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Porträt

Martin Vollenwyder: "Berührungsängste hatte ich nie." Bild: Nandor Nagy

Bequem war er nie – und will es auch nicht sein

Von: Isabella Seemann

07. Mai 2013

Er hat einen bissigen Humor und scharfen Verstand – und wird dennoch von allen gemocht. Am Dienstag ist Martin Vollenwyders letzter Arbeitstag als Finanzvorstand der Stadt Zürich.

Sein Eckbüro gewährt ihm einen Blick aus sanfter Höhe am Stadtquartier Enge vorbei, wo er aufgewachsen ist, bis zu den prächtigen Glarner Alpen hin. Im Werd-Hochhaus liegt das ­Finanzdepartement gleichwohl nicht in den obersten Stockwerken, wie es der Bedeutsamkeit des Amtes gebührte, zuoberst befindet sich das Sozialamt. Offensichtlich hat es damit ­jedoch seine Richtigkeit. «Falls jemand oben das Geld zum Fenster rausschmeissen sollte, dann kann ich es hier unten noch auffangen», meint der abtretende Finanzvorstand gut gelaunt und ­unwiderstehlich komisch. Für seine ­erfrischend witzigen Statements liebt ihn die Zürcher Öffentlichkeit.

Wenn Martin Vollenwyder sich nächsten Dienstag von seinen Mitarbeitern im Finanzdepartement verabschiedet, dann dankt auch «der heimliche Stadtpräsident» von Zürich ab. Dieser Titel, den ihm die Journalisten verliehen haben, kommt nicht von ungefähr. Er hat stets vernehmbar ­gesagt, was er denkt, und war sich seiner gewachsenen Macht im Stadtrat bewusst. Zu wichtig war seine Rolle als Schatzmeister in diesen stürmischen Zeiten der Wirtschafts- und vor allem Bankenkrise. «Wenn UBS und CS einen Schnupfen kriegen, erkrankt Zürich an der Vogelgrippe», so hatte der ehemalige Bankjurist scherzhaft das steuerliche Klumpenrisiko Zürichs beschrieben – lange vor dem Ausbruch der Finanzkrise.

Diese hatte er zwar auch nicht vorhergesehen, aber er hatte vorgesorgt. Steuersenkungen seien tabu, zuerst müsse die Stadt sich ein Polster zulegen, um eine Krise ohne Leistungskürzungen überstehen zu können, rechnete Vollenwyder. «Wir leben in harten Zeiten, es geht um ernste Dinge, und deswegen bin auch ich sehr ernsthaft.» Doch weil Vollenwyder nicht aus seiner Haut kann, macht er noch einen Scherz: «Uns geht es auf hohem Niveau schlecht. Wenn wir so ausgiebig über die Form von Randsteinen oder über Abbiegespuren diskutieren können, kann es nicht allzu schlimm sein.»

Als die Finanzkrise dann mit voller Wucht in Zürich einschlug, löste der FDP-Politiker sein Versprechen ein. Er schnürte eher moderate Sparpakete, kürzte Leistungen massvoll und ­beliess die Investitionen auf hohem Niveau. Vor allem die Linke applaudierte und verinnerlichte Vollenwyders Finanzpolitik derart, dass sie sie heute als die eigene verkauft.

Martin Vollenwyder hatte es nicht immer ganz einfach mit dem Zürcher Gemeinderat. Zu seiner allerletzten Sitzung vor den Frühlingsferien gab es für ihn aber noch einmal eine schier nicht enden wollende Standing Ovation. Der Grund für seinen Erfolg liegt nicht zuletzt in seinem Charakter. ­Vollenwyder hat eine Begabung, die man in der Politik kaum je antrifft: Er macht den Menschen bessere Laune. Selbst Leute, die ihn nicht gewählt ­haben, fangen an zu lächeln, wenn sie ihn sehen.

Kraft seiner barocken Erscheinung wird er auf der Strasse von vielen Leuten erkannt und auch angesprochen. Die Clochards beim Stauffacher grüssen ihn stets freundlich mit Namen. Der leutselige Mensch kann mit den unterschiedlichsten Menschen reden, eine Eigenschaft, die er von zu Hause mitgenommen hat. Er ist in einem offenen Künstlerhaushalt aufgewachsen, in dem aller Gattung Leute ein und aus gingen, sein Vater war Organist in der Kirche Enge. «Ich halte es für unnötig, künstlich Distanz zu schaffen zu den Mitmenschen, Berührungsängste hatte ich nie», beschreibt sich Vol­lenwyder selbst. «Leute, die anders sind und denken als ich, machen mich gwunderig. Es gibt nicht nur eine ­Façon zum Seligwerden.»

In sieben Tagen, am Mittwochmorgen, bestimmt der Stadtrat den neuen Vorsteher des Finanzdepartements, am Nachmittag wird Vollenwyder diesem die Büroschlüssel übergeben und den engsten Mitarbeitern vorstellen, «und dann wird der Neue oder die Neue selber schwimmen müssen.»

Der Wermutstropfen beim Rücktritt nach 11 Jahren im Stadtrat ist gewiss, dass die FDP den Sitz an den ultralinken Richard Wolff verloren hat. «Das ist für die Stadt sehr, sehr schlecht.» Gerade im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen im Februar 2014 werde nun wieder aus den Gräben herausgekämpft, statt für «unsere schöne Stadt» nach Lösungen gesucht. «Aber wir sind stark genug, um das auszuhalten. Das Pendel bleibt immer in den Extremen stehen und schwingt dann wieder zurück.» Die Chancen stünden gut, dass die SVP nach 24 Jahren in den Stadtrat zurückkehre, weil jetzt ein Gegenpol gefordert sei. Vol­lenwyder allerdings hatte parteiintern stets auf Distanz zur SVP gedrängt und schreckte auch nicht davor zurück, mit dem Zweihänder gegen rechts auszuteilen. Was er im Gemeinderat zuweilen höre, sei auch dann noch unter der Gürtellinie, wenn man den Gürtel an den Knöcheln trage, polterte Vollenwyder mit seinem sonoren Organ, das auch ohne Verstärkung im ganzen Ratssaal gehört wird.

Die Wahlniederlage Camins ändere aber nichts an seiner Entscheidung abzutreten. «Ich werde nächsten Frühling nicht wieder antreten.» Dem Gemeinderat versprach er denn auch in seiner launigen Abschiedsrede, nicht als Martin Berlusconi durch die Stadt zu ziehen. Das Animal politique wird sich nach 40 Jahren auf der politischen Bühne, 26 davon in Parlament und Regierung, ganz aus der Politik zurückziehen und nur noch ein einfaches FDP-Mitglied sein. Eine neue Rolle für Vollenwyder. Denn zeit seines Lebens lautete die Devise des Vollblutpolitikers: selber anpacken, Entscheidungen treffen und dabei das Risiko eingehen, auch «mal einen Bockmist zu fabrizieren», statt alles auf den «Mä sött mal» zu schieben. Fehlen werden ihm nur die ewigen Parkplatzdebatten im Rat, sagt er – natürlich im Scherz. Man müsse ­gehen, solange man noch Freude habe am Amt, an der Zusammenarbeit im Team und der Geduldsfaden noch eine gewisse Dicke vorweise.

Zürich wird er zuerst mal den ­Rücken kehren, wenn auch nur für drei Monate. Mit seiner frisch angetrauten Ehefrau will er auf dem Hausboot auf Frankreichs Flüssen tuckern, dann gehts nach Namibia, um ganz im Norden zur Grenze ­Angolas Wildtiere zu beobachten, und schliesslich steht noch Bhutan auf dem Reiseprogramm.

Vollenwyder, der dieses Jahr 60 wird, will allerdings nach seinem Rücktritt Zürich treu bleiben – mit den Präsidien bei der Tonhallegesellschaft und der Eleonoren-Stiftung des Kinderspitals. «Ich werde meine Fehler also einfach andernorts ­machen.» Roger Schawinskis Angebot, täglich zweieinhalb Minuten lang bei Radio 1 das Zürcher Politgeschehen zu kommentieren, habe er allerdings abgelehnt. «Man soll aktiv politisieren und nicht besserwisserisch kommentieren.»

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