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Porträt

Der Mann, der Frieden stiftet

Von: Ginger Hebel

20. Februar 2013

Robert Schönbächler war einst der höchste Zürcher. Seit bald zwanzig Jahren arbeitet der ehemalige CVP-Mann als Friedensrichter und versucht mit gutem Einfühlungsvermögen zerstrittene Parteien zu versöhnen.

Ein streitlustiger Mensch ist Robert Schönbächler nicht. Aber Streitereien gehören seit bald zwanzig Jahren zu seinem Alltag – er ist Friedensrichter. Der 61-Jährige behält selbst dann die Contenance, wenn in seinem Büro verfeindete Parteien sitzen, lautstark diskutieren und auf ihrem Recht beharren – zum Beispiel, wenn Stockwerkeigentümer darüber streiten, wo der Sandhaufen für die Kinder hinsoll. «Wenn ihn keiner vor dem Fenster ­haben will, dann geht es darum, Lösungen oder Kompromisse zu suchen», sagt Schönbächler. Auch Bäume und Büsche, die die Aussicht versperren, sind Grund zur Klage. Das Arbeitspensum der städtischen Friedensrichter ist aktuell besonders hoch. 3389 Schlichtungsgesuche sind 2012 erledigt worden, 285 mehr als im Vorjahr. «Unbezahlte Handy- und Kreditkartenrechnungen sind unter anderem ein zunehmendes Problem», sagt Schönbächler. Meistens aber behandeln die Friedensrichter arbeits­rechtliche Klagen – Kündigungen, nicht ausbezahlte Gehälter, schlechte Arbeitszeugnisse. Schönbächler hört zu, versucht die verhärteten Fronten aufzuweichen und informiert über die Möglichkeiten, welche die Leute haben, um sich im einfachen Verfahren zu einigen. Er kanns mit dem Sozialhilfeempfänger genauso gut wie mit dem querulierenden Jugendlichen oder dem Unternehmer. «Bei mir sitzen Menschen aller Schichten, mit ­ihnen ‹verhändele›, das liegt mir.» Bei Schönbächler merkt man sofort, dass er ein waschechter Zürcher ist. Er redet schnell, viel und geradeaus. «Ich muss das Gespräch in Gang halten, schauen, dass es nicht ausartet und möglichst rasch eine Lösung gefunden wird.» Er versteht sich auch als Mediator, denn seine Aufgabe ist es, zu schlichten und Frieden zu stiften.

1994 wurde er zum Friedensrichter gewählt. Im Friedensrichteramt am Wipkingerplatz ist er zuständig für die Kreise 6 und 10, zudem ist er Präsident des Verbandes der Friedensrichter Bezirk Zürich. Er identifiziert sich voll und ganz mit seinem Job. «Ich gehe jeden Tag gerne arbeiten, auch an Montagen.» Das Verfahren beim Friedensrichter ist günstig, die Preise variieren, je nach Klage, ab 65 Franken; teurer als 1240 Franken wird es nie, auch wenn es sich um mehrere Millionen Franken handelt. Letztes Jahr lag der niedrigste Streitwert bei 58 Franken, der höchste bei 123 Millionen. Innert zweier Monate, nachdem der Kläger das Schlichtungsgesuch schriftlich eingereicht hat, muss eine Verhandlung stattfinden. «Schneller als bei uns geht es nirgends. Die meisten Leute ziehen heute oft nicht mehr vors Gericht, weil sie lange und teure Prozesse scheuen. Zudem ist es ein Unterschied, ob man recht hat oder recht bekommt.»

