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Viele Infizierte sind ahnungslos
Von: Stine Wetzel
Die Fälle der sexuell übertragbaren Krankheiten haben in den letzten Jahren zugenommen. Im Umkreis von Zürich ist die Infektionsdichte am grössten. Sind Gratistests für Zürich die Lösung?
Der Anstieg ist alarmierend: 2016 verzeichnete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 20 Prozent mehr Gonorrhoe-, also Tripper-Ansteckungen in der Schweiz als noch im Vorjahr (2270 Fälle). 542 HIV-Infektionen machten einen Anstieg von einem Prozent aus. Bei den übrigen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) belief sich der Anstieg auf einiges mehr: bei Syphilis mit 733 Betroffenen um 15 Prozent, bei Chlamydiose mit 11 013 Ansteckungen um 8 Prozent.
In der Grossregion Zürich ist die Infektionsdichte am grössten. 49,5 Personen pro 100 000 Einwohner sind beispielsweise von Gonorrhoe, 160,6 von Chlamydiose betroffen. Der Verein Zürcher Aids-Hilfe (ZAH) bekam daher vom Regierungsrat einen Leistungsauftrag für die HIV- und STI-Präventionsarbeit bis ins Jahr 2020.
Das BAG geht davon aus, dass ein Fünftel der HIV-Infizierten in der Schweiz keine Ahnung von der Infektion hat. «Auch andere STI werden oft nicht oder erst spät erkannt», sagt Mediensprecher Adrien Kay. Werden sexuell übertragbare Infektionen nicht behandelt, können sie neben Neuansteckungen Folgen wie Krebs oder Unfruchtbarkeit haben.
Die SP-Gemeinderäte Marco Denoth und Patrick Hadi Huber haben kürzlich ein Postulat eingereicht: Der Stadtrat wird darin gebeten, Gratistests für HIV und STI in Zürich zu prüfen. «Gerade für Menschen mit wenig Einkommen ist die Frage, ob sie sich Tests überhaupt leisten möchten», so die Gemeinderäte. Auch Kay vom BAG sagt: «Der Preis kann eine Hürde sein, die Menschen davon abhält, sich testen zu lassen. Erschwingliche Tests sind deshalb im Interesse der öffentlichen Gesundheit.»
Falsche Sicherheit
Wer nicht zum Hausarzt gehen will, sucht meist eine anonyme Teststelle auf. In den Zürcher Teststellen wird bar bezahlt. Die Preise für einen HIV-Test schwanken je nach Teststelle zwischen 50 und 100 Franken, ein Chlamydien-Gonorrhoe-Abstrich kostet um die 240 Franken. Bei der ZAH gibts für Personen mit Kultur-Legi vergünstigte Tests.
Rainer Weber, Leiter der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, findet zwar, dass schon jetzt «der Zugang zu anonymen und billigen Tests in der Schweiz möglich ist», die Diskussion um Gratistests habe aber ihre Legitimation. Vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, und weibliche Prostituierte gehören zu den Risikogruppen, so Weber. «Bei diesen betroffenen Gruppen sind neue Präventionskonzepte gefragt. Dabei muss auch ein niederschwelliger und kostengünstiger oder kostenfreier Zugang zu Tests und Therapie studiert werden.» Er warnt jedoch vor einer Verharmlosung: «Tests allein verhüten keine Krankheit, ohne andere Präventionsbemühungen vermitteln sie den Betroffenen gar ein falsches Sicherheitsgefühl.»
Die Zürcher Aids-Hilfe bot 2016 über zwei Monate gratis HIV-Tests für Studenten und Studentinnen an, 2017 gab es Aktionsmonate mit gratis oder vergünstigten HIV- und STI-Tests für vulnerable Migranten und Migrantinnen und für Männer, die Sex mit Männern haben. «Diese Kampagnen sind auch wieder für dieses Jahr vorgesehen», sagt Geschäftsführerin Francisca Boenders. Mit einem Test allein sei es aber nicht getan. Ein ausführliches Beratungsgespräch sei unabdingbar.
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