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Porträt

"Wir Pfeifenraucher sind gemütliche Menschen." Bild: Sara Merz

Der reine Genuss, der in die Nase sticht

02. Februar 2011

Pfeifenraucher Victor Rothenfluh pafft seit seiner Jugend aus Überzeugung. Vom Zeitgeist lassen er und seine Raucherfreunde sich nicht beeindrucken.

Der Kuss war ein echtes Problem. Victor Rothenfluh sass im Zug und überlegte sich, was er tun könnte, damit sein Vater zu Hause den Tabak nicht riechen würde bei der Begrüssung. Heimlich hatte er sich eine Pfeife gekauft. Die rauchte er jetzt in seinem Abteil, mit langsamen Zügen, mit Blick auf den Zürichsee in der Abenddämmerung. Der Duft nach Virginiatabak und Vanilleessenzen breitete sich im Waggon aus. Das Gefühl, endlich erwachsen zu sein, war erhebend.

Doch die Worte des Vaters daheim holten ihn wieder zurück. «Victor, du hast geraucht, ich rieche das.» Es war keine Schelte, mehr eine kameradschaftliche Ermahnung, dass es noch nicht Zeit sei für den Genuss. Denn als Victor 17 Jahre alt wurde, nahm der Vater selbst plötzlich eine Pfeife aus dem Sack, eine Dunhill, feinste Verarbeitung, mit dem charakteristischen Punkt aus Elfenbein auf dem Mundstück. «Gnade dir Gott, wenn es dir schlecht wird», sagte der Vater und überreichte das Stück seinem Sohn.

Liebe auf den ersten Blick
Genau diese Dunhill hat Rothenfluh auch an diesem Morgen, fast 50 Jahre später, mit dabei. Sie ist seine Begleiterin, er hegt und pflegt sie wie andere ihren Mercedes. Denn die Pflege, die ist das Wichtigste, und sie hat etwas Kontemplatives wie das Rauchen selbst. Wenn sich Rothenfluh mit seinem Pfeifenbesteck hinsetzt, die Aschereste aus dem Pfeifenkopf klopft und mit dem stumpfen Löffel die Kohlereste von der Innenwand entfernt, spielt Zeit keine Rolle mehr. Die Prozedur ist fast schon eine Ehrensache. Zu pflegen gibt es einiges. «Zu Hause habe ich 52 Pfeifen. Von der afrikanischen Kürbispfeife bis zur dänischen Freehand. Jeden Tag nehme ich eine andere mit, wenn ich aus dem Haus gehe. Ich rauche sie alle», sagt Rothenfluh und streicht mit den Fingern über den Holm seiner Dunhill.

Der 61-Jährige beginnt zu erzählen, wie so ein Schmuckstück entsteht. Er redet über das Holz aus der Wurzelknolle der Erica Arborea, das mindestens 50 Jahre alt sein muss. Wie es in Scheiben geschnitten und 20 Stunden gekocht wird. Wie es danach drei Jahre an der Luft zum Trocknen liegen bleibt, bis daraus eine Tabakpfeife zurechtgeschliffen werden kann. «1200 Grad herrschen im Innern einer Pfeife. Nur dieses Holz widersteht dieser Temperatur», sagt Rothenfluh.

Das hat seinen Preis. Eine Pfeife unter 100 Franken kommt für einen echten Raucher nicht in Frage. Manche Stücke, die Rothenfluh zu Hause hat, kosten bis zu 2000 Franken. Bei jeder einzelnen sei es Liebe auf den ersten Blick gewesen. «Sehe ich ein Modell im Schaufenster, das mir gefällt, muss ich es haben. Früher, als ich noch keine Familie hatte, war das natürlich leichter.» Heute geht er nur noch ab und zu auf Einkaufstour, manchmal in Begleitung seiner Frau.

