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Porträt

Vor einem knappen Jahr erhielt Eva Gomez die Diagnose Brustkrebs. Sie hat den Kampf gewonnen.

Der Tanz zurück ins Leben

Von: Ginger Hebel

31. Mai 2016

Schicksal: Mit 40 erkrankte Eva Gomez an Brustkrebs. Heute, ein Jahr später, scheint die Krankheit besiegt. Sie ist überzeugt: Das Leben ist schön, auch mit einer Krebsdiagnose.

Juli 2015. Eva Gomez freut sich auf die Sommerferien mit ihrem Mann und den beiden Kindern in ihrer Heimat Cádiz in Spanien. Eine Woche vor dem Abflug erhält sie die niederschmetternde Diagnose Brustkrebs. Beim Abtasten spürte sie Knollen in der Brust, doch eine Mammografie zeigte keinerlei Auffälligkeiten. «Ich hatte Schmerzen in der Brust, aber es beunruhigte mich nicht, denn man sagt ja immer, Tumore tun nicht weh.» Als ihre Lymphknoten anschwollen, liess sie eine Biopsie machen. Der Befund: schnell wachsende, aggressive Tumore. Sie mussten weg, und zwar schnell. «Zum Glück hatte ich keine Metastasen, keine Ableger», erzählt Eva Gomez.

Wenige Tage nach der Diagnose folgte die erste Chemo. Sie wusste, dass ihre langen braunen Locken höchstwahrscheinlich ausfallen würden, also ging sie zum Coiffeur und liess sie sich kurz schneiden. Nach den ersten drei Behandlungen rasierte sie sich den Schädel kahl und trug ein Tuch; wenn sie ihre Kinder in der Schule abholte, griff sie zur Perücke, «damit fiel ich weniger auf». Ihr sechsjähriger Sohn sagte zu ihr: Wenn du wieder Haare hast, dann bist du wieder gesund, gäll, Mami. Es folgten 16 Chemotherapien, eine Sitzung pro Woche. Die ersten Tage nach einer Chemo seien jeweils die schlimmsten gewesen. Ihr war schlecht, sie mochte kaum sprechen, «ich war unbrauchbar.» Erst vier Tage nach einer Behandlung ging es ihr langsam wieder besser. «Man kann sich das kaum vorstellen, aber das Schönste damals war, in die Migros einkaufen zu gehen – einfach, weil man wieder in der Lage war, etwas selbstständig zu unternehmen.» Doch dann folgte bereits die nächste Chemo. Zum Ende der Therapie fielen ihr auch die Augenbrauen und Wimpern aus, «das fand ich noch schlimmer als die Haare, denn ohne Wimpern und Brauen sieht man so krank aus».

«Es lohnt sich zu kämpfen»

Vor 20 Jahren gründete Eva Gomez in Zürich die Tanzschule Escuela de Arte Flamenco. Hier unterrichtet sie Kinder, auch ihre eigenen, sowie Erwachsene. «Flamenco ist ein schwieriger, emotionaler Tanz. Er ist mein Leben.» Ein gesunder Lebensstil war ihr immer wichtig, sie raucht nicht, ernährt sich bewusst und tanzt, seit sie klein ist. Wann immer sie während ihrer Erkrankung die Kraft aufbrachte, ging sie in ihre Tanzschule. Sie wollte sich nicht verstecken und abkapseln, nur weil sie krank war. «Ich hatte ja nichts verbrochen.» Ihr Mann, der eine Reinigungsfirma besitzt und selber Flamenco tanzt und unterrichtet, übernahm abends ihre Stunden, er arbeitete fast rund um die Uhr und kümmerte sich um die gemeinsamen Kinder. «Er war mir eine grosse Stütze», sagt Eva Gomez. Er brachte sie oft zum Lachen, auch wenn ihr nicht zum Lachen zumute war. «Es gab nicht nur dunkle Tage während meiner Krankheit. Die schönen Momente erlebte ich noch intensiver.» Auch ihre zwölfjährige Tochter half im Haushalt mit. Man muss sie nicht dazu auffordern, den Geschirrspüler auszuräumen, sie macht das von sich aus.

In ihrer Familie war Brustkrebs nie ein Thema, doch ihr Vater hat eine ähnliche Leidensgeschichte, auch er hat den Krebs besiegt. Sie wird nie vergessen, wie er reagierte, als sie ihm die Hiobsbotschaft überbrachte. «Nein, nicht du, es hätte noch einmal mich treffen sollen. Ich weiss doch jetzt, wie es geht.» Die Strapazen hat Eva Gomez verdrängt. «Es ist wie nach einer Geburt. Das Hirn befindet sich in einer Art Dämmerzustand. Man vergisst den Schmerz, sonst würde man nie mehr ein Kind gebären wollen», ist sie überzeugt.

Die Chemo hat die Tumore vernichtet. Mitte Januar musste sie sich einer Operation unterziehen. Zu Beginn hiess es, die Brust muss weg, man sprach über eine Prothese und einen Brustaufbau. Die 41-Jährige arrangierte sich mit dem Gedanken, sagte sich, na gut, dann kommt die Brust halt weg, ich will leben. Doch die Ärzte konnten sie brusterhaltend operieren. Noch schmerzen die Narben, auch die Gelenke tun ihr weh. Es wird seine Zeit dauern, bis sich die Haut beruhigt hat und das Gift aus ihrem Körper verschwunden ist.

Mitte April hatte sie ihre letzte Bestrahlung. Die Haare wachsen wieder, sie sind jetzt fünf Zentimeter lang. Eva Gomez steht im Tanzsaal in ihrer Flamencoschule vor dem grossen Spiegel. Sie erzählt ihre Geschichte tapfer, denn sie will Betroffenen Mut machen. Das Leben, sagt sie, sei auch mit einer Krebsdiagnose schön, «es lohnt sich zu kämpfen». Sie unterrichtet wieder und tanzt sich ins Leben zurück. «Die Schule läuft so gut wie nie.»

Nach einer Krebserkrankung krempeln viele ihr Leben um, wagen einen Neuanfang. Eva Gomez hat der Familie und sich selber nach dieser schweren Zeit eine Freude gemacht und zwei Kätzchen ins Haus geholt. «Ich wüsste nicht, was ich anders oder besser machen müsste im Leben. Ich war vorher glücklich, und jetzt bin ich es auch.» Der Tag der Krebsdiagnose jährt sich bald. Die Familie freut sich auf die Sommerferien in Spanien. Die Flüge sind gebucht, aber mit der Vorfreude ist Eva Gomez zurückhaltender als früher. «Richtig freue ich mich erst, wenn ich im Flieger sitze und endlich wieder das Meer sehe.»

Sie hatten einen Unfall, wurden Opfer eines Verbrechens oder erlitten andere Schicksalsschläge? Melden Sie sich bei uns. ginger.hebel@tamedia.ch

 

 

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