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«Nicht alles, was wir für den Klimaschutz machen, führt dazu, dass es teurer wird», sagt Simone Brander, neue Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements. Bild: Enzo Lopardo

Von der Kritikerin in die Verantwortung

Von: Isabella Seemann

30. August 2022

Seit rund 100 Tagen im Amt: Wo hat Simone Brander als neue Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements (TED) bereits Akzente gesetzt und wie will sie ihre ambitionierten Klimaschutz-Pläne umsetzen? Das «Tagblatt» hat die 44-jährige SP-Stadträtin zum Gespräch in ihrem Büro im Amtshaus V getroffen. 

Wie gingen Sie den Rollenwechsel von der Gemeinderätin, die die Verwaltung kontrolliert, zur Stadträtin, die ein Departement führt, an?

Simone Brander: Mit grosser Freude und Neugier und auch mit Respekt vor dem Amt. Es ist ein Privileg, dass ich als Stadträtin die Möglichkeit habe, die Zukunft Zürichs mitzugestalten. Ich wurde herzlich empfangen, sowohl im Departement als auch vom Stadtrat und bin überall auf Leute getroffen, die sich mit Herzblut und Fachkompetenz für unsere Stadt einsetzen.

Mit dem TED führen Sie nun auch das Tiefbauamt, demgegenüber Sie sich als Verkehrspolitikerin besonders kritisch zeigten. Wie sind Sie Ihre neue Arbeit vor diesem Hintergrund angegangen?


Ich hatte mich kritisch zur Arbeit des Tiefbauamts geäussert, da es mir zu wenig schnell vorwärtsging mit dem Ausbau der Stadt Zürich zur Velostadt – und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine. Die Stimmbevölkerung forderte bei Abstimmungen mehrfach klar und deutlich das Velo-Vorzugsroutennetz und den Ausbau der Velorouten. Ich habe meine Kritik von damals gegenüber der Geschäftsleitung des Tiefbauamts nochmals offen angesprochen. Ich habe erklärt, dass ich an Inhalten interessiert bin, und meinen guten Willen bekundet, mit ihnen gemeinsam die Lösungen voranzutreiben, um die Velowege auszubauen. Das wollen die Mitarbeitenden des Tiefbauamts auch. Wir haben keine Differenzen.

Wie ist das bei Ihnen: Wie gehen Sie mit Kritik um, und wie reagieren Sie, wenn plötzlich Gegenwind aufkommt, den früher oder später jeder Stadtrat zu spüren bekommt?
Davon gehe ich auch aus. (lacht) Ich habe langjährige Erfahrung darin, sowohl als Verkehrspolitikerin als auch in meiner vorherigen beruflichen Tätigkeit beim Bundesamt für Energie, von Medien angegriffen zu werden und Kritik auszuhalten. Im Gegenwind zu stehen, haut mich nicht um. Gerade die Verkehrspolitik ist ein äusserst umstrittenes und emotionales Thema. Wenn wir unsere Klimaschutzziele, die uns die Stimmbevölkerung in Auftrag gegeben hat, wirklich umsetzen wollen, dann werden sich diese Diskussionen noch zuspitzen.

Ihre Wählerinnen und Wähler haben grosse Erwartungen an Ihre Verkehrspolitik, die Ungeduld ist gross, entsprechend bedeutungsvoll ist die Fallhöhe. Belastet Sie das?

Es ist eine enorme Herausforderung, die Klimaschutzziele zu erreichen, die uns die Stimmbevölkerung in Auftrag gegeben hat. Aber ich kann immer noch gut schlafen, denn ich werde dabei von den Fachleuten in meinem Departement unterstützt. Und es braucht dazu auch den Einsatz aller Departemente. Gleichzeitig braucht es den Dialog mit den unterschiedlichen Playern, wie den Verwaltungen von Kanton und Bund, ebenso mit dem Gewerbe oder den Veloorganisationen. Gute Lösungen erarbeitet man gemeinsam, nicht allein in seinem Büro. Aber was die Aufgaben meines Departements betrifft, so übernehme ich dafür die Verantwortung.

Wo sehen Sie heute die grössten Herausforderungen im Tiefbauamt?
Es wurden sehr gute Grundlagen erschaffen mit dem kommunalen Richtplan Verkehr und dem ergänzenden kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen (Slöba), auf denen das Tiefbauamt nun aufbauen und seine Projekte umsetzen kann. Wir sind aber noch nicht dort, wo wir sein möchten bei der Mobilität. Wir haben das Ziel netto null bis 2030 festgelegt, aber es gibt noch keinen Massnahmenplan, wie wir diese Absenkung erreichen können. Diesen Plan habe ich nun in Auftrag gegeben. Es sollen die möglichen Massnahmen ausgearbeitet, die Kosten berechnet, die Reglemente, Gemeinderatsbeschlüsse und Abstimmungen, die nötig sind, aufgezeigt werden, damit wir eine konkrete Vorstellung bekommen, wie wir das Ziel erreichen.