Sie hat seine Leidenschaft lange geteilt, rauchte selbst Pfeife, eine spezielle, filigrane Damenpfeife. Vor Jahren hörte sie allerdings damit auf. Wenn Rothenfluh jetzt zu Hause rauchen will, muss er auf den Sitzplatz, oder er zündet sich eine auf dem Weg zum Bezirksgericht Horgen an, wo er als Hauswart arbeitet. Doch eine Pfeife verlangt Musse, gut eine Stunde dauert der Genuss, wenn man nicht unterbrochen wird. Im Sommer nimmt sich Rothenfluh deshalb schon mal ein Bierchen mit und zieht sich auf sein Segelboot auf dem See zurück. «Wir Pfeifenraucher sind gemütliche Menschen, wir hetzen nicht. Das ist der Unterschied zu den Zigarettenrauchern, die mehr die Distanz suchen und vom Stress herunterkommen wollen», ist Rothenfluh überzeugt.

Gerade deshalb hat das Rauchverbot die Pfeifenraucher besonders hart getroffen. Die Nischen für diese Kultur sind fast gänzlich verschwunden. Sich in ein enges, ungemütliches Fumoir zu zwängen, funktioniert nicht. Der Duft einer Pfeife ist bekanntlich nicht jedermanns Sache.

Rauchen ist auch ein Sport
Zum Glück hat Rothenfluh seine Rauchgenossen vom Pfeifenclub Zürich, dessen Präsident er ist. Doch auch für diese kleine Gemeinschaft von Freunden wurde es schwierig. Sie hatten plötzlich kein Stammlokal mehr. Die Suche gestaltete sich mühsam.

Ein bisschen wehmütig erinnert sich Rothenfluh an die Zeiten, als er 1972 in Lausanne bei der Gründung des Schweizerischen Pfeifenclubs mit dabei war. Damals galt die Pfeife noch als männliches Accessoire schlechthin, besonders bei Intellektuellen. Für Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt war sie unverzichtbar. Staatsmänner wie Helmut Schmidt oder Schauspieler wie Paul Newman schworen auf die stilvolle Pafferei.

Doch irgendwann geriet die Pfeife ins Hintertreffen, der Nachwuchs blieb aus. Heute kämpft sie mit dem Klischee des ungesunden Altväterischen. Auch der Pfeifenclub Zürich merkt das. Die meisten der Mitglieder sind über 50. Doch vom spröden Zeitgeist lassen sich die Herren um Rothenfluh nicht beeinflussen.

Sie begreifen das Rauchen sogar als Sport und treffen sich mit anderen Clubs aus dem In- und Ausland zum grossangelegten Wettrauchen. «Das ist eine richtige Meisterschaft mit festgeschriebenen Regeln», erklärt Rothenfluh. Alle Teilnehmer erhalten dieselbe Pfeife, drei Gramm Tabak, einen Stopfer und Streichhölzer. Wer die Pfeife am längsten rauchen kann, gewinnt. «Das funktioniert aber nur, wenn man sie richtig gestopft hat. Im Stopfen einer Pfeife liegt die ganze Kunst.» Je nach Schnitt des Tabaks sei nämlich der Stopfrhythmus anders. «Je gröber der Tabak, umso fester musst du stopfen», sagt Rothenfluh, der, während er erzählt, am liebsten seine Dunhill anzünden würde. Er hat sogar seinen Lieblingstabak dabei, den Virginia mit Vanilleessenz. Aber natürlich geht das eigentlich nicht, hier, im Bezirksgericht, obwohl er es sich manchmal in seinem kleinen Büro nicht verkneifen kann, ein paar Züge zu rauchen. Die Mitarbeiter verargen es ihm nicht.

Gottlob hat sich für Rothenfluhs Pfeifenraucherclub das Problem mit dem Stammlokal gelöst. Die Männer treffen sich jetzt jeden letzten Dienstag des Monats im Restaurant Werdguet an der Morgartenstrasse. Dort fanden sie ein grosszügiges Fumoir, das alles bietet, was es zum gemütlichen Paffen braucht. Die Freunde diskutieren an diesen Abenden über Tabakaromen oder träumen von Pfeifen, die sie sich noch anschaffen möchten. Rothenfluh hat jetzt auch einen eigenen Aschenbecher für den neuen Stammtisch besorgt. Einen extra grossen.

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