mobile Navigation

Porträt

Der Dj ist müde

Von: Clarissa Rohrbach

11. Februar 2014

Eine ganze Generation tanzte zu den Beats von Kalabrese. Jetzt hat Sacha Winkler einen Award für den Club «Zukunft» bekommen. Doch der Musiker will aus dem Nachtleben aussteigen.

Ein Gewinner sieht anders aus. Sacha «Kalabrese» Winkler sitzt mit Rückenschmerzen vor dem Computer und starrt auf den Bildschirm. Dort reiht sich Tonspur an Tonspur. Es sind die Remixes, die ihn als DJ so bekannt gemacht haben. Sobald er die hypnotischen Beats abspielt, löst sich etwas in seinem Körper. Winkler bewegt sich im Takt und klatscht. Er vergisst hier in seinem Studio hinter dem Sexkino Roland, in einem von Efeu zugewachsenen Haus, dass es ihm an der Langstrasse in letzter Zeit zu laut war, er vergisst sogar sich selbst. «Das ist mein Schneckenhaus, hier komme ich hin, wenn ich genug von der Welt da draussen habe.» Kaum zu glauben, dass dieser Mann einer der wichtigsten Partymacher der Stadt ist.

Soeben wurde Winkler dafür prämiert. Zusammen mit dem Team des Clubs «Zukunft» gewann er den Swiss Night­life Award für den besten Club der Schweiz. Vor über acht Jahren gründeten der Zürcher und fünf seiner Kollegen das Lokal. «Damals gab es in der Stadt noch nicht so viele Clubs, wir hatten eine Spielwiese.» Die Jungs knüpften dort an, wo das Kapitel der legendären Dachkantine aufhörte. Die Zukunft war eine versteckte Höhle, ein Geheimtipp für Kenner, die gerne in den Beats abdriften. Das Kellerlokal an der Dienerstrasse besass Zauber, schenkte Ekstase.

Dieser Schwebezustand der Partygänger bewegte Winkler, sich der Dance-Musik zu widmen. «Eine gelungene Party ist wie eine Reise, die einen, ohne dass man es merkt, an die verschiedensten Orte bringt. Beim Tanzen erlebt man eine Trance, welche die Hemmungen im Kopf vergessen lässt.» Ob dieses High nicht auch stark mit Drogen verbunden sei, wollen wir wissen. «Das Zeugs habe ich ausprobiert, aber es gefällt mir nicht. Jedenfalls . . .» Der sogenannte Flow, bei dem das eine in das andere übergangslos hineinfliesst, packt den Musiker auch beim Reden, selten lässt er sich unterbrechen. Jedenfalls sei heute das Konzept von Party anders, nicht schlechter, aber anders halt.

Winkler wirkt nostalgisch. Als ob er sich nach der Zeit zurücksehne, bevor die Langstrasse zum Ballermann verkam, bevor Jugendliche en masse mit der S-Bahn anreisten, um hier ihren Überschuss an Hormonen abzureagieren. Er gibt zu, dass die Entwicklung im Kreis 4 ihm ein wenig Angst macht. «Aber ich darf mich nicht beklagen, wir von der Zukunft sind ja auch ein wenig selber Schuld an diesem Wandel», sagt der 41-Jährige.

Ein Keller – ein Club

Als Winkler Mitte der 80er-Jahre den Rhythmus entdeckte, war Zürich ruhiger. Seine Mutter schenkte ihm mit 12 Jahren ein Schlagzeug. Darauf spielte er in den 90er-Jahren mit der Hip-Hop-Band Sendak. Er liess sich als Jugendarbeiter ausbilden und war in der damaligen, meistens illegalen Szene aktiv. «Und dann, bei einer Party, entdeckte ich den Electro.» Der Sound kam aus England, in der Schweiz war er eine Neuheit. Winkler bestellte Platten und wurde zu DJ Kalabrese. Die Partys fanden im ­Untergrund statt. Eine Kerze zeigte den Weg zu einer Treppe, darunter ein Keller und Dutzende von Zürchern, die sich schrankenlos austobten. «Wir hatten kein Geld, alles war sehr familiär und improvisiert.»

