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Assistierter Suizid ist in städtischen Zürcher Gesundheitszentren erlaubt. Gegner jedoch wollen keine gesetzliche Verpflichtung zur Sterbehilfe. Bild: Adobe Stock

Sterbehilfe in Altersheimen nicht einheitlich geregelt

Von: Ginger Hebel

26. April 2022

 In städtischen Gesundheitszentren für das Alter ist Sterbehilfe zugelassen. In privaten Heimen und in ländlichen Gemeinden dürfen dies die Heimleitungen aber verweigern – das sorgt für Unmut. 

Es ist der Wunsch vieler, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben, in den eigenen vier Wänden, in vertrauter Umgebung. Die Selbständigkeit zu behalten. Doch nicht immer lässt der Gesundheitszustand dies zu. SP-Kantonsrat Hanspeter Göldi setzt sich seit Jahren für Selbstbestimmung ein. Er hat miterlebt, wie schwierig es sein kann, seinen Wunsch, im Pflegeheim freiwillig aus dem Leben zu scheiden, durchzusetzen. Die Heimleitungen hätten dies zum Teil einfach nicht vorgesehen oder würden sich grundsätzlich weigern, eine Sterbeorganisation wie Exit ins Haus zu lassen. «Das Recht auf Selbstbestimmung muss Vorrang haben», findet Göldi. «Aus diesem Grund muss Sterbehilfe in allen Alters- und Pflegeheimen zugänglich sein.»

Seine parlamentarische Initiative fordert, dass Menschen, die ihren letzten Lebensabschnitt in einem Alters- oder Pflegeheim verbringen, ihr Recht auf Selbstbestimmung auch am Lebensende ausüben und Sterbehilfe in diesen Räumlichkeiten in Anspruch nehmen können. Im Gesundheitsgesetz soll deshalb eine einheitliche kantonale Regelung festgeschrieben werden.

Gegen staatlichen Zwang

In allen städtischen Gesundheitszentren für das Alter sind Sterbehilfeorganisationen zugelassen. Basis dafür bildet der Stadtratsbeschluss vom 25. Oktober 2000. «Bei rund 3500 Betten an über 40 Standorten verzeichnen wir jährlich zwischen 5 und 15 Freitodbegleitungen. Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich», sagt Gaby Bieri, Ärztliche Direktorin Gesundheitszentren für das Alter. Anders sieht es jedoch im Kanton Zürich aus. Dort ist es nach wie vor den jeweiligen Heimleitungen überlassen, ob sie assistierte Suizide in ihren Räumen erlauben oder nicht. Gerade in ländlichen Gegenden und privaten Heimen, aber auch in katholischen und jüdischen Institutionen haben Sterbehilfeorganisationen oft keinen Zutritt. Hanspeter Göldi hat Mühe mit dieser Willkür. «Es ist sehr enttäuschend, dass das Selbstbestimmungsrecht der Bewohnenden dem Selbstbestimmungsrecht der Institutionen hintenangestellt wird.»

Nicht jede Person kann ihr Heim frei wählen. In ländlichen Gebieten ist die Auswahl begrenzt, die Plätze sind knapp. Die meisten entscheiden sich jedoch für ein Heim in vertrauter Umgebung oder für eines, wo sie bereits andere Menschen kennen. «Sterbehilfe ist zum Zeitpunkt der Auswahl einer Alterseinrichtung für viele ältere Menschen noch kein Thema. Echte Wahlfreiheit ist nur dann gegeben, wenn sie auch dann besteht, wenn sich diese schwierige Frage zu stellen beginnt», ist Göldi überzeugt. Noch im September 2020 wurde die Initiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Alters- und Pflegeheimen vorläufig unterstützt.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit lehnt die Initiative jedoch ab. Wenn es nach ihr geht, soll es keine gesetzliche Verpflichtung zur Sterbehilfe in Alters- und Pflegeheimen geben. Heime und Gemeinden sollen selber entscheiden können, ob sie Sterbehilfe vor Ort dulden oder verweigern. Auch die Branchenverbände Senesuisse und Curaviva Zürich haben sich gegen eine gesetzliche Verpflichtung der Betriebe geäussert. «Wir befürworten, dass dies jedes Heim für sich entscheiden kann», sagt André Müller, Vorstandspräsident von Curaviva Zürich und CEO des KZU, Kompetenz-Zentrum Pflege und Gesundheit, einem der führenden Dienstleister in der Langzeitpflege im Kanton Zürich. «Der Kanton Zürich steht Sterbehilfe vor Ort offen gegenüber. Allerdings haben einige Institutionen eine kirchliche Trägerschaft. Ein staatlicher Zwang führt zu einem grossen Konflikt», betont André Müller.

In der Gesellschaft wird der Tod gerne totgeschwiegen. Für viele ist Sterbehilfe nicht mit dem Glauben vereinbar. Das Lebensende gilt in ihren Augen als vorbestimmt. Das Thema führt auch in der Politik zu kontroversen Diskussionen. Bei den Bewohnenden von Alters- und Pflegeeinrichtungen sei der Tod jedoch kein Tabu mehr, werden sie doch oft mit dem Ableben von Mitbewohnenden konfrontiert. «Es werden auch entsprechende Abschiedsrituale gepflegt», betont Gaby Bieri. Zudem stellt sie fest, dass das Gespräch zur gewünschten oder eben auch der nicht mehr gewünschten Behandlung (rein palliative Behandlung) im Sinne einer Gesundheitlichen Vorausplanung (GVP) gesucht und bei Veränderungen des gesundheitlichen Allgemeinzustands immer wieder aufgenommen wird.

Schmerztherapie wichtig

Auch André Müller, der seit 20 Jahren in der Pflegebranche tätig ist, beobachtet einen offeneren Umgang mit dem Thema. Früher seien die Leute ins Heim gekommen mit der Überzeugung, dass dies die letzte Station im Leben ist. «Die Pflege, die Behandlungs- und Therapieformen, alles hat sich enorm entwickelt. Viele Menschen sind heute temporär in einem Heim untergebracht und gehen danach wieder nach Hause.» Es sei ihnen aber ein grosses Anliegen, kranken Bewohnerinnen und Bewohnern vor Ort ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. «Schmerzen sind ein Hauptgrund, warum Menschen aus dem Leben scheiden wollen», sagt Müller. Die Schmerztherapie habe jedoch grosse Fortschritte gemacht. «Wir erleben häufig, dass Bewohnende dank Palliativmedizin gut behandelt werden können und daher gar keine Sterbehilfe mehr in Anspruch nehmen wollen.»

Der Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben, verlangt, dass das Grundrecht auf Selbstbestimmung am Lebensende respektiert wird. «Wenn ein Heim den assistierten Suizid in seinen Räumen verbietet, schränkt es das Recht seiner Bewohnerinnen und Bewohner ein. Diese Einschränkung ist ganz klar eine Verletzung des Menschenrechts auf Achtung des Privatlebens, dazu gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst zu entscheiden», sagt Julia Gerber Rüegg von Dignitas. Wie die Ärztliche Direktorin Gaby Bieri erklärt, sei der plötzliche Tod durch den assistierten Suizid manchmal schon eine gewisse Belastung für die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, aber vor allem auch für die Pflegeteams. «Eine entsprechende psychologische Betreuung der Bewohnenden und der Teams ist oft nötig.»

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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