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Porträt

Der "fremde Fötzel" schreibt sich frei

Von: Jan Strobel

12. Dezember 2013

Unser «Tagblatt»-Kolumnist Beni Frenkel hat seine feste Hassergemeinde. Was treibt den schreibenden Primarlehrer eigentlich an? Warum provoziert er so? Ein Besuch in Frenkels Kellerraum.

Der Brief erreichte die «Tagblatt»-Redaktion Mitte November. Er war handgeschrieben, die zarten, schwarzen Buchstaben flogen wohl geordnet über das Papier: «Wenn ich noch einmal die unsympathische Fratze und die verachtenden Sprüche des ewig stänkernden Juden Beni Frenkel in Ihrer Zeitung sehe! Er soll für immer in sein gelobtes Land reisen und dafür sorgen, dass die Juden den Palästinensern ihr Recht gewähren und sie nicht schikanieren.»

Beni Frenkel hört sich das stoisch an. Antisemitische Hetze gehört zu seinem journalistischen Alltag. Dabei geht es in vielen Fällen nicht einmal um die Texte, die er für das «Tagblatt», das «Magazin», die «Weltwoche» oder für die Quartierzeitung «Zürich 2» verfasst. Für manchen Leser löst bereits sein Name die Faust im Sack aus. «Frenkel» - das signalisiert für sie Provokation, Unruhe im beschaulichen Quartier. Sein Name wird zum Synonym für einen Obsessiven, der seine Klappe nicht halten kann. Und wenn er, wie in seiner letzten «Tagblatt»-Kolumne, über die Allmend schreibt, die bekannt sei «für ihre blöden Hunde», kocht der so lange unterdrückte Hass in manchem Zürcher hoch. Im schlimmsten Fall läuft die braune Sauce über, und Frenkel wird zum «huere Jud», der «seine Nase überall reinsteckt».

Der 36-Jährige selbst sieht die ganze Unbill gelassen. «Ich habe damit kein Problem», sagt er. «Ich hatte genügend Schlägereien in der Schule, und ich muss schliesslich nicht gleich den Simon Wiesenthal, den Nazijäger, spielen. Ich habe meinen Stolz nie verloren.» Er provoziere nicht bewusst, wolle eigentlich gar nich anecken, schiebt er nach. «Ich finde es schade, dass ich oft alleine dastehe.» Für den Zuhörer kündigt sich in dieser Bemerkung dennoch bereits wieder eine dieser Frenkelschen Provokationen an - und zwar in Richtung der jüdischen Gemeinde. «Ich bin für sie immer noch der fremde Fötzel, der Paradiesvogel. Offen gestanden: Viele haben die Schnauze voll von mir. Sie haben Angst, dass ich Antisemtismus heraufbeschwöre, wenn ich mich zum Beispiel in einer Kolumne über den Lärm der Kirchenglocken aufrege. Dabei verlangen wir von den Nichtjuden, die keine Ahnung vom Judentum haben, manchmal sehr viel.» Noch nie, findet Frenkel, habe es in der Geschichte eine Zeit gegeben, in der die Juden in der Schweiz so gut leben konnten wie heute. «Dafür sollten wir vielleicht auch einmal Danke sagen.» 

Immer nur «Lämpen»
Dass Frenkel mit solchen Äusserungen alleine dasteht, überrascht wenig. Doch ein gewisses Alleinsein zieht sich eigentlich auch durch seine ganze Biographie. Schon in seiner Schulzeit im aargauischen Baden machte er, der eher unsichere Junge, «nur Lämpen». So sehr, dass er mit 14 aus der Schule flog.

In seiner Identitätssuche besann er sich auf das traditionelle jüdische Erbe. «Ich wollte religiöser werden als meine Eltern. Zum Beispiel keine Fernsehsehndungen am heiligen Sabbat mehr gucken», schrieb Frenkel einmal rückblickend. Die Gesetze der Torah, boten ihm Schranken und also auch Halt. Der Teenager fasste einen einsamen Entschluss: Er wollte  sich zum Rabbiner ausbilden lassen und zwar nicht in irgendeiner Yeschiwe, sondern an der grössten  Talmudhochschule Europas im englischen Gateshead. Frenkel nennt sie das «jüdische Oxford». In England vertiefte er sich in den Talmud und die Halacha, die Rechtsphilosophie. In den Büchern suchte der junge Frenkel sein Seelenheil.

