mobile Navigation

News

Stress im Job, Stress in der Beziehung, Stress überall. «Viele Männer plagen derzeit Verlustängste», sagt Matthias Herren

Männer leiden vermehrt unter Verlustangst

Von: Ginger Hebel

08. Juni 2020

Seit die Corona-Massnahmen gelockert wurden, läutet das Telefon bei der Dargebotenen Hand viel häufiger als während der Krise. Immer mehr Männer greifen zum Hörer und suchen Hilfe.

Zürich erlebt nach den Corona-Restriktionen die Lockerung: Schwimmbäder und Parkanlagen am See sind wieder geöffnet, Restaurants und Bars empfangen wieder Gäste. Die Normalität kehrt zurück. «Es gibt zwar Öffnungen und wieder mehr Möglichkeiten, doch jetzt realisieren viele, dass sich die persönliche Situation nicht verändert, vielleicht sogar verschlechtert hat», sagt Matthias Herren, Stellenleiter der Dargebotenen Hand. Ihn und sein Team erreichen vermehrt Anrufe verzweifelter Männer. Seit die Corona-Massnahmen gelockert wurden, läutet das Telefon viel häufiger als noch während der Krise. Im Mai wählten 980 Männer die Nummer 143 der Dargebotenen Hand. Es sind fast doppelt so viele wie noch im Vorjahr.

Ständiger Erwartungsdruck

Während des Lockdowns drehten sich Gespräche häufig um ein Thema: Corona. Allmählich verschwindet das Virus aus den Köpfen vieler, andere verdrängen die Gefahr einer zweiten Welle. «Durch das Virus waren viele paralysiert. Mit der Lockerung kommen jetzt andere Probleme wieder hoch», beobachtet Matthias Herren. Da ist der Investment-Banker, der sich nach einer Depression selbstständig machte und seit dem Einbruch der Börsen unter Existenzängsten leidet. Private Probleme verstärken den Erwartungsdruck. Die Frau macht ihm Vorwürfe, dass er zu wenig Geld nach Hause bringt. Es sind aber auch vermehrt junge Männer, die in ihrer Verzweiflung zum Hörer greifen und Hilfe suchen. Wie der Lehrling, der zum zweiten Mal die Lehre abgebrochen und deswegen Puff mit seinen Eltern hat. Ihm fehlt die Perspektive. «Viele Männer plagen derzeit Verlustängste», sagt Matthias Herren. «Eine gute Entwicklung ist, dass sie zu ihren Grenzen stehen und Hilfe in Anspruch nehmen.»

Anrufe und Chat-Beratungen bei der Dargebotenen Hand sind anonym. Davon profitieren vor allem Männer, denn Scham sei ein zentrales Thema. «Wenn Männer über Probleme reden und einer Person dabei in die Augen sehen müssen, befürchten sie oft, ihr Gesicht zu verlieren.» In anonymen Gesprächen laufen sie nicht Gefahr, für ihre Schwächen verurteilt zu werden. Viele Männer wünschten sich dabei einen Mann als Gesprächspartner. Im Freiwilligenteam der Dargebotenen Hand sind ein Drittel aller Mitarbeitenden männlich. In China hat die Corona-Krise einen Scheidungsboom ausgelöst. «Auch wir haben viele Anrufer, deren langjährige Beziehungen in die Brüche gegangen sind», sagt Matthias Herren. Das liege jedoch nicht nur an Corona. Viele hätten bereits vorher Probleme gehabt, die Belastungsprobe sei jetzt für viele Paare einfach zu gross gewesen.

Diese Entwicklung beobachten auch die drei Dachorganisationen für Jungen-, Männer- und Väterarbeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz (männer.ch). Experten haben gemeinsam ein Survival-Kit für Männer unter Druck lanciert. «Die unmittelbaren Reaktionen waren ausgesprochen zahlreich und positiv», sagt Markus Theunert, Männerforscher und Gesamtleiter männer.ch.

Das Merkblatt mit Empfehlungen für Männer, die in Krisensituationen die Kontrolle verlieren, wurde in 21 Sprachen übersetzt und steht im Internet zum Herunterladen bereit. Es dient auch als Prävention für häusliche Gewalt. «Es ist spürbar, dass viele froh sind um die Handlungsanweisungen sowie das Verantwortungsübernehmen für die Problematik», sagt Theunert. Männer erfahren, was sich gegen Stress tun lässt. Wie sie sich ermutigen können, sich der Partnerin oder Freunden mitzuteilen. Sie werden dazu aufgerufen, auf eigene Alarmsignale zu achten und Reaktionen wie fluchen, beleidigen oder schreien ernst zu nehmen und Stopp zu sagen, wenn sie sich genervt oder beengt fühlen.

Was ist Ihre Meinung zum Thema: echo@tagblattzuerich.ch

Männer als Zuhörer gesucht!

Das Angebot der Dargebotenen Hand ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr verfügbar. Im Januar 2021 startet ein neuer Ausbildungskurs für freiwillige Männer und Frauen zwischen 30 und 66 Jahren. Anmeldeschluss ist der 31. Juli 2020.

zuerich.143.ch/Mitmachen/Telefon-Beratung

Gratis-Hilfsblätter in 21 Sprachen für Männer unter Druck:

www.maenner.ch/coronakrise-merkblatt/

 

 

zurück zu News

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare