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Porträt

«Nur du, das Motorrad und rundherum die grosse Weite»: Töff-Rekordjäger Urs Pedraita, genannt Grisu Grizzly. Bild: Nicolas Y. Aebi

Benzin im Blut und einen Bleistift in der Tasche

Von: Sacha Beuth

16. Februar 2016

An der morgen Donnerstag beginnenden Swiss Moto in der Messe Zürich stellt Urs Pedraita sein Motorrad vor, mit dem er in der Weltrekordzeit von 100 Tagen alle Kontinente durchqueren will. Der 51-jährige Zürcher, in der Bikerszene Grisu Grizzly genannt, liebt derlei Abenteuer – auch wenn es ihn schon fast das Leben gekostet hätte.

Eis und Schnee, nichts als Eis und Schnee. Die monotone Landschaft der sibirischen Taiga, zusammen mit der alles durchdringenden Kälte, lässt die Müdigkeit immer mehr Oberhand gewinnen. Urs Pedraita, seit Stunden auf seinem Motorrad unterwegs, kann die Augen kaum noch offen halten. Plötzlich taucht wie aus dem Nichts ein Auto auf, das ihm auf seiner Fahrspur entgegenschleudert. «Ich konnte gerade noch ausweichen und bin in eine Schneewand gedonnert – zum Glück, ohne mich ernsthaft zu verletzen», erinnert sich der 51-Jährige. «Viel hätte nicht gefehlt und meine Sibirische Erstdurchquerung wäre ziemlich schnell vorbei gewesen.»

Typischer Töfflibueb

Schon von klein auf hatten die motorisierten Zweiräder Pedraita fasziniert. «Ich bin in den Kreisen 3 und 4 aufgewachsen und war ein typischer Töfflibueb. Bei jeder Gelegenheit habe ich an meinem Mofa herumgeschraubt und es natürlich auch frisiert.» Öfters wurde es deswegen beschlagnahmt, und Urs musste, um sein Töffli wieder auszulösen, mit seinem Vater auf dem Polizeiposten antraben. Auch später, als sich Pedraita zum Sanitärinstallateur und Zeichner ausbilden lässt und 1996 ins Architektenmetier wechselt, bleibt seine Leidenschaft für Töffs erhalten. Mit 20 Jahren steigt der Zürcher von der 125er-Maschine auf ein 1300-cm3-Gefährt um. Sein aktuelles Motorrad weist über 1700 cm3 auf. «Natürlich hat man als Biker zwangsläufig Benzin im Blut. Es ist aber nicht vorab die Leistungsfähigkeit einer Maschine, die das Töfffahren für mich so faszinierend macht. Es ist vielmehr dieses Gefühl von Freiheit, das man dabei empfindet. Nur du allein, das Motorrad und rundherum die grosse Weite.»

Für sich selbst sein. Das schätzt Pedraita. Und daher stammt auch sein Bikername Grisu Grizzly. «Ein Grizzlybär ist ja auch ein Einzelgänger. Und Grisu übernahm ich als Vornamen, weil die Tochter einer Bekannten mich immer so nannte.» Zum Einzelgängertum kommt bei Pedraita eine gehörige Portion Abenteuerlust hinzu. Sie steht auch am Anfang der Eingangs erwähnten Erstdurchquerung der russischen Taiga auf zwei Rädern im Jahr 2013, die von Bern quer durch Russland bis nach Wladiwostok führte. Wobei die Strecke ursprünglich eine ganz andere sein sollte. «Eines Abends sass ich mit Freunden zusammen, und irgendwie hatte ich die Schnapsidee, mit dem Bike von der Schweiz bis nach Thailand zu fahren.Ich habe dann die Route gecheckt und musste leider feststellen, dass dies wegen kriegerischer Konflikte und wegen des enormen administrativen Aufwands zur Besorgung der nötigen Dokumente damals nicht machbar war.»

Die Recherche brachte aber zugleich zutage, dass noch niemand mit dem Motorrad im Winter Russland durchquert hatte. «Und weil ich mich bei meiner Ehre gepackt fühlte, habe ich auch gleich beschlossen, die Idee umzusetzen.» Am 25. Dezember 2013, genau um Mitternacht, startet Pedraita vom Bundesplatz in Bern Richtung Osten. «Zwar hatte ich schon zuvor einige Länder mit dem Motorrad erkundet, doch das hier war ein ganz anderes Kaliber.»