Vom Bähnler zum höchsten Zürcher

Schönbächler wuchs mit zwei Brüdern in Zürich-Oberstrass auf. Sein Vater war der erste Drogenkommissär der Stadtpolizei, «wir Buben wussten schon, was Drogen sind, da hatten andere davon noch gar keine Ahnung». Als die offizielle Schulzeit vorbei war, hatte er keine Lust auf noch mehr Schule, er wollte arbeiten. Er machte eine Lehre als Bahnhofvorstand bei den SBB, verkaufte Billette, stellte Weichen und erteilte Abfahrtsbefehle. «Mit 19 hat man mich an ein Stellwerk gestellt, es gab noch keine Handys, wir mussten teilweise noch morsen. Ich hatte Verantwortung, das gefiel mir.» Er arbeitete sich bis zum stellvertretenden Dienstchef im SBB-Reisedienst hoch und organisierte und verkaufte 15 Jahre lang Geschäftsreisen. Er lebte in einer Eisenbahner-Baugenossenschaft bei der Josefwiese und setzte sich schon damals für den Kreis 5 ein. «Das haben auch unsere Lehrer gesagt, dass wir uns einmal engagieren sollen, schliesslich haben wir in der Schweiz ein Milizsystem.» Schönbächler war Schul- und Kirchenpfleger und trat 1992 dem Gemeinderat bei, obwohl er gar nicht kandidiert hatte. Weil aber niemand aus der CVP  5 das Amt übernehmen wollte, sagte der motivierte Schönbächler zu. «Ich dachte damals, ich könnte die Sitzungen besuchen, zuhören und lernen, aber so war das nicht.» Stattdessen musste er von Beginn an reden und seine Meinung vertreten. Es verging kaum eine wöchentliche Gemeinderatssitzung, die nicht den Kreis 5 betraf. «Ich musste immer etwas sagen, zur Drogen- und Sicherheitsproble­matik, zu den Hausbesetzungen, zu Schul- und Verkehrsfragen.» 2009 wurde der CVP-Mann zum höchsten Zürcher gewählt und hielt für ein Jahr die Zügel im Stadtparlament in den Händen. In seiner 18-jährigen Politkarriere hat er über 200 Vorstösse eingereicht. Der erste forderte tiefere Schülerzahlen in den Volksschulklassen, sein erfolgreichster betraf das Wipkingerviadukt. Als ehemaliger Eisenbähnler konnte er da aus dem Vollen schöpfen. Wegen der Bahn 2000 wollten die SBB das Viadukt auf der Seite mit den Genossenschaftswohnungen von zwei auf vier Spuren ausbauen – ein No-Go für Schönbächler. Mit dem Durchgangsbahnhof brachten sie einen Gegenvorschlag, so konnten sie den Ausbau des Viadukts auf vier Gleise verhindern und die Idee mit den heutigen Ladengeschäften umsetzen. 2010 gab er seinen Rücktritt bekannt, Nachfolger wurde sein Sohn Marcel.

Im Kreis 5 lebt er seit vierzig Jahren. Mit seiner Frau wohnt er in einem der   farbigen «Sugus-Häuser» bei den Bahngleisen. Er kennt jede Ecke und will nicht weg, auch wenn er die Hardbrücke schon immer hätte in die Luft schiessen können. «Sie ist ein Schandfleck. In Flüelen, in Visp, am Brünig, im Jura, überall hat es Tunnel und Umfahrungen, nur in Zürich nicht.» Die städtebauliche Entwicklung bereitet Schönbächler etwas Mühe. «Alles ist überbaut; zu wenig benutzerfreundliche Grünflächen. Ich finde es schade, dass es etwas aus dem Ruder gelaufen ist.»

In seinem Leben regen sich aber meist andere auf. Kürzlich wurde wieder ein Nachbarschaftsstreit in seinem Büro ausgetragen. Der Beklagte hielt Hühner in seinem Vorgarten. Sie flogen rüber zum Kläger und frassen den Rasen kahl. Schönbächler versuchte die erbosten Nachbarn zu besänftigen und kam mit Lösungsvorschlägen: ein Maschendrahtzaun, den Hühnern die Flügel stutzen, ein Umzug? Doch umziehen will erfahrungsgemäss in so einer Situation kaum einer, genauso wenig wie nachgeben. Schönbächler: «Es braucht meist einen Dritten, der von aussen auf das Problem schaut und sagt, wann ‹Stopp› ist.» Er hat ihnen klargemacht, dass ein Streit auf Dauer krank macht, ein allfälliger Prozess teuer wird und der Ausgang ­ungewiss ist. Sie haben das Kriegsbeil begraben.«Im Endeffekt geht es den Leuten gar nicht so sehr darum, recht zu haben. Es geht ums Geld.» 70 Prozent aller Klagen werden deshalb mit einem Vergleich erledigt, anerkannt oder zurückgezogen. Schönbächler ist sich sicher: «Ein schlechter Kompromiss ist besser als ein langer Prozess.» 

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