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2017 beendeten 2078 Frauen mit Wohnsitz in Zürich ihre Schwangerschaft. 24 Prozent der Abbrüche betrafen 30- bis 34-jährige Frauen, gefolgt von den 25- bis 29-Jährigen (23 Prozent) und 35- bis 39-Jährigen (21 Prozent). Ins­gesamt wurden in Zürich 2281 Abbrüche durchgeführt. Grafik: SWE/ Quelle: BFS

Überforderung Schwangerschaft

Von: Stine Wetzel

26. Juni 2018

Das Bild, dass es vor allem Teenager sind, die eine Schwangerschaft ­abbrechen, hat sich in den letzten zehn Jahren gewandelt. Mehr als die Hälfte der Schwangerschaftsabbrüche in Zürich lassen über 30-jährige Frauen vornehmen.

Eine instabile Partnerschaft, ein One-Night-Stand ohne Verhütung, berufliche Schwierigkeiten, der falsche Zeitpunkt oder medizinische Probleme – Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch gibt es viele. «In meine Praxis kommen vor allem Frauen, die sich durch eine Schwangerschaft überfordert fühlen», sagt Pierre Villars. Der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe praktiziert seit 30 Jahren in Zürich und hat die Bewilligung zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Im letzten Jahr hat er zwölf Abbrüche vorgenommen – «deutlich weniger als in den Vorjahren». Die Ursachen für immer weniger unerwünschte Schwangerschaften: sichere und verträgliche Empfängnisverhütung, gute Aufklärung, die «Pille danach».

Ärzte und Kliniken sind verpflichtet, Abtreibungen anonym zu melden – für die Statistik. Gerade hat das Bundesamt für Statistik (BFS) die neusten Zahlen herausgegeben: In Zürich wurden im letzten Jahr 2281 Schwangerschafts­abbrüche gemeldet (dagegen gab es in der Stadt 5240 Geburten). Dreiviertel aller Abtreibungen werden inzwischen medikamentös vorgenommen. Auffällig: Über die Hälfte der Schwangerschaftsabbrüche lassen Frauen über 30 Jahre vor­nehmen. Beendete Teenager-Schwangerschaften sind stark zurück­gegangen. Waren es 2008 schweizweit noch 1107 unter 19-Jährige, die eine Abtreibung machen liessen (173 in Zürich), wurden 2017 nur noch 694 (125 in Zürich) gemeldet.

Bedenkzeit als Schikane?

Mit der Einführung der Fristenregelung 2002 wurde der Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz liberalisiert: Seither ist der Abbruch bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche straffrei. Zuvor brauchten Frauen zwei ärztliche Gutachten. Mit der Fristenregelung wurde die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper und ihre Schwangerschaft anerkannt. Die Schwangerschaftsabbrüche haben seither aber nicht zu-, sondern abgenommen. 2001 gab es gemäss Schätzungen des BFS schweizweit noch 12 312 Fälle (in Zürich 3000); 2017 waren es fast 2300 Abbrüche weniger (in Zürich über 700 weniger).

Seit der Liberalisierung steht jedoch die Bedenkfrist in der Diskussion – eine solche ist in der Schweiz nicht vorgeschrieben. Die Handhabung unterscheidet sich bereits vom Stadtspital Triemli zum Unispital Zürich. In der Frauenklinik im Triemli wurde für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch das «One-Step-Verfahren» eingeführt. Es kommt «bei einem Teil der Frauen nach sorgfältiger Prüfung» zum Einsatz, sagt Stephanie von Orelli, Chefärztin der Frauenklinik am Stadtspital Triemli. «Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Frauen, die zu uns kommen, haben sich in der Regel bereits für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden.» Erfahrungsgemäss seien nur etwa fünf Prozent ambivalent. «Wird beim Erstgespräch eine Unsicherheit festgestellt, wird mit der Frau eine individuelle Bedenkfrist vereinbart», so Orelli.

Im Unispital hingegen hält man an der Zweitkonsultation fest. «Dafür ernten wir von Frauen auch immer wieder Kritik», sagt Ioannis Dedes, Oberarzt Gynäkologie. Doch Dedes ist überzeugt: «Man soll mindestens eine Nacht nach dem Beratungsgespräch über eine solche Entscheidung schlafen können. Die Erfahrung zeigt, dass sich einige wenige Frauen umentscheiden.»

Immer noch ein Tabu

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen Abbruch seien in der Praxis gut etabliert, sagt Oberarzt Dedes. Interessant finde er aber «die Anregung einer öffentlichen Debatte zur Übernahme der Verhütungsmittel durch die Krankenkasse». Gynäkologe Villars sieht vor allem sozialpolitisch Nachholbedarf, damit Beruf und Kind besser zu bewältigen sind. «Die Stadt Zürich ist diesbezüglich vorbildlich, aber auf dem Land sieht das anders aus.»

Auch wenn die Abtreibung bis zur zwölften Woche inzwischen legal ist, ein gesellschaftliches Tabu ist sie immer noch. In vielen Berichten sprechen Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden, von einem Rechtfertigungsdruck. Auch Gynäkologe Villars beobachtet das in seiner Praxis: «Ein Abbruch ist immer mit ethischen oder religiösen Konflikten und Gewissensproblemen verbunden, und vielen Frauen fehlt eine Vertrauens­person, um ihre persönliche Problematik zu besprechen».

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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