Ein Jahr lang hielt er durch, dann kehrte er in die Schweiz zurück, legte seine religiöse Phase ab. Jetzt wollte er Arzt werden. Nach der Matura schrieb sich Frenkel deshalb an der Uni Zürich für Medizin ein, scheiterte aber an den Numerus-clausus-Prüfungen. «So wurde ich halt, wie viele anderen Studienversager, Lehrer.» Während seiner Ausbildung sammelte er erste journalistische Erfahrungen. Bei der verblichenen Pendlerzeitung «heute» zum Beispiel trat Frenkel als der «Studenten-Reporter» in Erscheinung und veröffentlichte bereits 2007 Kurzgeschichten fürs «Tagblatt». Später folgten Artikel in der «NZZ am Sonntag» und im «Magazin».

«Ich mache mich auch selber fertig»
Heilig bleibt ihm in seinen Texten von Anfang an natürlich gar nichts, am wenigsten seine eigene Person. «Ich mache mich auch selber fertig, schreibe zum Beispiel, dass ich mich dick fresse, wenn ich Stress habe.» Er erzählt auch gerne über sein «schwindendes Haupthaar» und darüber, wie er seine Ehefrau auf JDate.com, einer jüdischen Online-Singlebörse, kennenlernte.
Oder dann seine Sammelwut, die ihn zum «Asozialen» gemacht habe, bevor ihn die Hochzeit gerade noch einmal rettete. Während unseres Gesprächs sitzen wir in einem Kellerraum in der Enge, umgeben von Büchertürmen und Umzugskisten. Über die Jahre hat Frenkel hier ein Archiv jüdischer Bücher zusammengetragen, 20 000 Exemplare sollen es bereits sein. Versammelt sind in diesem Frenkel-Reich Philosphie, Belletristik, Sachbücher über Israel, hebräische Kinderbücher und natürlich der Talmud in allen möglichen Ausgaben und aus allen möglichen Epochen. Aus Schubladen quellen Tischgebete und Kippot.

Es scheint fast so, als wolle sich hier einer vergraben in seiner dauernden Identitätssuche, seine  Jüdischkeit in diesen Stapeln und Regalen ganz für sich wachsen und wirken lassen, abgeschirmt von den Ärgernissen da draussen, wo er ja sowieso der «fremde Fötzel» mit Übergewicht ist. Könnte es sein, dass Frenkels religiöse Phase sich langsam wieder Bahn bricht? Er selbst wird etwas nachdenklich bei dieser Frage. «Es ist wichtig, das Erbe immer weiterzutragen. Du kannst das nur sehr schwer abschütteln.» Doch mit all diesen Büchern, sagt er etwas ratlos, sei es eigentlich wie bei einem Date mit einer Frau: Die Realität hält nicht ein, was die Lust im Kopf einem zuflüstert. «Diese Bücher beschreiben das Judentum, seine Gesetze, seine Philosphie und Geschichte. Aber ich sitze hier in diesem Zimmer, schaue sie an und merke, dass sie eben nicht das Leben bedeuten. Das Leben findet nicht in diesen Büchern statt. Das musste ich schon damals, als Teenager auf der Talmudhochschule, feststellen.»

Vielleicht ist aber genau diese Ratlosigkeit, dieses schubweise Ringen mit der Identität der Motor für das Schreiben des Primarlehrers, für seinen unbarmherzigen, selbstironischen Witz. Und schliesslich: Was wäre das Leben ohne ein wenig Unruhe. Frenkel schmunzelt: «Ich bekomme eigentlich ganz gerne Leserbriefe.»   

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Leserkommentare

Verena Thalmann - Lieber Herr Strobel
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht über Beni Frenkel. Ich hoffe doch sehr, dass wir Zürcher endlich etwas dazu lernen, was die Judenfeindlichkeit anbelangt.Aber viele Menschen (auch ich ertappe mich manchmal dabei) wollen lieber
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Vor 10 Jahren 3 Monaten  · 
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Karin Haenni Eichenberger - Frenkel, Sie sind Hammer. Herzlichst. Eine ehemalige Wollishoferin und Wiedikerin.

Vor 6 Jahren 9 Monaten  · 
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