Mit der Zeit entwickelte sich Zürichs Nachtleben und Winklers Musikverständnis. 2007 veröffentlichte er sein erstes Album «Rumpelzirkus», eine Mischung aus Minimal House, Funk und Folk. Darin vermischt er elektronische mit instrumentalen Klängen. «Die Dance-Musik wird meistens maschinell produziert, ich will aber, dass es rumpelt.» Seitdem ist das sogenannte «Rumpeln» sein Konzept. Er spielt zusammen mit seinem Rumpelorchester, sein Label heisst Rumpelmusig. «Musik, die rumpelt, ist nicht perfekt, so wie das Leben.» Deswegen ist für ihn wichtig, dass er auch die Samples für seine Remixes alle selber einspielt. Da sind Keyboards und Schlagzeug, aber auch Geschirr und Gummibänder. Handgemachte Details, die überraschen. Daher auch sein liebstes Eigenzitat, das im Treppenhaus hängt: «Wir spielen und tanzen zusammen ein Lied. Ein Lied, das wir nicht kennen.»

Das «Wir», das sind die «tragischen Helden der Nacht». Die Sünder, die zu lange im Ausgang bleiben, die sich so sehr gehen lassen, dass sie über ihre eigenen Probleme stolpern. «Im Club kommt es manchmal zu kleinen Dramen, das ist das Gegenteil von Coolness.» Er erzählt von Stammgästen, die, während die Putzfrau bereits sauber macht, sich über ihre Frauenprobleme ausweinen. «Wir sind eine Gemeinschaft, die Leute öffnen sich und zeigen ihre Schwächen.» Gemeinsam den Halt zu verlieren, zu stürzen, wie er es nennt, findet Winkler schön.

Er selbst stand anfangs mit wackligen Beinen auf der Bühne. «Leute zu unterhalten, machte mir Angst, es war eine gute Übung für das Selbstvertrauen.» Winkler ist ein eher schüchterner, melancholischer Mensch. «Es gibt viel Schönes im Leben, aber auch viel Einsamkeit. Musik zu machen, ist manchmal sehr einsam.» Doch die Klänge würden die Worte ersetzen, die er nicht finde, wenn die Wut, der Schmerz, die Sehnsucht zu stark werden.

Die vergangene Zukunft

Die Zukunft, die ist für Winkler nun eher Vergangenheit. Der Club mit seinen rund 80  Mitarbeitern bietet ihm eine finanzielle Sicherheit, aber er könnte sich gut vorstellen, auszusteigen. «Ein paar Jahre lang war ich vom Zürcher Nachtleben nicht wegzudenken, aber mit 41  Jahren ist man zu alt, um jeden Abend im Club abzuhängen.» Auch eine Karriere als DJ interessiere ihn nicht mehr. Zwei Stunden für betrunkene Jugendliche aufzulegen, fühle sich an wie ein Service, nicht eine Leidenschaft. «Ich muss weg von der Hektik, ich brauche jetzt Ruhe.» Jüngere mit frischen Ideen sollen die Zukunft übernehmen.

Nun will der Musiker andere Klänge finden, mehr afrikanische und neue arabische. In ferne Länder reisen und dort Kontakte knüpfen. Er habe eine musikalische Vision, sie beinhalte viel Repetition und Zärtlichkeit. Wenn möglich, möchte er auch Soundtracks für Film und Theater produzieren. Wie das genau gehen soll, weiss er noch nicht. «Ich mache aber nicht alles mit», sagt Winkler. Unwillkürlich kommt einem sein letztes Album «Independent Dancer» in den Sinn. Es ist an diejenigen gewidmet, die still und allein tanzen können und sich von den anderen absetzen. Aber auch Tänzer werden müde. 

Kalabrese tritt am 22.  Februar ab 0  Uhr in der Zukunft auf. 

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir 9 ·  
4.0 von 5

Leserkommentare

Luana Klay - Ich denke, die Menschen wollen eine Veränderung. Der Druck ist sehr zu spüren. Es liegt schon fast eine gewisse Aggression in der Luft. Die Menschen wollen auf eine gute Party gehen.
Aber was Sie, wir wirklich wollen, ist jemanden zum reden. Wir wollen unsere
mehr anzeigen ...

Vor 10 Jahren 2 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.