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Bild: Clipdealer

Scham spielt eine grosse Rolle

Von: Ginger Hebel

06. März 2018

Nach aussen hin geht es vielen blendend. Doch der Schein trügt. Immer mehr junge Ratsuchende melden sich anonym per Mail bei der Dargebotenen Hand. Sie haben Liebeskummer, Verlustangst und Suizidgedanken.

«Ich kann nicht mehr, am liebsten würde ich mich umbringen.» Das schreibt eine 20-jährige Frau im anonymen Chat der Dargebotenen Hand. Sie hat sich unsterblich in ihren Yogalehrer verliebt, doch er erwidert ihre Gefühle nicht. Die junge Frau hatte noch nie Glück in der Liebe, diese erneute Enttäuschung war eine zu viel. Sie will nicht mehr leben. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an die Dargebotene Hand und schreibt sich ihren Frust von der Seele. «Es fällt vielen leichter, ihre Sorgen und Ängste einer fremden Person anzuvertrauen, als im Freundes- oder Familienkreis darüber zu reden. Scham spielt eine grosse Rolle», sagt Tony Styger, Seelsorger und Stellenleiter der Dargebotenen Hand.

Jung und lebensmüde

24 416 Menschen wählten letztes Jahr in Zürich die Nummer 143 des Sorgentelefons – 2286 mehr als im Vorjahr. Um 23 Prozent gestiegen sind die Onlineberatungen – von 1700 auf 2100. Die meisten Ratsuchenden, die sich per Mail melden, sind zwischen 19 und 41 Jahre alt, 20 Prozent sind 18-jährig. «Telefonieren ist dieser Generation oft zu verbindlich. Sie schreiben lieber, wie schlecht es ihnen gehe», sagt Tony Styger. Die verfügbaren Chat-Zeiten auf 143.ch sind daher meistens belegt.

Obwohl sich viele junge Menschen in sozialen Netzwerken austauschen und Hunderte virtuelle Freunde haben, fühlen sie sich oft einsam. Wenn es darum gehe, über persönliche Probleme zu reden, steige die Hemmschwelle, weiss Tony Styger. «Nach aussen geht es vielen blendend. Aber innerlich findet oftmals eine Verarmung statt, es fehlt die menschliche Nähe.» Alltagsbewältigung, psychische Leiden, Einsamkeit und Versagensangst sind die häufigsten Themen.

Tony Styger arbeitet seit achtzehn Jahren bei der Dargebotenen Hand. Neben ihm sind es schweizweit rund 640 Freiwillige in zwölf Regionalstellen. Sie alle haben ein offenes Ohr für verzweifelte und lebensmüde Menschen. «Gut zuhören bedeutet, dass man die Probleme des Gegenübers ernst nimmt, ohne zu werten und das Gefühl zu ­haben, immer Ratschläge oder Lösungen liefern zu müssen», erklärt Styger. Er ist überzeugt: Würden Menschen sich mehr Zeit nehmen, genau hinzuhören, wäre die Welt eine andere.

Tag des Zuhörens

Wer Probleme hat und Sorgen, wählt die kostenlose Nummer 143. Die Dargebotene Hand existiert seit 60 Jahren. Für den Ausbildungskurs 2019 werden Frauen und Männer gesucht, die sich freiwillig beim Sorgentelefon engagieren möchten. Am Mittwoch, 14. März, findet der «Tag des Zuhörens» statt. Die Dargebotene Hand lädt im Einkaufszentrum Sihlcity Passantinnen und Passanten ein, jemandem Zeit für ein Gespräch zu schenken. Auch  «Tatort»-Kommissar Stefan Gubser wird die Aktion ab 11.30 Uhr unterstützen. www.143.ch

 

 

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