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Porträt

Coiffeur mit Leidenschaft: Josef Webers Markenzeichen war der schnell ausgeführte, unkomplizierte Männerhaarschnitt. Nun hat er Rasierapparat und Kamm beiseitegelegt. Bild: Werner Schüepp

Coiffeur verabschiedet sich nach 52 Jahren

Von: Werner Schüepp

29. Juni 2020

Josef Weber sah manchen Haartrend kommen und gehen. In der vergangenen Woche verabschiedete sich der 75-Jährige von seiner Kundschaft. Ganz weglegen will er die Schere trotzdem nicht. 

Zwei Spiegel, zwei Coiffeurstühle, zwei Waschbecken, Kästen, Telefon, Radio, Föhn, Rasiermaschine, Scheren, die Kasse sowie drei Sitzgelegenheiten zum Warten. Alles auf 16 Quadratmetern. 52 Jahre lang war diese Fläche der Arbeitsalltag von Josef Weber. «Ich bin jeden Tag mit Freude zur Arbeit und abends mit der gleichen Freude wieder nach Hause gegangen», sagt er. Der Coiffeur hat in der vergangenen Woche an der Bremgartnerstrasse 48 in Wiedikon zum letzten Mal seine Kundschaft empfangen, weil das Haus, in dem sich das Ladenlokal befindet, saniert wird. Wenn dieser Artikel erscheint, hat die Schlüsselabgabe stattgefunden, der grösste Teil des Mobiliars ist entsorgt und das Quartier um einen Coiffeur ärmer. «Die letzte Woche vor der Schliessung ist für mich nicht einfach», sagt Weber und streicht mit der Hand über das rissige Leder der Coiffeurstühle, «da ist schon Wehmut im Spiel, Erinnerungen kommen hoch, es heisst Abschied nehmen.»

Wobei das Wort «Kunde» nicht recht zu Josef Weber passt, vielmehr traf sich in seinem Herrencoiffeursalon eine grosse Familie. Das kleine Geschäft war ein beliebter Treffpunkt in Wiedikon, in den man nicht nur hinging, um die Haare zu schneiden, sondern auch, um Kaffee zu trinken und über Gott und die Welt zu diskutieren. Wie vielen Personen er im Laufe eines halben Jahrhunderts die Haare geschnitten und frisiert hatte, mag der 75-Jährige nicht abschätzen. «Das Letzi­grund-Stadion wäre mit ihnen bestimmt zur Hälfte gefüllt», sagt er. In den vergangenen zwei Jahren wurden es weniger, weil er nicht mehr von Montag bis Samstag, sondern nur noch die halbe Woche geöffnet hatte.

Frauen? Viel zu aufwendig

Ursprünglich wollte Josef Weber Mechaniker werden. Fürs Haarschneiden entschied er sich, weil er den Kontakt mit Menschen schätzt. «Ich rede gerne mit Leuten, bin neugierig, will immer wissen, was gerade läuft.» Fünf Jahre nach der Lehre machte er sich selbständig, übernahm Ende der 1960er-Jahre den kleinen Laden in Wiedikon, baute sich eine Kundschaft auf und führte das Geschäft bis zum Schluss allein. «Am Anfang habe ich Flyer in Briefkästen verteilt, um auf meinen Herrensalon aufmerksam zu machen.» Fünf Franken kostete damals ein Herrenschnitt. Er hat im Laufe der Zeit viele Frisurentrends kommen, gehen und wiederkehren sehen. Bestens in Erinnerung hat er zum Beispiel den Coupe Hardy, jene Methode des Haarschnitts mit dem Messer, oder an die Zeiten, als lange Haare «in» waren und die Beatles mit ihrer Musik die Welt eroberten. «Früher wurde viel mehr mit dem Messer gearbeitet, heute vorwiegend mit Schere und Kamm», sagt er, der sich der Technik stets angepasst hat.

Webers Markenzeichen als Coiffeur war der einfache, rassige Haarschnitt, schnell ausgeführt, ruckzuck, kein kompliziertes Drumherum. Deshalb hätte er auch nie Frauen frisieren können: «Was für ein Theater. Das wäre mir viel zu aufwendig», lacht er. Die einfachen Leute gingen bei ihm ein und aus und die meisten sagten: «So wie beim letzten Mal», wenn er sie nach ihren Wünschen fragte. An seinem kreativen Beruf hat ihm stets gefallen, dass man das Resultat der Arbeit schnell sieht. «Schon nach einer halben Stunde geht bei mir der Kunde mit einer veränderten Haarpracht aus dem Geschäft.» Alle waren so zufrieden, dass sie wiederkamen, vom Grossvater über den Vater zum Sohn, nicht selten alle drei Generationen gleichzeitig. Ungefähr die Hälfte seiner Kunden waren Juden, eine Synagoge befindet sich in der Nähe seines Coiffeursalons.

Keinen Tag bereut

52 Jahre hat er seinen Traumberuf ausgeübt – Josef Weber bereut keinen einzigen Tag. «Ich hatte eine schöne Zeit und musste mein Geschäft wegen Krankheit nicht einmal schliessen.» Überhaupt sei er von gesundheitlichen Problemen mit Rücken oder Hüfte, wie sie altersmässig viele Berufskollegen plagen, verschont geblieben. Ferien macht der Vater von zwei Kindern, der in Galgenen wohnt, am liebsten zu Hause. «Ich bin nicht der Typ, der gerne verreist.» Sein weitestes Ziel sei Mallorca gewesen, ein Geschenk der zwei Söhne anlässlich seines 50. Geburtstags. Wegen der Corona-Pandemie fällt ihm das Weglegen von Schere und Kamm leichter. «Haare schneiden mit Maske und Handschuhen, ich hätte nicht gedacht, so etwas Verrücktes zu erleben», sagt Josef Weber. Die Hygienevorschriften habe er in den vergangenen Wochen zwar eingehalten, aber dies sei mühsam. So mache ihm sein geliebter Beruf keinen Spass mehr.

Wird es ihm vielleicht langweilig ohne Haarschneiden? «Überhaupt nicht. Ich werde Bekannte in Deutschland und der Schweiz besuchen, mit meinem Velo Ausflüge unternehmen und Wanderungen absolvieren.» Ganz weglegen will er die Schere doch nicht. Die Gartenarbeit bei den Söhnen müsse erledigt werden. «Schliesslich ist eine akkurat gestutzte Hecke fast so etwas wie ein schöner Haarschnitt», sagt Josef Weber. 

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