Wie kann man sich denn das konkret vorstellen?
Zurzeit ist circa ein Drittel aller CO₂-Emis­sionen der Stadt Zürich auf den Verkehr zurückzuführen. Unser Ziel ist, dass bis 2030 netto null Treibhausgase im gesamten Mobilitätsbereich ausgestossen werden. Dafür müssen wir einerseits den Autoverkehr auf das Allernötigste reduzieren, und das, was wir zwingend benötigen, also Transporte, Lieferungen, Handwerker-Fahrten, Servicewagen, müssen wir auf alternative Antriebe, wie Elektroantrieb oder Wasserstoff, umstellen. Gleichzeitig müssen wir mehr Platz schaffen für Menschen, die mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs sind. Des Weiteren stehen zur Umsetzung des Netto-null-Ziels Gebührenerhöhungen und Parkplatzreduktionen zur Diskussion. Damit kann die Stadt Einfluss nehmen auf die Zahl der Autos auf ihrem Gebiet.

Stichwort Kosten: Die staatlichen Massnahmen zur Erreichung der Klimaziele würden die Bürger auch in ihrem eigenen Budget spüren. Geraten Sie als SP-Politikerin nicht in Widersprüche, wenn der Durchsetzung der Klimaziele die soziale Balance verfehlen?

Ich will diese beiden Anliegen nicht gegeneinander ausspielen. Nur weil Tempo 30 zu höheren Mieten führen kann, da sich Lärm und Dreck reduzieren und sich die Wohnlage verbessert, dürfen wir auf keinen Fall darauf verzichten, diese Klimaschutzmassnahmen durchzuführen. Die Menschen haben ein Anrecht darauf, dass die Lärmgrenzen und die Luftreinhalteverordnung eingehalten werden. Das bedeutet, dass die Stadt ergänzende Massnahmen ergreifen muss, wenn sie eine Strasse beruhigt. Beispielsweise indem die Stadt die Liegenschaften aufkauft, die Mietpreise reguliert oder dafür sorgt, dass es mehr bezahlbare Wohnungen, genossenschaftliche und städtische Wohnungen gibt. Ich fände es sehr zynisch zu sagen, dass es weiterhin dreckig und laut bleiben muss, damit die Mieten günstig bleiben. Wir müssen den Klimaschutz sozialverträglich umsetzen.

Der Akzeptanz der Massnahmen zum Klimaschutz ist doch aber kaum geholfen, wenn am Ende der Verbraucher die Zeche doppelt bezahlt, als Steuerzahler und als Konsument?
Nicht alles, was wir für den Klimaschutz machen, führt dazu, dass es teurer wird. Wir probieren eine ganze Fülle von Massnahmen aus, um das Portemonnaie der Menschen und gleichzeitig das Klima zu schonen. So testet die Abteilung Entsorgung + Recycling derzeit in vier Stadtquartieren ein neues Entsorgungsangebot, das zugleich mit einer Art Tauschtisch die kostenlose Weitergabe nicht mehr benötigter Gegenstände fördern soll. Ebenso soll die Reparatur von Gegenständen gefördert werden. Wenn die Energiepreise exorbitant steigen, dann sind wir auf der sozialen Seite klar gefordert, das auszugleichen.


Sprechen wir über die anderen Dienstabtei­lungen: Welche Baustellen finden Sie bei ERZ Entsorgung + Recycling Zürich vor?
Es sind tatsächlich immens viele Baustellen, ganz physisch. Dies aufgrund des Ausbaus der Fernwärmenetze, der es ermöglichen soll, bis 2040 ganz von den fossilen Energien und Gasheizungen wegzukommen. Künftig sollen 60 Prozent des Siedlungsgebiets mit Fernwärme versorgt werden. Dazu müssen wir an vielen Orten die Strassen aufreissen, um neue Leitungen für die Fernwärme zu legen. Das ist eine gigantische Aufgabe, die wir zusammen mit dem ewz erbringen. Bei ERZ läuft jetzt alles rund, aber auch was gut läuft, kann natürlich noch verbessert werden. ERZ unternimmt viele Anstrengungen, die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Und bei den Kehrichtfahrzeugen erfolgt derzeit die Umstellung auf Elektrofahrzeuge.

