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Porträt

Regisseur und Direktor des Theaters am Hechtplatz: Dominik Flaschka spielt gerne den Chef. Bild: Nicolas Y. Aebi

Der Lausbub vom Hechtplatz

Von: Clarissa Rohrbach

12. Januar 2016

Dominik Flaschka ist zurzeit der begehrteste Regisseur des Landes. Nach seinem Hit «Ost Side Story» bringt er jetzt «Mein Name ist Eugen» auf die Bühne.

Die Politesse schaut streng. «Hundescheissdreck macht 40 Stutz. Aha, Sie sind aus St. Gallen? Macht noch mal 40 Stutz.» Der Witz sitzt, das Publikum bricht in Gelächter aus. Die Szene ist aus «Ost Side Story», Dominik Flaschkas neuestem Erfolg. Im Musical kämpfen Fussballfans um ein Mädchen, FCZ gegen FC St. Gallen. Das Stück war so häufig ausverkauft, dass es verlängert wurde. Denn wenn Flaschka Regie führt, ist der Saal voll. Der 44-Jährige gilt als Meister des intelligenten Boulevards. Er spickt seine Geschichten mit kleinen Pointen, den alltäglichen Aufregern, die jedem auffallen und bei denen man denkt: «Stimmt, genau so ist es, endlich sagt es jemand.» Sein Geheimnis: Zürich aufsaugen, spüren, was in der Luft liegt, was die Leute beschäftigt. Nicht selten wird er auch bösartig und lässt seine Protagonisten zynische Witze reissen. Wie etwa eine Koksnase, die singt «In Züri gibts auch im Sommer Schnee». Und dann sind da natürlich die Musik und der Tanz. Bei Flaschka wird es bunt und schrill, die Zuschauer gehen leicht und berauscht aus dem Theater.


Im Herbst landete Flaschka seinen bisher grössten Coup. Er gewann den Deutschen Musical Theater Preis für die beste Regie in «Ost Side Story». «Plötzlich erlebe ich eine ganz neue Art von Respekt.» Denn in seinem Metier kämpfe man mit Vorurteilen. Er erinnert sich an seine Kommilitonen von der Schauspielakademie, die sich über ihn, den «Musical-Fuzzi», mokierten, weil er nur «Säich» auf der Bühne macht. «Das hat mich damals getroffen. Heute nehme ich es nicht mehr persönlich. Die sogenannte Hochkultur schaut auf uns herab. Dabei sind wir wahnsinnig gut!», schmunzelt Flaschka. Nichts scheint seine gute Laune trüben zu können, das schlaue Lächeln ist angeboren.


Als Bub führte er Kasperlitheater in der Garage auf. Und die zersägte Jungfrau, diesen «blutigen» Zaubertrick, mit einer Menge Erdbeer­konfitüre. Mit 17  Jahren zog er für eine Tanzausbildung nach Ulm. Die Eltern waren besorgt, er solle doch etwas Handfestes lernen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Doch Flaschka wollte nur ins Theater. Er sprach bei Schauspielschulen vor, dreizehn insgesamt, fiel aber überall durch. In Zürich – seiner letzten Hoffnung – durfte er schliesslich das klassische Schauspiel lernen. «Wenn sie mich nicht genommen hätten, wäre ich am Boden zerstört gewesen.» Doch glücklich war er in diesen Jahren trotzdem nicht. Man habe ihn nur gelehrt, was er nicht könne, anstatt ihm zu zeigen, was seine Talente sind. «Ich hatte dann zwar ein Diplom in der Hand, aber auch furchtbare Angst.»


Die Erleuchtung kam im St.-Pauli-Theater in Hamburg. Dort sah Flaschka erste Stücke «mit Schmackes». Dieses freche und frische Theater, das wollte er auch machen. «Aber die Leute rissen sich nicht um mich als Schauspieler. Also begann ich volle Pulle mit meinen eigenen Projekten.» 1995 gründete er mit Lea Hadorn die Shake Musical Company. Ihr erstes Stück: «Lollipop», eine 50er-Jahre Schlagerrevue. Wenn Flaschka heute die Videoaufnahmen sieht, kommt es ihm dilettantisch vor. Kostüme, Bühnenbild, alles machten sie selber. Es folgten Produktionen wie «Bunter Honig – das Bienengrusical». Hauptsache schräg. Und so etablierte sich Flaschka als Regisseur eines Genres, das in der Schweiz nur er beherrscht: der perfekt inszenierte Nonsens.


