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«Verarmung der Kindheit»: Psychotherapeut Allan Guggenbühl. Bild: PD

Zürcher Männer: Tabuzone Kind

Von: Jan Strobel

01. September 2015

Gesellschaft: Die öffentliche «Gleichgültigkeit» besonders von Männern Kindern gegenüber könnte ihren Grund haben: In der Angst, als übergriffig zu gelten.

«Eiszeit für junge Zürcher Mütter», so betitelte das «Tagblatt» seine Aufmachergeschichte in der letzten Ausgabe. Dass vielen jungen Müttern in Zürich besonders im ÖV ein kühler Wind entgegenschlägt, diese Erfahrung bestätigten auch zahlreiche unserer Leserinnen in Dutzenden von Zuschriften. (Sämtliche Leserbriefe sind hier abrufbar.)

Bei der Durchsicht der Leserbriefe drängte sich aber auch ein Perspektivenwechsel auf – und zwar auf den Blickwinkel zahlreicher Zürcher Männer. Zum Punkt, dass Mitreisende den Kleinkindern und ihren Müttern kein Lächeln schenken, meinte etwa Leser Othmar Gallati: «Versuchen Sie es einmal, und Sie werden feststellen, dass sich die Mütter umgehend schützend vor ihr Kind stellen, um den Kontakt zu brechen, nach dem Motto: Schauen Sie nicht so; das ist mein Kind!» Ein anderer Leser machte bereits ähnliche Erfahrungen: «Es gibt auch sehr viele Mütter, die einen sehr giftig anschauen, wenn man mit ihren Kindern ‹Kontakt aufnimmt›! Das habe ich oft erlebt, sodass ich inzwischen wegsehe.» Ein Mann dürfe, so das Fazit in einer anderen Zuschrift, ein Kind nicht einmal mehr anschauen, ohne dass ihm Schlechtes angedichtet werde.

Hat sich das Verhältnis besonders von Männern in der öffentlichen Kommunikation mit Kindern tatsächlich derart verkrampft? Entsteht die «unpersönliche Kälte» aus der Angst heraus, als übergriffig zu gelten? Psychotherapeut Allan Guggenbühl bestätigt diese These: «Die Skepsis, die besonders Männer erleben, wenn sie mit einem Kind Kontakt in der Öffentlichkeit aufnehmen, ist tatsächlich ein Phänomen unserer Zeit.» In ihnen würden oft zuerst einmal potenzielle Pädophile gesehen, so Guggenbühl. «Das heutige Bild des Mannes ist eher negativ geprägt. Es schlummert in manchen Frauen unbewusst oft ein drastisches Denkmuster: Männer sind potenzielle Vergewaltiger; entweder sie machen es, oder sie denken daran.» Alltägliche Situationen, die früher keinen gestört hätten, seien heute gerade im Umgang mit Kindern absolut tabu. «Wann haben Sie zum Beispiel einen älteren Herrn allein bei einem Spielplatz sitzen gesehen oder dort mit einem Kind reden gehört? So etwas gibt es heute nicht mehr. Männer schauen dann eben lieber weg.» Tatsächlich könne man, findet Guggenbühl, durchaus von einer «ungesunden Hysterie» sprechen. «Die regelmässigen Medienberichte über die tatsächlichen sexuellen Übergriffe auf Kinder haben die Sichtweise der Gesellschaft stark geprägt und zu einer Überreaktion geführt, obwohl diese krassen Fälle nicht repräsentativ sind.» Diese Stimmung verstärke die latente Angst der Eltern, es könne etwas passieren, daher komme auch die abwehrende Haltung der Mütter. «In vielen Fällen genügt ein Lächeln eines fremden Mannes und der Schutzinstinkt wird aktiviert.»

Dagegen tun können Männer wenig, stellt Guggenbühl ernüchternd fest. «Das ist unser Zeitgeist. Männer müssen es aufgeben, mit fremden Kindern zu kommunizieren. Für die Kinder selbst bedeutet das eine Verarmung.»  

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Leserkommentare

Valentin Hauri - Allan Guggenbühl liegt absolut richtig. Auch wenn man gegen diesen 'Zeitgeist' nicht ankommt, ist es doch beruhigend und wichtig, dass eine Fachperson von seinem Format darauf hinweist.

Vor 8 Jahren 6 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.

anna Gasser - Ich ertappe mich manchmal selber dabei, weshalb ein Mann sich denn für meine Kinder interessieren sollte. Der Grund ist, dass es das Schlimmste für mich wäre, wenn meine Kinder einem sexuellen Übergriff ausgestzt wären. Das würde ihr, mein und unser Leben
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Vor 8 Jahren 6 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.

Alfred Steiner - Das geht ja sogar soweit, dass die Männer, sehr oft auch als Vater, sich gegenüber den eigenen Kindern, sehr zurückhaltend verhält.

Vor 8 Jahren 5 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.