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Die drei LeBehr-Gründer. Bild: PD

Zürcher sorgen für eine Auszeit vom Smartphone

Von: Stine Wetzel

09. Januar 2018

Die permanente digitale Erreichbarkeit kann laut Forschung der Gesundheit schaden. Ein Zürcher Unternehmen will jetzt mit einer Schutzhülle für einen bewussteren Umgang mit dem Smartphone sorgen.

Sie sind hilfreiche Dauerbegleiter – unter Umständen aber auch Dauerablenker und Dauerstörenfriede: Smartphones. Kinder und Jugendliche lernen den bewussten Umgang mit den Geräten in der Schule und von den Eltern. Aber auch Erwachsene haben Nachhilfe in Sachen reflektierter Smartphone-Nutzung nötig. Das zeigt der Digital-Balance-Hype.

Bekannte machen plötzlich Offline-Tage wie Diäten. Der Gleichschritt lautet: Gerät abschalten, sich selbst aufladen. Plötzlich gibt es Agenturen, die Offline-Workshops anbieten, Hotels, die Offline-Urlaub versprechen, und Apps, die ihre Nutzer belohnen, wenn sie ihr Handy 20 Minuten nicht benutzt haben. «Das sind sinnvolle und zeitgemässe Geschäftsideen, die helfen, die gesellschaftliche Debatte zum Umgang mit Smartphones zu führen», findet Sarah Genner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Sie hat ein Buch, «On/Off», über die Risiken und Vorteile des stets verfügbaren Internets geschrieben. Genner sieht in Smartphones zwar «eine hochgradig faszinierende Technologie mit zahlreichen Vorteilen», findet aber: «Wir müssen uns mit den Risiken und den Nebenwirkungen rasch auseinandersetzen und als Gesellschaft Regeln definieren.» Für sie wären das beispielsweise: «Anwesende Personen sind standardmässig wichtiger als medial zugeschaltete.» Oder: «Esstische und Schlafzimmer sind Smartphone-freie Zonen.»

Starke Sogwirkung

Auch drei Unternehmer aus Zürich haben ein Geschäftsmodell aus der Offline-Sehnsucht heraus entwickelt: Unter dem Namen «Le Behr» verkaufen Martin Bütler, Lennart Behrmann und James Rushton seit Oktober Handy­taschen aus einem Schutzgewebe, das alles blockiert: Kommunikationstechnologie, Handystrahlung, GPS-Empfang.

«Ich habe mich selbst immer wieder dabei ertappt, wie ich mich vom Umfeld abgewendet habe, um aufs Handy zu schauen», sagt Martin Bütler. «Mit der Hülle wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, wann man online und erreichbar sein will und wann offline, um nicht gestört zu werden.» Dafür hat die Lederhülle eine On- und eine Off-Tasche. Kann man das Handy nicht einfach ausschalten? «Kann man schon. Machen aber leider die wenigsten. Dafür ist die Schwelle einfach zu hoch.»

Die Krux: Jeder Facebook-Like, jede Nachricht bei Whatsapp löst im Gehirn den Ausstoss des Glückshormons Dopamin aus. «Damit hat das Smartphone oft eine starke Sogwirkung», so Medienpsychologin Genner. Die Forschung habe ausserdem gezeigt, dass das Smartphone, je nach Nutzung, zum Verstärker für depressive Stimmungen und Stress werden kann, zum Beispiel für Menschen, «die sich allgemein nicht gut gegen sozialen Druck abgrenzen können und die nicht über eine gesunde Selbstregulierung verfügen».

Mantel für Spezialgewebe

Le-Behr-Mitgründer Martin Bütler sitzt am Tisch im Showroom an der Klingenstrasse 34 – ein Räumchen vorerst. Im Schaufenster sind die Schutzhüllen aufgereiht. Der 36-Jährige zeigt die ersten Proto­typen. «Wir haben ein paar Runden gedreht», sagt Bütler und lacht. Die ersten Taschen waren aus abriebfestem, grobem Material. «Aber wir mussten einsehen, dass wir mit so einer Optik nicht auf den Markt können.» Die drei Gründer kamen auf eine Lederverkleidung für das Spezialgewebe; der benachbarte Schuhmacher half bei der Verarbeitung.

Heute werden die Schutzhüllen in Spanien produziert. Bütler hat mehrere Wochen in der Produktionshalle verbracht, bis die Hülle allen Anforderungen gerecht wurde. Der Verkauf ist mit dem Weihnachts­geschäft angelaufen, gerade hat die Zürcher Firma den Zuschlag von Globus bekommen: Sie wird ab März im Sortiment vertreten sein.

Weitere Informationen:
www.lebehr.ch

Zahlen und Fakten

• Die tägliche Durchschnittsinternetnutzung beträgt 128 Minuten.
• Die mobile Internetnutzung ist zwischen 2006 und 2016 von 7% auf 68% angestiegen.
• Das Smartphone überholte 2016 den Laptop als wichtigstes Internetgerät.
• 42% wären bereit, ihren Geruchssinn für Internetzugang einzutauschen.
• 41% entspannt es, wenn sie offline sind. 24% werden nervös, wenn sie nicht online sind.
• Bei der Hälfte der ständig digital Erreichbaren verschlechtert sich die Gesundheit und der Schlaf.

Quelle: Factsheet «On/Off – Digitale Erreichbarkeit managen», hrsg. von der Fachgruppe Medienpsychologie der ZHAW, 2017.

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