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Porträt

Auf einen Schlag war die Sprache weg

Von: Ginger Hebel

03. März 2014

Mit 47 Jahren erlitt Marco Rusterholz einen Schlaganfall und konnte nicht mehr sprechen. Heute, 3 Monate nach dem Vorfall, merkt man ihm nichts mehr an. Auch dank seines Partners, der umgehend mit ihm ins Triemlispital fuhr.

Mit nacktem Oberkörper stand Marco Rusterholz vor seinem Kleiderschrank. Es war ein ganz normaler Morgen im vergangenen November. Er wollte sich einen Pullover anziehen und zur Arbeit gehen, wie jeden Tag, doch er konnte nicht. «Ich war nicht mehr in der Lage, einen Pullover aus dem Schrank zu nehmen, weil ich meine Arme nicht mehr so bewegen konnte, wie ich wollte.» Minutenlang stand er vor dem Schrank, begann zu frieren. Sein Partner fragte, ob er denn nicht zur Arbeit müsse. «Ich wollte ihm antworten, er solle mir noch etwas Zeit lassen, da merkte ich, dass ich nicht mehr sprechen konnte.» Marco Rusterholz erlitt mit 47 Jahren einen Schlaganfall.

Es passierte aus heiterem Himmel. «Ich habe mein Gewicht nicht im Griff, aber ich bewege mich viel, fahre Fahrrad, gehe spazieren. Mit einem Schlaganfall habe ich nicht gerechnet, warum auch? Ich fühlte mich körperlich gut. Zudem bekommen doch nur alte Menschen ‹es Schlägli›, dachte ich damals.»

Sein Partner Roger tat in diesem Moment das einzig Richtige und fuhr mit ihm sofort ins Triemlispital. Die Fachärzte stellten die Diagnose Schlaganfall und begannen in der Stroke Unit, der Spezialstation für Schlaganfallpatienten, mit der Behandlung. Marco Rusterholz erhielt eine Thrombolyse, bei der das Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst wird. Weil eine Arterie verstopfte, wurde sein Hirn nicht mehr richtig durchblutet. Nur eine rechtzeitige Diagnose und Behandlung kann schwerwiegende Folgen verhindern. «Ich fühlte mich in guten Händen und war überzeugt, dass man gut zu mir schaut. Und genau so war es. Die Ärzte haben die richtige Therapie eingeleitet, im richtigen Moment, mit der nötigen Ruhe und Besonnenheit.» Nach wenigen Stunden konnte er wieder Gemurmel von sich geben, dann schwer verständliche Wortfetzen.

Die erste Nacht im Spital lag er besorgt wach. «Mir ging durch den Kopf, dass in meinem Leben immer alles rundgelaufen ist. Ich hatte einen Job, der mir gefiel, ich konnte alles selbstständig erledigen. Und jetzt? Musste ich jetzt Angst haben?»

«Mein Kopf war wie leer»

Marco Rusterholz ist ein positiv denkender Mensch, der offen auf andere zugeht und gerne kommuniziert. Er mag die gepflegte Konversation. «Sprache ist etwas Wunderbares», findet er. Doch auf einen Schlag war die Sprache weg, und er brachte kein Wort mehr heraus. «Das ist ein unheimliches Gefühl, wenn man zwar bei Bewusstsein ist, sich aber nicht mehr ausdrücken kann.» Der Verlust der Sprache ist die häufigste Folge eines Hirnschlags, manchmal sprechen Betroffene danach auch einen anderen Dialekt. Weil er durch den Schlaganfall an einer schweren Sprachstörung litt, machte die Logopädin im Triemlispital mit ihm Sprechübungen. Er hätte zehn Wörter mit B aufsagen sollen, doch ausser Berg wusste er keines mehr, «ich konnte die Wörter nicht mehr direkt abrufen, mein Kopf war wie leer». Nach einem Monat wurde Marco Rusterholz in die Rehaklinik in Kilchberg verlegt, hier folgten neben der Logopädie auch Ergo- und Physiotherapien. Er löste Kreuzworträtsel und machte empfohlene Spiele, die seine Reaktionsfähigkeit und Geschwindigkeit schulten. «Meine Reaktionsgeschwindigkeit war von 9 möglichen Stufen zwischen 1 und 3, also unterdurchschnittlich. Nach vielen Übungen lag sie nach drei Wochen wieder über dem Durchschnitt.»

