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Porträt

«Bei uns findet der Konsum nicht passiv statt, wir sind der Gegenpol zur City.» Bild: Nicolas Büchi

Das Christkindli trägt Vintage

Von: Clarissa Rohrbach

10. Dezember 2013

Katja Weber und Vania Kukleta feiern mit ihrem Weihnachtsmarkt "Heiliger Bimbam" einen Erfolg. Sie wissen, wieso Zürcher auf Rezykliertes und Handgemachtes stehen.

Unter der Discokugel liegen sie sorgfältig ausgestellt: die gestrickten Pantoffeln, die Portemonnaies aus Omas Zeiten und die dazu passenden, glitzernen Broschen. Alt-Hipsters schieben ihre Kinderwagen durch die Stände im Plaza, dazu läuft lässiger Sound. Die Stimmung ist hip, hip-unverkrampft wohlgemerkt. Am Heiligen Bimbam, dem szenigsten Weihnachtsmarkt der Stadt, treiben sich Individualisten herum, die ein originelleres Geschenk suchen, als es an anderen Märkten zu kaufen gibt. Hier gibts Vintage, aber auch innovative Rucksäcke und Sonnenbrillen, strikt von lokalen Designern handgemacht. Dieses Jahr sind besonders die Etageren beliebt, mit Rös­chen verzierte ­Tellertürme, auf denen die Hobby­bäcker ihre Cupcakes servieren.

Mitten im gelassenen Trubel stehen Vania Kukleta (32) und Katja Weber (34). Die beiden Freundinnen haben den Weihnachtsmarkt, eine Adventsversion des Montagmarkts im Rimini, vor vier Jahren ins Leben gerufen. Und seitdem nur noch expandiert. Was zuerst in den Kreisen 3 und 4 stattfand, hat nun auch den Kreis 5 und die ganze Maag-Halle erobert. Die jungen Frauen mit dem roten Lippenstift und dem offenen Lächeln sind sowohl Geschäftsfrauen als auch Mädchen für alles. Eben gerade haben sie dafür gesorgt, dass der Glühwein-Nachschub kommt; nun erklären sie rauchend, wieso ihre Projekte durchstarten.

«Der Marktplatz war immer schon der Ort, an dem sich die Leute treffen. Das soll hier auch passieren», sagt Kukleta. Früher sei sie am Nachmittag vor dem Heiligabend durch die Bahnhofstrasse gehetzt und habe unpersönliche Notfall-Geschenke gekauft. Das würde sie nie mehr tun:. «Zwangs-Shoppen ist lustbefreit», sagt sie. Dem Weihnachtsstress könne sich ohnehin niemand entziehen, aber dann sollten die Zürcher doch bitte mit Freude einkaufen können. «Bei uns findet der Konsum nicht passiv statt, wir sind der Gegenpol zur City.» Das heisst: «analog statt digital», lokale Labels statt internationale Brands, Designer, die erklären, wie ihr Produkt entstanden ist, statt Verkäuferinnen, die schmallippig antworten.

So treffen die Besucher des Heiligen Bimbams auf Aussteller, die sich Zeit nehmen, die Geschichte jedes einzelnen Gegenstandes zu erzählen. Es wird zugehört, gelacht, getastet. Rund 2000 Aussteller haben seit den Anfängen bereits an Kukletas und Webers Märkten teilgenommen. «Wir sehen uns als Anlaufstelle für Designer, die eine Bühne suchen, um sich zu entfalten», erklärt Weber. Viele fassen erst durch den Markt den Mut, ihre Kreationen zu zeigen, und verdienen damit das erste Geld. «So können sie auch testen, ob ihre Produkte gut ankommen. Es gibt kein ehrlicheres Feed­back als am Stand.» Einige konnten so sogar ihr eigenes Geschäft eröffnen. Das ist genau das Ziel der beiden jungen Frauen: die Quartiere und ihre kleinen Läden zu fördern, lokal statt global.