Chef eines Gemischtwarenladens
2002 machte Flaschka einen grossen Schritt: Er wurde Direktor des Theaters am Hechtplatz. Das kleine, nostalgische Haus, ein 1959 zum Cabaret Fédéral umgebautes Feuerwehrdepot, zog ihn an. «Die Vorstellung, mein eigenes Theater zu leiten, war unglaublich romantisch.» Doch der Wandel von der Off-Off-Szene zum städtischen Betrieb ging nicht ganz schmerzlos an ihm vorbei. Plötzlich war da der ganze administrative ­Papierkram, Flaschka kam auf die Welt.


Heute ist das Hechtplatz eines der wenigen Theater, das steigende Besucherzahlen verbucht. Sein Erfolgsrezept: beste Unterhaltung. Flaschka hat es einmal mit Samuel Beckett versucht – eine Katastrophe. Denn wer ins Hechtplatz kommt, will vor allem amüsiert werden. Flaschka nennt es liebevoll «meinen Gemischtwarenladen». Vom Räuber Hotzenplotz bis zu Michael Elsener, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Das Publikum sei sehr unterschiedlich, man erkenne es an den Konsumationen: Thiel-Fans würden Prosecco trinken, Gardi Hutters Anhänger Tee – vielleicht mit etwas Rum –, witzelt er.


Vor seinem Engagement in Zürich war Flaschka in Deutschland heiss begehrt. Er dozierte an der Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München und schrieb dort so gute Stücke, dass sich Kabarettisten wie Gerhard Polt um ihn rissen. «Aber ich wollte Theater machen für ein Publikum, das ich kenne. Deswegen entschied ich mich, hier zu bleiben.» Es sei für ihn wichtig, eine Produktion bis zur Derniere mitzuverfolgen, die Zuschauerreaktionen in die Aufführungen einzubauen.


Flaschka ist gerne der Chef. Aber trotz dominanter Ader lässt er seinen Schauspielern Freiheit. Sie sollen ihre Rolle selber entwickeln können. Nicht selten wird ihm vorgeworfen, er arbeite immer mit den Gleichen. «Ich probiere, die Ensembles zu durchmischen, aber mit Leuten, die sich kennen, ist es schlicht einfacher.» In seiner Clique weiss er, wer zu wem passt. Das Hechtplatz sei so klein, dass man wirklich Lust haben müsse, auf so engem Raum zusammen «Blödsinn» zu machen.


Dass Tiere singen und Gegenstände durch die Gegend fliegen, kommt bei Flaschka nicht selten vor. Wie etwa in seinem Hit «Ewigi Liebi», in dem sich zwei Murmeltiere ineinander verlieben. «Ich will den Theaterzauber ausnutzen, ich sehe keinen Sinn darin, die Realität eins zu eins nachzuahmen.» Es sei kein Zufall, dass das englische Wort für Theaterstück «play» (Spiel) sei. Flaschka trickst gerne, sodass die Illusion blossgestellt wird, deswegen aber nicht weniger effektvoll ist. Die Leute sollen staunen.


Zurzeit arbeitet Flaschka an «Mein Name ist Eugen». Das Musical feiert im März Premiere. Am Morgen Büroarbeit, am Nachmittag proben, am Abend schreiben: Seine Arbeit sei hart wie jede andere. Der Regisseur ist nicht häufig in seiner 2½-Zimmer-Wohnung an der Schipfe. Seit elf Jahren ist er fest mit dem Sänger Eric Hättenschwiler liiert. Gerne reist er nach Berlin oder New York und zieht dort bis tief in die Nacht um die Häuser. «Auch hier ist früher die Post abgegangen», sagt Flaschka, während er sich im Rathaus-Café umschaut, Schalk in seinen Augen. Er wirkt wie ein Lausbub, der mit spitzer Feder und eingängigen Melodien seine Streiche spielt.

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