindate.ch haben sich die Zürcher kennen gelernt. Sie schrieben sich kurz und trafen sich schnell. «Warum warten, wenns passt», sagt Lisa. Doch nach dem dritten Date folgte der grosse Streit. David habe ihr befohlen, was sie tun und lassen soll, da platzte ihr der Kragen. David sieht das anders. Er habe es nicht böse gemeint, er wollte nur nicht, dass sie den Zug verpasst. Darum habe er Druck gemacht. Die beiden reden nicht mehr miteinander.

Die Winterthurer Sozialpädagogin Madeleine Zehnder vermittelt und beruhigt. «Gerade in der Kennenlernphase sind Unsicherheiten im Spiel. Wut, Tränen, das ist normal.» Letzten Sommer hat sie den Verein Sexgüsi auf die Beine gestellt. Sie betreibt eine Partnerbörse für Menschen mit geistiger Behinderung – die erste dieser Art in der Deutschschweiz.

Suche liebe, lustige Frau

Dein Date steht exklusiv Erwachsenen mit kognitiven Beeinträchtigungen zur Verfügung und bietet die Möglichkeit einer autonomen Vernetzung in einem geschützten Rahmen. 330 Personen haben sich bereits registriert, darunter viele aus Stadt und Region Zürich, mehr Männer als Frauen, «das ist ein typisches Problem der Partnerbörsen», sagt Zehnder. Zahlreiche Singles wohnen selbständig, andere im begleiteten Wohnen oder im Elternhaus.

Thomas Schürch sucht schon lange nach der Liebe. «Immer allein sein; das ist kein schönes Gefühl», sagt der 41-Jährige. Er ist dankbar für dieses Angebot. «Ich wünsche mir, dass ich eine liebe Freundin finde, die mir gefällt.» Er mag lustige Frauen mit langen Haaren. Bisher sei es leider noch zu keinem Treffen gekommen. «Es braucht Mut und Offenheit», ist er überzeugt. Thomas ist ein unternehmungslustiger Single. Er fährt gerne Ski und spielt Schwyzerörgeli. Auch ist er handwerklich begabt. Er arbeitet im Atelier der Fächerei, ein Betrieb des Chupferhammers, welcher Wohnheime und Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung anbietet. «Die Arbeit macht mir sehr Freude. Ich bin umgeben von guten Leuten.»

Missbrauch vorbeugen

Sexgüsi, der Name klingt wie eine Entschuldigung, soll aber eine humorvolle Anspielung auf ein ernstes Thema sein. «Geistige Behinderung und Sexualität sind in unserer Gesellschaft Tabus. Dabei haben alle Menschen ein Recht darauf, sich zu verlieben und ihre Gefühle auszuleben», sagt Madeleine Zehnder. Mitglieder auf Partnersuche zahlen 14.50 Franken pro Monat für die Nutzung. Sexgüsi wird mit Spenden finanziert. Die Stadt Zürich hat den Verein für den Aufbau der Dating-Plattform mit einem einmaligen Beitrag von 12 000 Franken unterstützt. «Bislang bestand in der Schweiz kein angemessenes Online-Angebot, das es Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ermöglicht, in einem geschützten Rahmen neue Bekanntschaften zu machen. Dein Date schliesst diese Lücke», sagt Debora Komso vom Sozialdepartement Stadt Zürich. Sie betont: «Die Plattform erleichtert die Kontaktaufnahme für vulnerable Personen, die häufig auf Unterstützung bei der sozialen Interaktion angewiesen sind, und beugt Missbrauch vor.»

Madeleine Zehnder möchte die Plattform weiterentwickeln, dafür benötigt es technische Hilfsmittel wie Texte in einfacher Sprache und Darstellungsformen wie Piktogramme, da viele Menschen nicht gut lesen und schreiben können. Um dies zu finanzieren, hat sie ein Crowdfunding gestartet. Sie hilft Interessierten, ein Profil zu erstellen. «Fotos steigern die Chance, einen Partner zu finden.» Die 35-Jährige, die seit acht Jahren in einer Beziehung lebt, gibt den Nutzerinnen und Nutzern auch Flirt- und Dating-Tipps. «Sie fragen mich, wie sie sich verhalten sollen oder was sie beim ersten Date unternehmen können. Sie suchen Absicherung.» Der Status spiele bei der Partnersuche eine untergeordnete Rolle. «Ihnen ist wichtiger, dass jemand gerne Zug fährt, weil dies Mobilität garantiert.»

Ein No-Go beim Daten? «Den richtigen Namen nicht zu kennen. «Hey du» ist keine gute Ansprache», sagt Zehnder. Sie arbeitet seit Jahren mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und weiss: «Viele verlieben sich Hals über Kopf. Sie haben starke Emotionen, entlieben sich oft aber auch schnell wieder und streiten dann umso heftiger.» Wenn es doch nicht klappt mit der Beziehung, sei die Enttäuschung gross. «Dann ist es wichtig, zuzuhören und Halt zu geben.» Gegebenenfalls leitet sie die Personen auch an Fachstellen wie liebi+ weiter. Die Beratungs- und Bildungsstelle zur Prävention sexueller Gewalt und Förderung sexueller Gesundheit in Zürich-Altstetten erhält viele Anfragen. «Wir spüren eine grosse Sehnsucht nach Partnerschaft», sagt Co-Geschäftsleiterin Sylvia Milewski Meienberg. «Dein Date ist ein wichtiges Angebot, denn die Zielgruppe ist stark betroffen von sexueller Ausbeutung und Gewalt.»

Es sei notwendig, mehr Gelegenheiten zu schaffen, damit sich diese Menschen auf Augenhöhe begegnen und treffen können. «Wichtig», betont Madeleine Zehnder, «sei es, Nein zu sagen und auch zu akzeptieren. Das fällt aber generell vielen Menschen schwer». Männern rät sie davon ab, die Frau innert zehn Minuten zwanzig Mal anzurufen und zu bedrängen. «Wer Interesse hat, meldet sich wieder.» Ghosting sei ein verbreitetes Phänomen. Anstatt Stellung zu beziehen, reagieren die Leute nicht mehr – und lassen ihr Gegenüber verzweifelt zurück.

Single Thomas hofft, dass er bald die richtige Frau findet. Er mag Harmonie und Frieden. «Ich streite nicht gerne. Streit führt nie zum Ziel.»

Weitere Informationen:

www.sexguesi.ch

www.liebi-plus.ch

www.deindate.ch

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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