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Ohne Beziehung keine Erziehung

Von: Ginger Hebel

29. Mai 2018

Immer mehr Mütter und Väter sind mit ihren Kindern überfordert und reagieren gestresst und hilflos. Der Elternnotruf ist ihr Rettungsanker.

Das Kind schreit, wenn es nicht schlafen kann, es schreit, wenn es aufstehen muss. Es trotzt und schmeisst sich mitten im Einkaufsladen auf den Boden, weil es keine Schokolade kriegt. Der Mutter ist es peinlich, sie schreit ihr Kind an, dann ihren Mann, weil auch er mit der Situation überfordert ist. In ihrer Verzweiflung wendet sich das Paar an den Elternnotruf. Hier bekommen Mütter und Väter rund um die Uhr Hilfe von Fachpersonen. Pädagoge Bernhard Prechter berät überforderte Eltern in persönlichen Gesprächen, aber auch anonym per Telefon und Mail. «Viele leiden an einem Eltern-Burn-out», sagt der 53-Jährige.

2841 Eltern suchten letztes Jahr im Kanton ­Zürich Rat, darunter 1280 mit ­Erschöpfungssymptomen, Tendenz steigend. «Konflikte und Machtkämpfe gehören zum Alltag», sagt Prechter. Entscheidend sei, wie man als Eltern damit umgehe. «Viele fühlen sich hilflos, wenn ihr Kind in der Öffentlichkeit einen Wutanfall bekommt, und schimpfen, doch das ist nicht immer der passende Weg», ist der Pädagoge überzeugt. Er empfiehlt, sich in die Lage des Kindes hineinzuversetzen und zu respektieren, dass ein Kleinkind seine Emotionen noch nicht regulieren kann. «Sagen Sie ihm: ‹Es ist okay, dass du jetzt gerade wütend bist›, und nehmen Sie es in den Arm, wenn es sich beruhigt hat.»

Paare unter Druck

Da ist die Rat suchende Mutter eines pubertierenden Sohnes, der zugibt, zum ersten Mal Haschisch geraucht zu haben. «Spinnsch du eigentli», ächzt sie vor Wut. Der Junge fühlt sich wie beim Verhör auf der Polizeistation, der Streit eskaliert. Künftig wird er sie wohl anlügen oder ihr gar nichts mehr erzählen. Bernhard Prechter ermutigt die Mutter, offen und neugierig zu sein und Mitgefühl zu zeigen, statt mit Vorwürfen und Verboten zu reagieren. «Ohne Beziehung funktioniert keine Erziehung», ist er überzeugt. Grenzen setzen sei wichtig, doch dies sei meist erst wirksam, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind im grünen Bereich sei. Im europäischen Vergleich weist die Schweiz nach Schweden die höchste Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen auf. Die Krippe ist heute die Realität. «Viele Eltern stehen unter Druck, Arbeit, Familie und Freizeitaktivitäten unter einen Hut zu bringen, und denken, sie hätten versagt, wenn es in der Erziehung nicht so läuft, wie sie es sich erhoffen», erklärt Prechter das Dilemma.

Die Berater des Elternnotrufs geben keine allgemeingültigen Erziehungstipps, weil das den Leistungsdruck zusätzlich steigern würde. Stattdessen erarbeiten sie Vorschläge, wie sich die Bedürfnisse der Eltern und der Kinder auf einen Nenner bringen lassen.

Neue Autorität

Früher gaben Eltern ihrem Kind vielleicht mal einen Klaps auf den Hintern oder eine Ohrfeige, wenn es nicht gehorchte, heute erzieht man anders. Man orientiert sich an den Werten der Neuen Autorität. «Respekt gewinnt man nicht über Macht, sondern über Kommunikation und Beziehung», sagt Prechter. Der dreifache Vater sieht einen Schlüssel des Erfolgs in der neutralen Rückmeldung. Diese könnte lauten: ‹Das ist aber eine gute Idee von dir, dein Zimmer aufzuräumen, damit du mehr Platz zum Spielen hast.› Oder: ‹Heute bist du für dein Alter ganz schön frech!›

Er ist überzeugt: Gestresste Eltern nehmen Äusserungen oft zu persönlich, darunter leide die Beziehung. «Ein Kind braucht ein Gegenüber, auf das es sich verlassen kann. Und es muss spüren, dass man es liebt, auch wenn es sich daneben verhält.»

Weitere Informationen: Elternnotruf, Weinbergstrasse 135, Telefonberatung: 0848 35 45 55 www.elternnotruf.ch

 

 

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