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Porträt

"Wo ist das Geld?" - "Wo ist der Tresor?". Bild: PD

Der Gerichtsfall: Ein fast perfekter Raubüberfall

Von: Isabella Seemann

24. März 2015

Er mimt das Unschuldslamm und fühlt sich als Opfer falscher Freunde und der Justiz. Vor Obergericht kämpft der Kosovo-Albaner für einen Freispruch – schliesslich steht auch seine Zukunft in der Schweiz auf dem Spiel.

Sie hatten das Objekt gut ausspioniert. Die Wohnung und das Büro mitsamt Hanfplantage lagen im Dachgeschoss eines Gewerbebaus an der Stadtgrenze Zürichs zu Regensdorf. Ein Kumpel hatte ihnen den todsicheren Tipp gegeben, dort seien immer Marihuana und Geld zu holen. Zu dritt würden sie kein Problem haben, falls noch jemand oben sein sollte. Sturmmasken, Handschellen und die Pistolenattrappe hatten sie dabei. Die Fluchtwege waren festgelegt. Einer schwang den Baseballschläger. Er war nervös und schaute sich um. Nichts durfte schiefgehen. Noch mal würde er sich nicht schnappen lassen. Nicht nachdem er wegen dreier Vorstrafen auf Bewährung war. Aber er hatte ein gutes Gefühl. Das Trio war aufeinander eingestimmt. Es war jetzt Punkt acht Uhr. Der Mann gab das Zeichen.

Sache gerät ausser Kontrolle

Die drei Maskierten stürmten das Büro, in dem sich die Sekretärin gerade einen Kaffee machte. Blitzschnell packte sie einer, erzwang mit der Waffenattrappe den Schlüssel, schob die verängstigte Frau in die Wohnung und fesselte sie mit den Handschellen ans Bettgestell. In dem Moment kam der Besitzer, ein italienischer Unternehmer, von einer frühmorgendlichen Baustellenbesichtigung nach Hause. «Hände hoch!», schrie einer und hielt ihn mit der Pistole in Schach, während seine Kollegen Kabel aus der Buchse zerrten und den Mann damit ebenfalls ans Bett fesselten. Die Sache geriet langsam ausser Kontrolle. Zumal just noch die Putzfrau auftauchte, die auch gleich aufs Bett gefesselt wurde. Es war wie verflucht.

Grosser Einsatz, kleine Beute

Den Frauen schlug das Herz bis zum Hals. Die schwarz vermummten Männer wirkten furchteinflössend. «Wo ist das Geld?», fragten sie und fuchtelten mit der Pistole rum, «wo ist der Tresor?», «wo ist das Gras?». Aber das Gras war unreif, einen Tresor gab es nicht. Also nahmen sie den drei Gefesselten die Portemonnaies und Handys ab. Alles in allem erbeuteten sie gerade mal 2200 Franken, die sie durch drei teilen mussten. Egal, schon in wenigen Tagen stand die nächste Sache an.

Eine traurige Gestalt kommt in den Gerichtssaal, flankiert von zwei Kantonspolizisten, die ihm die Handschellen abnehmen. Er sieht vernachlässigt aus, auf klägliche Weise frühlingshaft herausgeputzt. Heller Leinenanzug, fliederfarbenes Hemd, die obersten zwei Knöpfe offen. Dabei war es am Morgen früh noch null Grad. Er schwitzt vor Aufregung. Valon B.* legt vor Obergericht Berufung ein und fordert einen Freispruch; erstinstanzlich war er des Raubes und des Diebstahls für schuldig befunden und zu sechs Jahren Haft, inklusive der widerrufenen Bewährungsstrafen, verurteilt worden. Danach droht dem Kosovo-Albaner, der hier vor 15 Jahren eine Landsmännin heiratete, die Ausschaffung. «Ich kann doch nirgendwo hin, meine Frau und meine drei Töchter leben hier», klagt der 41-Jährige. Der Richter bittet Herrn B. nochmals aufzustehen. Ein einsachtzig grosses und hundertzehn Kilo schweres Kraftpaket. Als «fett» beschreibt ihn sein Verteidiger und entschuldigt sich sogleich. Herr B. nimmts gelassen, schliesslich hängt die Verteidigungsstrategie davon ab. Die drei Opfer hatten den Mann mit der Pistole als sportlich-muskulös beschrieben. Er kann es also gar nicht gewesen sein, weil er erstens nicht dort war und zweitens «adipös» sei und nicht muskulös.

Wut auf geständigen Komplizen

Und die Ortung seines Handys, mit dem er vom Industrieareal aus seine Frau anrief? Das war sein Kumpel, dem er das Mobiltelefon geliehen hatte. Und die gestohlenen Handys in seinem Besitz? Die hatte er auf dem Flohmarkt gekauft oder von seinem Kollegen geschenkt bekommen. Da variieren seine Angaben und sie widersprechen jenen seines Komplizen, eines 23-jährigen Thai-Boxers, der gestanden und die Verurteilung akzeptiert hatte. «Er lügt, er manipuliert alle, damit er eine geringere Strafe bekam», behauptet Valon B. stinksauer.

Schnell hatten sie das geraubte Geld verprasst, damals, als sie noch beste Freunde waren. Ein neuer Coup musste her. Sie bekamen einen Insidertipp: Ein Kollege, der bei McDonald’s in Schlieren arbeitete, hatte ihnen erzählt, der Geschäftsführer transportiere die Tageseinnahmen mit dem Auto. Sie beobachteten und verfolgten den Mann, und als er bei einer anderen McDonald’s-Filiale ausstieg und die Papiertüte mit dem Geld im abgeschlossenen Auto liess, schlug der Thai-Boxer die Seitenscheibe ein. 28’260 Franken erbeuteten sie. Der Tippgeber, der davon 2000 Franken erhalten hatte, brach bei der Einvernahme zusammen und verpfiff sie.

Der Richter erkennt keinen Grund, das Strafmass der Vorinstanz zu reduzieren. Bevor Valon B. wieder in Handschellen gelegt wird, wendet er seinen Blick der blondierten Dame mit dem getigerten Top zu, die die Verhandlung von den Publikumsrängen aus beobachtete. Sie winkt ihm zurück, bald werden sie und ihre drei Töchter ihn wieder in Pöschwies besuchen. Vielleicht ist was dran, an der alten Knasti-Weisheit, dass manche Ehe im Gefängnis besser funktioniert als draussen.

* alle Namen geändert

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