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Porträt

Das Ende eines Leidenswegs: Im Januar 2018 erblickte Levi in den USA endlich das Licht der Welt. Bilder: Djamila Grossman / Tom Licht

Den Sieg in den Armen halten

Von: Jan Strobel

11. Juni 2019

Ein Zürcher Paar kämpfte acht Jahre vergeblich darum, ein Kind zu bekommen. Statt aufzugeben, entschied es sich für eine umstrittene Methode: eine Leihmutterschaft in den USA. Diesen Weg begleiteten die beiden Fotografen Djamila Grossman und Tom Licht und erzählen ihn in einem Buch.

Bevor der Leidensweg begann, der schliesslich in eine existenzielle Krise münden sollte, schien die Lebensplanung für das junge Zürcher Paar eine Frage der Selbstverständlichkeit. «Ich war keine Frau, die gross darüber nachgedacht hat, ob sie Kinder will. Ich habe gedacht, es kommt sowieso, wenn du willst. Wir waren wie alle anderen auch in unserem Alter – bis wir herausgefunden haben, dass es nicht geht. Ab da hat sich alles geändert.» Der Abgrund, welcher der Wunsch nach einem eigenen Kind aufriss, war zuerst einmal beherrscht von Scham, von Rückzug, Depression und vom Gefühl des Betrugs durch den eigenen Körper. Der Kinderwunsch begann die Welt um sie herum aufzusaugen. Die junge Frau sagte sich: «Entweder habe ich ein Kind, oder ich sterbe.»

Acht Jahre lang kämpften sie vergeblich. Unzählige Behandlungsmethoden liess die Frau dabei über sich ergehen, Hormontherapien, künstliche Befruchtungen, Operationen, psychologische Tests. Als all das keinen Erfolg zeitigte, versuchte das Paar eine Adoption aus Russland. Aber auch dieser Plan scheiterte. Was blieb, war nicht die Kapitulation, sondern ein Weg, der in der Gesellschaft ethische Grundsätze berührt: eine Leihmutterschaft. Die aktuell wohl umstrittenste Reproduktionsmethode ist in der Schweiz verboten (siehe Box), in gewissen Bundesstaaten der USA allerdings erlaubt und wird oft praktiziert. Über eine Agentur fand das Zürcher Paar tatsächlich eine Frau, die sich dazu bereit erklärte, sich den im Labor gezeugten Embryo einzusetzen. Das Ziel hiess Wisconsin. Im Mai 2017 wurden schliesslich Embryos in die Leihmutter transferiert. Im Januar 2018 kam ein gesunder Sohn zur Welt.

Auf die Leidensgeschichte des Paares wurden auch die beiden Fotografen Djamila Grossman und Tom Licht aufmerksam. Die Odyssee sollte dokumentiert, der Fokus auf die Menschen in dieser Geschichte gelegt, die verschiedenen Ebenen gezeigt werden, statt auf eine rein gesellschaftspolitische und ethische Diskussion einzugehen. Sie wollten zeigen, wie existenziell ein Kinderwunsch tatsächlich werden kann. «Wir wollten dabei bewusst keinen Standpunkt für oder wider die Leihmutterschaft einnehmen», sagt Djamila Grossman.

Ein Akt der Nächstenliebe
Entstanden ist nun das fotojournalistische Buch «Be Hers Be Mine», das ab 19. Juni im Handel erhältlich sein wird. Im Buch heisst das Zürcher Paar Jasmin und Andreas, die richtigen Namen wurden aufgrund der rechtlichen Situation nicht veröffentlicht. Es gibt aber auch einen Hinweis darauf, wie tabubehaftet das Thema ist. «Es berührt Ur-Instinkte im Menschen und löst bei vielen zuerst einmal Abwehr aus, obwohl das Wissen über die Methode rudimentär ist», meint Tom Licht.

