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Weil er schwerkrank war, soll der Vater seine Tochter um aktive Sterbehilfe gebeten haben. (Symbolbild: Carole Gomez / iStock)

Wegen Sterbehilfe vor Gericht

Von: Isabella Seemann

03. März 2020

Ein schwerkranker Vater, eine überforderte Tochter und eine verhängnisvolle Entscheidung. Denn sie wollte ihren Vater töten – aus Liebe und Mitleid, wie sie vor Gericht sagt. 

Der Vater wartete. Er wartete morgens auf den Abend und abends auf den nächsten Morgen. Am meisten aber wartete er auf den Tod. Die Hoffnung, dass es besser werde, hatte der 86-Jährige schon lange begraben. Es stimmt eben doch nicht, dass die Hoffnung zuletzt stirbt.

Seit Jahren war er im Pflegeheim, nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, phasenweise dement und im Februar 2018 erlitt er noch einen Hirnschlag. Im Stadtspital Triemli verlor schliesslich auch die Tochter die Hoffnung, dass sich der Zustand des Vaters wieder so weit verbessern würde, dass er seiner einzigen Lebensfreude, dem Essen und Trinken, wieder frönen könnte. Schlimmer noch: Sie musste miterleben, wie er beinahe daran erstickte.

Bei ihrem letzten Besuch nahm sie die mitgeführte dünne Spritze aus ihrer Tasche. Sie wollte via Katheter Luft in des Vaters Venen einführen und so eine tödliche Embolie auslösen. Doch das Pflegepersonal überwachte den Patienten in Zimmer 100 per Video und konnte sofort eine Ärztin alarmieren, die gerade noch sah, wie die Frau die Spritze wieder einsteckte.

Aus Mitleid und Liebe

Gertrud K.*, 59-jährig, soeben Grossmutter geworden, steht vor den Schranken des Bezirksgerichts, angeklagt wegen versuchter Tötung. Sie will Haltung bewahren und bricht doch immer wieder in Tränen aus. «Ich hoffte, er könne einschlafen und müsse nicht mehr leiden», erklärt sie dem Richter ihre Beweggründe. Sie habe ihren Vater nicht umbringen, sondern «aus Mitleid und Liebe erlösen» wollen. Das sei aus heutiger Sicht «ein Seich», aber an jenem Zeitpunkt sei sie nur noch kaputt gewesen. Diesem Tiefpunkt gingen Jahre voraus, in denen sie sich um ihren schwerkranken Vater und all seine Belange gekümmert habe, alles sei an ihr hängen geblieben, obwohl sie noch Geschwister habe. Dabei sei sie selber berufstätig gewesen als kaufmännische Angestellte in einer Bank, habe sich freiwillig in Vereinen wie dem Samariterbund und den Landfrauen engagiert und ihre eigenen gesundheitlichen Sorgen gehabt.

In den Wochen zuvor habe ihr Vater, der einst als Landwirt stets in Bewegung war, sie während ihren Besuchen im Pflegeheim mehrmals in den Arm genommen und gesagt: «Mach öpis! Lass mich sterben.» Auch zum Pflegepersonal habe er immer wieder gesagt: «Höret uuf, lönd mi sterbä!» Der Staatsanwalt betont: «Aktive Sterbehilfe ist verboten» und beantragt zweieinhalb Jahre Freiheitsstrafe bedingt. Die geringe Menge an Luft hätte zwar nicht zum Tode führen können, eine Embolie verursache jedoch extreme Schmerzen. Ausserdem habe der Vater unmittelbar vor der Tat den Tod nicht verlangen können, weil er geschlafen habe.

Für einen Freispruch plädiert der Verteidiger, da seine Mandantin die Spritze lediglich angesetzt und nicht gedrückt habe. Der Versuch sei insgesamt untauglich gewesen.

Doch das Bezirksgericht kommt zum Schluss, dass sich die Frau des versuchten Totschlags schuldig gemacht hat, und verurteilt sie zur bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Trotz aller seelischen Belastung und allem Mitgefühl, auch angesichts schlimmer Zustände, dürfen Angehörige nicht selber handeln, stellt der Richter klar. Das müsse man einfach aushalten. «Es geht um das höchste Rechtsgut: das Leben.»

Der Tod kam schliesslich anders als geplant. Der Vater wurde vom Triemli wieder in sein Pflegeheim gebracht, wo er rund einen Monat später eines natürlichen Todes starb.

* Alle persönlichen Angaben geändert

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