Die ganze Stadt abgeklappert

Angefangen hat alles mit den ­Dachboden-Flohmis, die Kukleta veranstaltete. Auch Weber war Trouvaillen-Liebhaberin. Als dann die Möglichkeit entstand, in der Freiluftbar Rimini am Schanzengraben einen Markt zu organisieren, taten sie sich zusammen. Mit ihrer Idee klopften sie bei jedem Designer einzeln an, sie klapperten die ganze Stadt ab, um das Konzept zu erklären. Rasch verbreiteten sie ihre Begeisterung. «Wir haben eine Energie ausgelöst, Freunde und Familie, alle halfen uns freiwillig.» Während der ersten Jahre beantworteten die beiden noch jedes SMS und jede E-Mail rund um die Uhr persönlich, nun sind sie auf ein Online-Anmeldeformular umgestiegen, die Nachfrage war schlicht zu gross. Nach verschiedenen Märkten im Hive, Mascotte und Cabaret Voltaire folgte der Fritschi-Flohmi, danach der Heilige Bimbam. 2012 gabs wieder einen Schub mit dem «Go West»-Nightshopping beim Escher-Wyss-Platz, die Erweiterung des Weihnachtsmarkts in die Maag-Halle und ein Showroom für Schweizer Designer an den Fashion Days.

Hinter den lockeren Events stecken monatelange Vorbereitungen. Nicht nur den ganzen Papierkram müssen die beiden bewältigen, sondern auch logistische Herausforderungen wie feuerpolizeiliche Massnahmen und Stromversorgung der Locations. Vor Ort gilt es dann anzupacken: Kabel legen, Stände aufbauen, Mitarbeiter instruieren. Wenn die Aussteller ankommen, herrscht Nervosität: Jeder stellt Fragen. Kukleta und Weber bleiben gefasst und be­klagen sich nur im Abseits: «Uns tut schon alles weh vom Bücken und Tragen.»

Trotz des guten Geschäfts verdienen sich die jungen Frauen keine goldene Nase. Sie wohnen beide noch in WGs und betreiben nebenbei Lokale wie das Café Z am Park, den Salon und Frau Gerolds Garten. Beide haben an der Hochschule der Künste Design studiert, Weber allerdings nach einem Diplom als Betriebswirtin. Kukleta arbeitete zuvor als Trendscout: Sie weiss, was die ­Zukunft bringt. «Man wird wegkommen vom Anstellungsverhältnis und probiert Sachen selber aus.» So hätten auch sie irgendwie angefangen, ohne grossartige Visionen, Hauptsache selber machen. Das sei der Gegentrend zur Digitalisierung. Alternativ sei es aber nicht, dieser Begriff sei verstaubt. Auch Nachhaltigkeit sei immer wichtiger. Vintage und Tauschen, allgemein das Wiederverwerten von Gegenständen, sei eine Emanzipation von der Wegwerfgesellschaft. Der Bezug zu Objekten wird persönlicher, der Konsum humaner, der Abfall weniger. Der Heilige Bimbam ist eine Oase dieses Sorge-Tragens. Denn hier bringt jeder seinen eigenen Züri-Sack mit.

WEIHNACHTSMÄRKTE IN ZÜRICH

Heiliger Bimbam:  
Samstag, 14. Dezember, im Plaza und Kreis 3, 13–21.30 Uhr.


20. bis 23. Dezember in der Maag-Halle, im Viadukt und Kreis 5, Freitag: 17–22 Uhr, Samstag: 13–21 Uhr, Sonntag: 13–19 Uhr, Montag: 13–19 Uhr.


heiligerbimbam.ch

Christklindlimarkt im HB:
Zum 20. Mal füllen 150 Stände die Halle des Hauptbahnhofs, mittendrin der 15 Meter hohe ­Swarovski-Weihnachtsbaum.
Sonntag bis Mittwoch: 11–21 Uhr
Donnerstag bis Samstag: 11–22 Uhr


Goldene Weihnachten am Bellevue:

Auf dem Sechseläutenplatz stehen rund 30 Weihnachtshäuschen. Besondere  Attraktion: Die Kunststoffeisbahn, für Kinder bis 12 Jahre kostenlos.
Montag bis Freitag: 12–21 Uhr
Samstag: 11–21 Uhr


Weihnachtsmarkt im Niederdorf:

Seit rund 30 Jahren bereichern die Marktstände den Hirschenplatz, den Rosenhof und die Niederdorfstrasse.
Montag bis Freitag: 11–20 Uhr
Samstag: 11-18 Uhr / Sonntag: 12–18 Uhr


Weihnachtsmarkt Europaallee:

Hinter der Sihlpost stehen rund 20 Weihnachtshütten, auch mit Christbaumverkauf. Das Highlight: die Piz Europa Fonduehütte.
Täglich: 11.30–20 Uhr

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