Nach einer Hirnverletzung verknüpfen sich noch vorhandene Nervenzellen von neuem, dies erfordert jedoch viel Training und Geduld. Er zeigte unbändigen Willen. «Ich wollte gestärkt aus dieser Sache herausgehen.» Nur ein Drittel der Überlebenden wird nach einem Hirnschlag wieder selbstständig ohne beeinträchtigende Folgen, ein Drittel braucht ein wenig Unterstützung im Alltag, und ein Drittel bleibt pflegebedürftig.

Heute, 3 Monate nach dem Schlaganfall, merkt ein Aussenstehender ihm nichts mehr an. Er hat schon wieder flotte Sprüche auf Lager und reagiert schlagfertig. Und er ist wieder zurück im Job, er arbeitet im Büro. «Es ist anstrengend, weil ich Konzentrationsschwierigkeiten habe, so etwas kannte ich früher nicht», sagt Marco Rusterholz.

Er redet offen über seinen Schlaganfall: «Ich finde wichtig, dass sich die Leute bewusst sind, dass es auch jüngere Menschen wie mich treffen kann.» Er ist stolz auf seinen Partner, dass er damals mit ihm ins richtige Spital gefahren ist, wo man ihn sofort behandeln konnte. Die beiden haben in der Zwischenzeit geheiratet und blicken hoffnungsvoll in die Zukunft. «Ich gehe davon aus, dass ich wieder 100 Prozent gesund werde.» Die Angst vor einem erneuten Hirnschlag lässt ihn aber noch nicht ganz los. «Ich achte heute vermehrt auf Symptome, doch je länger der Vorfall zurückliegt, desto kleiner wird meine Angst.»

 

 

"Die ersten Stunden nach einem Schlaganfall sind entscheidend"

Über 15 000 Menschen in der Schweiz erleiden jährlich einen Schlaganfall. Nach Herzinfarkt und Krebs ist er die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache für bleibende körperliche Behinderungen. Im Stadtspital Triemli gibt es seit kurzem eine Spezialstation für Schlaganfallpatienten, die Stroke Unit. Sie wurde soeben als erste im Kanton Zürich durch die Hirnschlagkommission der Swiss Federation of Clinical Neuro-Societies zertifiziert. Leiter und Neurologe Dr. Stefan Wolff weiss, wie man bei Verdacht reagieren muss.

Tagblatt der Stadt Zürich: Wie wichtig ist die Stroke Unit für Patienten?

Dr. Stefan Wolff: Sehr wichtig, denn bei Verdacht auf Schlaganfall muss man schnell handeln. In der Stroke Unit können wir mit moderner Diagnostik die Ursache ermitteln und herausfinden, ob es sich um einen Gefässverschluss oder eine Hirnblutung handelt. Je schneller man mit der Behandlung beginnt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Hirngewebe retten lässt.

Wie sieht so eine Behandlung aus?

Mit einer Lysetherapie lässt sich ein Blutgerinnsel medikamentös auflösen und die Durchblutung im Hirn wieder verbessern. Diese Akutbehandlung ist allerdings nur in den ersten viereinhalb Stunden nach Auftreten der Symptome möglich, danach sind die Schäden meist irreparabel. Auch die Frührehabilitation ist entscheidend, um verlorene Fähigkeiten wieder zu erlangen. Das Hirn ist plastisch. Gesunde Hirnareale können mit viel Training die Aufgaben der geschädigten übernehmen.

Welche Symptome weisen auf einen Schlaganfall hin?

Lähmungserscheinungen im Gesicht, in Armen und Beinen, ein herabhängender Mundwinkel, Sprach- und Sehstörungen, Taubheitsgefühle sowie heftige Kopfschmerzen. Bei diesen Anzeichen sollte man sofort den Notruf wählen und in die Stroke Unit kommen.

Lässt sich einem Hirnschlag vorbeugen?

Ja, mit einem gesunden Lebensstil. Rauchen erhöht das Risiko, ebenso Übergewicht und Bluthochdruck. Auch das Alter ist ein Risikofaktor, wir haben aber auch immer wieder Patienten zwischen 30 und 40 Jahren.

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Verena Menti - Wie's dir wohl geht? Kannst du schon wieder etwas länger arbeiten? Herzliche Grüsse Vreni aus Bäch

Vor 10 Jahren 1 Monat  · 
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