Von Wölfen verfolgt

Was der Abenteurer nur zu bald merkt. Die Reise bis zur russischen Grenze verläuft noch einigermassen problemlos, doch dann ergeben sich die ersten grösseren Schwierigkeiten. Da sind einerseits die Lichtverhältnisse. Die Wintertage sind im Norden Russlands sehr kurz, sodass Pedraita viel im Dunkeln fahren muss, um seine Tagesziele zu erreichen. Dann ist da das lichte Tankstellennetz und der Aufwand, der mit dem Tanken verbunden ist. «Der Boden rund um die Tankstellen besteht im Winter aus einer spiegelglatten Eisfläche. Ich musste also immer 50 Meter vor der Tankstelle anhalten, die Spikes montieren, dann tanken und 50 Meter nach der Tankstelle die Spikes wieder abmontieren.» Die Strassenverhältnisse lassen gelegentlich ebenfalls zu wünschen übrig, und Pedraita muss alles daransetzen, nicht hinzufallen. Das gilt besonders, als er einmal über mehrere Kilometer von einem grossen Rudel hungriger Wölfe verfolgt wird. Vor allem aber macht ihm die Kälte zu schaffen. «Wohl hatte ich mich im Vorfeld im Internet und bei Polarabenteurern in Sachen Bekleidung gut informiert und war eigentlich ganz gut ausgerüstet. Aber auf Dauer hast du auch mit den besten Klamotten gegen Temperaturen bis zu –50° Celsius keine Chance.» Nur ein einziges Mal verrutscht ihm während der Fahrt der Gesichtsschutz, was Erfrierungen zweiten Grades nach sich zieht. Und dies, obwohl er sich zuvor zusätzlich mit einer Kälteschutzcreme eingerieben hatte.

Nichtsdestotrotz erlebt Pedraita auf der Reise auch sehr viele schöne Momente. «Eine russische Familie hat mir zur Übernachtung gratis das Zimmer ihres Sohnes zur Verfügung gestellt, Fernfahrer haben Zeitverluste in Kauf genommen und mich bis zur nächsten Haltestelle begleitet, und bei meiner Ankunft am 31. 1. 2014 in Wladiwostok wurde ich von mehreren Hundert Leuten empfangen und wie ein Held gefeiert.»

Pedraita hat nun Blut geleckt. «Das Russland-Race hat mir gezeigt, dass ich mit den Grössen der Branche zumindest mithalten kann.» Eine eindrückliche Rekordjagd beginnt, darunter nach der schnell­sten Erdumrundung ohne Timestop im Sommer 2014. 16 Tage, 8 Stunden und 12 Minuten benötigt er für die insgesamt 27 488 Kilometer lange Strecke – und wurde bislang nicht unterboten. Dieses Jahr steht mit der Durchquerung aller Kontinente die wohl grösste und aufwendigste Aufgabe an. Der Start erfolgt am 11. März um 13 Uhr Lokalzeit in Daytona, Florida, während dort die renommierten Bikeweeks stattfinden. «Eine grosse Ehre für mich. Da werden Tausende von Leuten dabei sein.» Die Route führt von Nord- über Südamerika und nach einem geplanten Abstecher zur Antarktis weiter nach Australien, Afrika, Europa und Asien zurück zum Ausgangspunkt. Pedraita kann es kaum erwarten. «Das Gefühl vor jedem Race ist immer das Gleiche. Ein Mix zwischen Freude und Angst vor dem Unbekannten.»

Natürlich ist für ein derartiges Unternehmen eine gute Vorbereitung unerlässlich. Motorrad und Ausrüstung sind so gebaut bzw. zusammengestellt, dass sie sowohl Eis und Schnee als auch Sand, Staub und Hitze trotzen können. Zudem kann Pedraita auf ein zehnköpfiges Team zurückgreifen, das seine Wege von der Schweiz aus via Satellitentracker verfolgt und ihn mittels Telekommunikation über die nächsten Tankstellen, Supermärkte, Garagen und Waschmöglichkeiten informiert. Zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen gehört neben dem Taschenmesser jedoch ein Bleistift. «Ich spreche nur wenige Fremdsprachen, muss mich aber mit den Leuten vor Ort irgendwie verständigen können. Das geht am besten über Zeichnungen. Und dazu brauche ich einen Bleistift, der im Gegensatz zu einem Kugelschreiber nicht ausläuft und den man mit einem Taschenmesser einfach spitzen kann.» Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Bleibt nur, Hals und Beinbruch zu wünschen.

Der Race von Urs Pedraita alias Grisu Grizzly kann ab 11. 3. 2016 über
www.grizzly-adventure.com oder über die Gratis-Tracker-App mitverfolgt werden.

Der Rekord-Töff

Für seinen Versuch, bei der Durchquerung aller Kontinente (All Continental World Record Attempt) einen neuen Weltrekord aufzustellen, steht Urs Pedraita eine Victory Cross Country Tour mit diversen Ergänzungen zur Verfügung. Die «Daytona One» getaufte Maschine verfügt über einen 1731-cm3-Motor mit 56 PS und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 185 km/h. Das Leergewicht beträgt 405 Kilo, inklusive Ausrüstung sind es 545 Kilo. Der Töff und seine Gadgets werden exklusiv an der Swiss Moto vorgestellt.
www.swiss-moto.ch

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