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Porträt

Alexandra Meier sucht seit Jahren vergebens einen Job. Bild: Nicolas Y. Aebi

Ausgesteuert und ausgegrenzt

Von: Ginger Hebel

22. Juli 2014

Alexandra Meier ist 44, alleinerziehend und lebt als Sozialhilfe-Empfängerin am Existenz­minimum. 700 Bewerbungen hat sie in den letzten eineinhalb Jahren geschrieben – vergebens.

Die Verzweiflung steht Alexandra Meier ins Gesicht geschrieben. Ihre Augen sind gerötet vom vielen Weinen, und wenn sie von ihrer leidigen Jobsuche spricht, dann steigert sie sich so sehr hinein, dass ihre Stimme bricht. Alexandra Meier ist 44, Mutter einer zehnjährigen Tochter und seit Jahren auf Stellensuche. Ihre Anstrengungen, einen Job zu finden, führten bis jetzt zu nichts. Um die 700 Bewerbungen hat sie in den letzten eineinhalb Jahren geschrieben und nur Absagen kassiert, oft erhält sie nicht einmal eine Antwort. Jeden Tag sucht sie in Zeitungen und im Internet nach Jobs, sie bewirbt sich längst nicht mehr nur auf Stellen, die ihrem Profil entsprechen, «irgendwann schaut man gar nicht mehr genau, man bewirbt sich aus Verzweiflung auf alles Mögliche. Was hat man denn für eine Wahl?»

Sie schaltet auch selber Inserate in der Zeitung. «Meistens kommen unseriöse Angebote wie erotische Massagen oder Verkauf im Schneeballsystem, wo man zuerst investieren muss, bevor man etwas verdient. Das ist frustrierend.» Alexandra Meier ist gelernte Pharmaassistentin. Sie arbeitete in einer Arztpraxis, dann viele Jahre als Sachbearbeiterin bei einer Krankenkasse. Sie verdiente gut und war stolz, sich eine Wohnung in der Stadt leisten zu können. Sie unternahm viel mit Kolleginnen, ging in den Ausgang und in die Ferien. «Ich hatte ein gutes, geordnetes Leben. Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages jeden Rappen dreimal umdrehen muss.» Weil sie die berufliche Herausforderung suchte, bewarb sie sich beim Bodenpersonal der ehemaligen Swiss­air – mit Erfolg. Doch als nach dem Grounding die Flieger auf dem Boden blieben, verlor sie ihn unter den Füssen. «Das war der Schnitt, von da an ging es bergab», erzählt sie. Sie wurde entlassen und kurz darauf schwanger. Wie viele hatte auch sie den Traum von einer Familie. «Mit dem Kind hat es geklappt, mit der Familie leider nicht.» Über den Vater ihres Kindes spricht sie nicht gern. Alexandra Meier fand keinen Weg mehr aus der Arbeitslosigkeit und wurde ausgesteuert. Heute lebt sie von 1500 Franken Sozialhilfe im Monat und mit ihrer Tochter Laila Shannon in einer 3-Zimmer-Genossenschaftswohnung in Oerlikon. Freundinnen im Sprüngli auf einen Kaffee treffen, sich eine Massage gönnen oder shoppen? Dafür fehlt das Geld. Gekocht wird, was günstig ist: Pasta, Gemüse, Kartoffeln, Fleisch kommt nur einmal pro Woche auf den Tisch. «Ich weiss nicht, wann ich mir das letzte Mal Kleider gekauft habe. Wenn jemand etwas bekommt, dann ist es Laila.»

Wenn ihr Mädchen in der Schule ist oder im Karate, geht Alexandra Meier die Stelleninserate durch. Bei jedem neuen Inserat flackert Hoffnung auf, doch sie zerplatzt jeweils wie eine Seifenblase. Kürzlich hat sie sich bei einer Kinderkrippe beworben, prompt erhielt sie eine Absage, weil ihr die erforderlichen Qualifikationen fehlten. «Ich habe kein Diplom in Kinderbetreuung, aber ich bin Mutter und ziehe ein Kind gross. Warum reicht diese Erfahrung nicht?» Der Druck wird immer grösser Alexandra Meier ist gerne Mutter. «Laila ist ein Goldschatz, wir haben ein inniges Verhältnis. Aber als alleinerziehendes Mami hat man es einfach schwerer, da man die ganze Verantwortung alleine trägt», ist sie überzeugt. Kind und Karriere, für Alexandra Meier eine Wunschvorstellung. Momentan teilt sie an zwei Tagen die Woche Zeitungen aus. Sie bekam schon Stellen vermittelt, in einer Brockenstube am anderen Ende der Stadt und in einer Küche, wo sie Gemüse rüstete und Pfannen putzte. Lange hielt sie die Bedingungen dort allerdings nicht aus. «Ich wurde ausgenutzt.»

Sie spürt den immer grös­ser werdenden Druck auf ihren Schultern. «Ich werde älter, und meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt schwinden. Laila wird grösser und hat mehr Ansprüche und Wünsche, die ich ihr nicht erfüllen kann.» Nicht nur die Tatsache, keinen Job zu finden, tut ihr weh. Es ist der Gang aufs Sozialamt, der sie kränkt. «Es ist ein gewaltiger Eingriff in die Privatsphäre, man legt sein ganzes Leben auf den Tisch und fühlt sich wertlos.» Die Jobsuche raubt ihr die Energie. Doch Alexandra Meier will nicht kapitulieren. Sie möchte weiter daran glauben, dass es doch noch klappt mit einem Job. «Ich fühle mich von der Gesellschaft ausgegrenzt, dabei will ich einfach nur arbeiten.»

Ausgesteuert – und jetzt? Lesen Sie in der Ausgabe vom 30. Juli unser Interview mit Karin Dieziger, Leiterin Fachstab Soziale Integration. 

Aussteuerungen

In der Stadt Zürich wurden seit Anfang 2011 um die 6300 Personen ausgesteuert. Durchschnittlich gab es im Jahr 2011 182 Aussteuerungen pro Monat, 2012 138 und 2013 148. Die Zahlen entsprechen aber nicht 1:1 den Sozialhilfeempfängern, da nicht jeder, der vom Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) abgemeldet wird, sich bei der Wohngemeinde für Sozialhilfe anmeldet. Bis im April dieses Jahres wurden bereits 636 Leute ausgesteuert. 

Quelle: Kantonales Amt für Wirtschaft und Arbeit

 

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Leserkommentare

Ralph Wehrli - Wenn man unseren Politikern und den "Beratern" auf den RAVs glauben kann, dann ist Frau Meier nur ein bedauernswerter Einzelfall, welche die Entwicklungen in der Berufsbildung verpasst hat und nunmehr von hochqualifizierten Ausländern (z.B. beim
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Vor 9 Jahren 8 Monaten  · 
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Maya Bösch - Kenne ich, habe ich auch durchgemacht. Nur mit dem Unterschied, dass ich vom Sozialamt nichts bekam. Leider war ich nicht verschuldet! Ich war so blöd, 8 Jahre zu meinerdementen Mutter zu schauen und wurde so working-poor. Wenn ich Autonr. Abgegeben hätte,
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Vor 9 Jahren 7 Monaten  · 
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Strategie Module - 70% der Stellen werden auf dem verdeckten Stellenmarkt vergeben, nur 30 % des Stellenmarktes ist im Internet sichtbar. 70% der Jobs wechseln also über Beziehungen.
Bewerben ist gut, aber man muss es auch richtig machen.

Vor 6 Jahren 1 Monat  · 
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