Eine der Stärken dieses Buchs liegt insbesondere darin, den Blick auch auf die Perspektive der Leihmutter zu lenken. Beth, wie sie genannt wird, ist keineswegs die Frau aus armen Verhältnissen, die aus reiner Geldnot handelte; ihr Antrieb erfolgte vielmehr aus ihrem christlichen Glauben heraus. «Das erscheint für europäische Verhältnisse widersprüchlich», so Tom Licht. «Für Beth allerdings stellt die Familie das höchste Gut dar. Der Wunsch, Leben zu schaffen, war für sie ein Akt der Nächstenliebe. Auch der Pastor vor Ort kam zum Schluss, dass die Leihmutterschaft mit dem christlichen Glauben vereinbar sei. Das offenbart grosse kulturelle Unterschiede zwischen den USA und Europa. Und nicht zuletzt wurden die häufig mit kommerzieller Leihmutterschaft assoziierten Rollen auf den Kopf gestellt: Jasmin und Andreas, das Schweizer Paar, waren hier die Bedürftigen – und nicht umgekehrt. Es war ein soziales Engagement. Auch die Familie von Beth war ganz selbstverständlich in den Prozess eingebunden.»

Djamila Grossman und Tom Licht dokumentierten den Weg von den ersten Skype-Interviews zwischen Zürich und Wisconsin bis zur Geburt des Babys. Es sind Bilder, die in die Tiefe gehen, die Empathie für alle Beteiligten wecken wollen. Sie zeigen die stillen, alltäglichen Ängste, das bange Hoffen, dann wieder zaghafte Vorfreude, wenn die ersten Babykleider gekauft werden. Sie erzählen von gegenseitiger Unterstützung und vom Glück, einen Sieg errungen zu haben. «Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine unglaublich tiefe Verbindung», erzählt Djamila Grossman. «Je näher sie sich kamen, umso einfacher wurde es für die Leihmutter, sich vom Kind abzukoppeln und keine mütterlichen Instinkte aufkommen zu lassen. Sie wusste, dass das Kind bei seinen Schweizer Eltern behütet und in guten Händen aufwachsen wird.»

Heute haben sich Jasmin und Andreas in Zürich ein Leben mit ihrem Sohn aufgebaut. Mit der Leihmutter und ihrer Familie sind sie immer noch in Kontakt. Im Buch sagt Beth: «Wir freuen uns, ihn eines Tages als Erwachsenen zu sehen. Vielleicht wird einmal etwas Grosses aus ihm.»

Der Moment der Überwältigung: Das Zürcher Paar während der Entbindung. 

 

Angetrieben vom Glauben: Die Leihmutter und ihr Ehemann in Wisconsin.

Leihmutterschaft in der Schweiz

Die Diskussion um die Leihmutterschaft als Reproduktionsmethode geht bis in die 1980er-Jahre zurück. Der Bundesrat setzte schliesslich auf den 1. Januar 2001 das 1998 vom Parlament verabschiedete Fortpflanzungsmedizingesetz in Kraft, das zu den weltweit strengsten zählt. Das Gesetz untersagt unter anderem auch die Leihmutterschaft. Wie viele Fälle von Leihmutterschaft in der Schweiz dennoch vorkommen, ist umstritten. Das Bundesamt für Justiz sprach 2017 von 30 bekannten Fällen. Gemäss Fachleuten und spezialisierten Juristen soll die Zahl aber bedeutend höher liegen. Sie sprechen von Hunderten Kindern, die von einer Leihmutter im Ausland zur Welt gebracht wurden. Zuletzt sorgte das Thema 2o17 in der Stadt Zürich für Schlagzeilen, als der damalige CVP-Stadtratskandidat Markus Hungerbühler und sein Lebenspartner ihr Kind von einer Leihmutter in den USA austragen liessen. Kritiker dieser Reproduktionsmethode sehen vor allem in der kommerziellen Form der Leihmutterschaft ein ethisches Problem. Gebären werde hier zum blossen Geschäft, die Frauen würden häufig instrumentalisiert und ausgebeutet und die Kinder zur Ware herabgewürdigt. Das gelte besonders für Länder wie die Ukraine, Russland oder Indien. In den USA kostet eine Leihmutterschaft umgerechnet 150 000 bis 180 000 Franken, ein Geschäft, an dem, betonen die Kritiker, auch Pharmafirmen, Agenturen, Anwälte und Ärzte kräftig mitverdienen würden. In der Schweiz bleiben nach Schätzungen um die 15 Prozent der heterosexuellen Paare ungewollt kinderlos

Weitere Informationen:
Vernissage: Mi, 19.6., 19 Uhr
Buchhandlung Never Stop Reading
Spiegelgasse 18, 8001 Zürich
Djamila Grossman, Tom Licht: Be Hers Be Mine. Kehrer-Verlag 2019.
ISBN: 978-3-86828-913-8

www.djamilagrossman.com
www.tomlicht.org

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