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Porträt

«Die Klassik leidet an einem verstaubten Image.» Bild: Nicolas Y. Aebi

Der Junge und sein Klavier

Von: Clarissa Rohrbach

08. April 2014

Er hat bereits in über 30 Ländern am Klavier gespielt. See Siang Wong gilt als Jungstar der klassischen Musik. Das Ziel des Neozürchers: die Klassik für die hiesigen Jungen wieder cool zu machen.

«Es war einmal ein Junge. Er verbrachte viel, viel Zeit allein. Bis ihm seine Eltern eines Tages ein Klavier schenkten. Der Junge verliebte sich in das Instrument und lernte, es meisterhaft zu spielen. Scharen von Zuhörern bejubelten das Wunderkind. Heute ist der Junge ein Mann. Er reist und reist, um Konzerte zu geben. Seine Liebe machte ihn zu einem sehr begehrten Pianisten. Und er lebte vergnügt bis an sein Ende.»

Aus See Siang Wongs Leben liesse sich leicht ein Märchen erzählen. Der 34-Jährige sitzt vor einem Kaffee, sein Jackett ist elegant, sein Mundwerk keck. Der bekannte Pianist begleitet besonnene Sätze mit energischen Handbewegungen. «Märchen, Geschichten, das war der Grund, wieso ich begann, Klavier zu spielen.» Wong erinnert sich an den Keller in Arnheim, Holland, wo das Piano stand. Seine Eltern, die einen Stock höher im Restaurant arbeiteten, hatten es ihm zum Zeitvertreib gekauft. Bevor sich der Sechsjährige aber an die Werke von Beethoven, Mozart und Debussy wagte, las er ihre Biografien in den Notenbüchern. «Während des Spielens stellte ich mir diese Männer und ihr Leben vor, das war magisch.»

Auf das Kopfkino folgte harte Disziplin. Das Wunderkind durchstöberte die Plattensammlung seiner Familie und spielte alles minutiös nach. Wong lacht über seine Entschlossenheit, ein richtiger «Freak» sei er gewesen. «Schon als Junge verspürte ich einen Drang, mich den Herausforderungen zu stellen.» Und so gewann er mit elf Jahren seinen ersten Wettbewerb. Mit zwölf gab er sein erstes Konzert im Fernsehen. Ab dann wusste Wong: Er wollte Pianist werden und ­basta.

Als Jungstudent durfte er sich an der Musikhochschule ausbilden und absolvierte nebenbei auch die Matura. Die Doppelbelastung sei hart gewesen, aber er habe es genau so gewollt. «Jeder sollte im Leben tun, was er will. So einfach ist das.» Bei Wong gibt es kein Zögern, bei seinen Auftritten kein Lampenfieber. Das verdankt er seinem Selbstbewusstsein, aber auch seinen chinesischen Wurzeln. «In Asien ist die Erziehung strenger, man ist daran gewöhnt, immer das Beste zu geben.» Geholfen hat Wong auch seine Frechheit. Er genierte sich nicht, bekannte Pianisten zu fragen, ob er ihnen vorspielen dürfe. Homero Francesch, einer dieser Mentoren, riet ihm schliesslich, von Holland nach Zürich zu ziehen.

17-jährig und mutterseelenallein bildete er sich an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) zum Konzertpianisten aus. Fünf Jahre später wurde er dort zum jüngsten Dozenten überhaupt. Heute ist Wong ein Zürcher, er wurde soeben eingebürgert. Zürich sei nun seine Heimat, obwohl er sich eigentlich überall wohlfühle. In über 30 Ländern hat er bereits Konzerte gegeben. «Andere Weltbilder helfen mir, offen zu bleiben», sagt er in gepflegtem Hochdeutsch.

Klassik soll wieder «cool» sein

Bei seinen Konzerten erzählt Wong immer noch Geschichten. Er spricht zum Publikum, erklärt, wie ein Stück entstand, und macht es so lebendig. Wie zum Beispiel Debussys «Pagoden», in denen der Impressionist die asiatischen Türme mit den Tönen nachgezeichnet hat. Andere Male lässt der Pianist einen Zuschauer an den Klavierseiten zupfen, um die Musik zu spüren.

«Die Leute müssen sensibilisiert werden. Denn die Klassik leidet unter einem verstaubten Image.» In Südamerika und Asien sei das anders, dort fänden die Jungen klassische Konzerte «cool», weil sie einem westlichen Lebensstil nacheiferten. Hierzulande versucht man mit Veranstaltungen wie der Tonhalle Late, bei der eine Party nach dem Konzert steigt, ein neues, junges Publikum anzuziehen. Auch Wong möchte den Einstieg in die klassische Musik erleichtern und hat eine CD «Piano Movie Lounge» mit Songs aus Filmen wie «Ziemlich beste Freunde» oder «Amélie» veröffentlicht. «Es sind zugängliche Stücke, die jedem ­gefallen. So kann man die Hemmungen gegenüber dieser Musik abbauen.» Dafür genüge es auch schon, Ludovico ­Einaudi oder Yann Tiersen zu hören.

Auch bei seinem neusten Projekt, ­einer CD mit den Werken der vier Bach-Söhne, will der Musiker ein Stück Musikgeschichte retten. «Bach hatte seine Söhne sehr gefördert, aber heute sind sie in Vergessenheit geraten.» Pünktlich zum 300. Geburtsjahr von Carl Philipp Emanuel Bach, dem bekanntesten von ihnen, lässt Wong die heiteren, schnellen Töne wieder aufklingen.

Und diese spielt er glasklar. Wong beschreibt seine Interpretationen als «nicht gekünstelt». Ein Pianist sei wie ein Regisseur, die Partitur das Drehbuch und die Stimmen die Schauspieler. Bei jedem Interpret entstehe so ein anderer Film im Kopf der Zuhörer. Aber schliesslich habe immer derjenige das letzte Wort, welcher die Story geschrieben habe, also der Komponist. «Ich versuche jede Musik so zu spielen, wie sie klingen sollte, es geht nicht darum, zu zeigen, wie virtuos ich bin.»

Obwohl er immer neue Komponisten bekannt macht, hat Wong seine grossen Lieben: Schumann und Chopin. «Es ist wie in einer Beziehung: Mit einem gewissen Menschen klickt es einfach, mit anderen macht man wieder Schluss.» Doch seine Suche geht weiter, das verdankt der Pianist seiner buddhistischen Lebensphilosophie. «Es gibt kein Richtig oder Falsch, ich bleibe gelassen und werde wohl für immer Neues entdecken, die Musik ist ja endlos.» Und vielleicht wird See Siang Wong auch den einen oder anderen mit seiner Liebe anstecken.

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