Welche grossen Projekte gehen Sie bei Grün Stadt Zürich an?

Bäume pflanzen! Wir haben es diesen Sommer erlebt und es wird in den kommenden Jahren noch viel heisser. Das beste Mittel zur Hitzeminderung in der Stadt sind mehr Bäume. Die Fachplanung ist aufgegleist und die Massnahmen werden nun umgesetzt. Nicht nur auf städtischem Grund, auch auf Privatgrund wollen wir die Baumpflanzungen finanziell unterstützen und fördern.

«Geomatik + Vermessung» fristet ein Schattendasein neben den grossen und wichtigen Dienstabteilungen Ihres Departements. Gibt es Neuigkeiten?
Sie ist zwar die kleinste Dienstabteilung, stellt aber äusserst wichtige Grundlagen für Bauaktivitäten zur Verfügung. So wird ein digitaler Zwilling der Stadt Zürich entwickelt, der die Planung und Visualisierung der wachsenden Stadt vereinfacht. Die Abteilung ist unglaublich innovativ und man darf sagen führend im Bereich Building Information Model­ing (BIM) und macht ungemein viel für die Zukunft.
Nachdem Sie in den ersten Wochen aufgrund eines Bandscheibenvorfalls keine öffentlichen Auftritte annahmen, sieht man Sie nun bei der Einweihung der künstlichen Nebelwolke «Alto Zürrus» auf dem Turbinenplatz und dem Projekt «Brings uf d’Strass!». Halten Sie das für die richtige Flughöhe für eine Stadträtin?
Absolut. Mir ist der direkte Austausch mit der Bevölkerung oder mit Quartierorganisationen äusserst wichtig. Dabei können sie ihre Anliegen, ihre Ideen und ihre Kritik direkt an mich herantragen. Als Vorsteherin eines Infrastrukturdepartements, das für die Gestaltung des öffentlichen Raums zuständig ist, sehe ich so vor Ort, wie die Dinge aussehen und ob sie funktionieren. Ich gehe sehr gerne an diese Veranstaltungen, sie sind ein Teil der Aufgaben eines Stadtrats.

Anhand der Rückmeldungen, die Sie erhalten: Was beschäftigt die Zürcher Bevölkerung am meisten?
Der Ausbau der Velowege. Und im Sommer ist auch das Littering in Parks und auf Spielplätzen ein grosses Thema. Wir sind ständig daran, die Massnahmen zu verbessern und Neues auszuprobieren, um das Problem in den Griff zu bekommen. ERZ hat in Parks am See nun rote Kübel aufgestellt, die man direkt an den Picknick-Platz nehmen kann, damit man den Abfall nicht mehr zum zentralen Container tragen muss.

In meinen Gesprächen mit Zürchern kommt oft zur Sprache, dass sie sich im Verkehr als Fussgänger an die Wand gedrückt fühlen. Was unternehmen Sie für die Fussgänger?
Dafür habe ich grosses Verständnis, auch mich als Fussgängerin stören die Scooter und rasenden Velofahrer auf dem Trottoir. Es braucht eindeutig mehr Platz sowie sicherere und attraktivere Wege für zu Fuss Gehende. Wir haben den Auftrag, die im Verkehrsrichtplan festgehaltene Kategorie von Fusswegen mit erhöhter Aufenthaltsqualität, also mit Bänken und Bäumen, umzusetzen. Des Weiteren werden wir die Mischverkehrsflächen mit Velos und Fussgängern auf dem Trottoir weiter entflechten. Der Fussverkehr ist das häufigste Verkehrsmittel und es ist auch das klimafreundlichste. Deshalb müssen wir ihm genügend Beachtung schenken.

Zur Person:

Simone Brander, geboren am 22. April 1978, ist in Zürich aufgewachsen und besuchte die Kantonsschule Oerlikon. Nach Absolvierung des Diplomstudiengangs der Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich arbeitete sie in der Verwaltung als Energiespezialistin und in Führungsfunktionen für das Bundesamt für Energie und für den Kanton Aargau. Daneben bildete sie sich weiter in Public Management. Von 2009 bis 2022 war sie Gemeinderätin der SP und engagierte sich vorwiegend zu Fragen des Verkehrs und des Klimaschutzes. Im Februar 2022 wurde sie in den Stadtrat gewählt und erhielt das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement zugewiesen. Sie lebt in Wipkingen. In ihrer Freizeit gärtnert sie gerne im Gemeinschaftsgarten, singt in einem Chor oder unternimmt Wanderungen.

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