mobile Navigation

Porträt

Das allerletzte Gebäude seiner Modell-Altstadt: Das Geschäftshaus an der Ecke Rudolf-Brun-Brücke/Mühlegasse.

Die Altstadt in der Wohnung

Von: Stine Wetzel

07. August 2018

13 Jahre lang baute der pensionierte Architekt Franco Maria Richner in seiner Wohnung im Seefeld Kartonmodelle von der Zürcher Altstadt. Für die Ausstellung «Mis Züri» stellt er nun seine Kleinformat-Altstadt im Alterszentrum Klus-Park das erste Mal komplett auf.

Es gibt wohl niemanden, der die Zürcher Altstadt besser kennt als er: Franco Maria Richner hat die letzten 13 Jahre das historische Zentrum nachgebaut, originalgetreu in einem Massstab von 1:133. 65 Häusergruppen à vier Häuser stehen in seinem Wohnzimmer verteilt. Diese Woche stellt er sie zum ersten Mal komplett auf, und zwar im Theatersaal des Alterszentrums Klus-Park. Dort wird seine Ausstellung «Mis Züri» vom 11. bis zum 18. August zu sehen sein – ein Geschenk an sich selbst zu seinem 80. Geburtstag.

Richner und seine Frau Ursula sitzen am Esstisch in ihrer Wohnung im Seefeld, in ihrem Rücken unzählige Miniaturfassaden, von Hand gemalte Pflastersteine, winzig kleine Ziegel. Ursula Richner kennt sie alle. «Ich staube sie ja seit Jahren vorsichtig ab», sagt sie und lacht. Keines der Modelle habe in all den Jahren seine Farbe verloren.

Im Nebenraum: Richners Arbeitsplatz. Hier stapeln sich die Pergamentrollen, auf denen er seine Modelle gezeichnet hat – «so detailliert, als würde ich eine Baueingabe machen wollen» –, hier liegen unzählige Stechbeitel, Cutter, seine Bleistifte, Farbmusterblöcke, Spezialwasserfarben und Kartons.

Altstadt nur fast perfekt

Der Massstab 1:133 ist ungewöhnlich. In der Architektur ist 1:100 oder 1:200 üblich – doch das eine war zu gross, das andere zu klein. «1:133 ist ein super handlicher Massstab», so Richner. Etwa sechs Stunden pro Tag sass er an seinen Modellen, studierte den Grundrissstadtplan der ETH Zürich, den Katasterplan, machte Fotos von den Fassaden, nahm vor Ort die Farbe ab.

Die Dachlandschaft rekonstruierte er aus Luftaufnahmen, die die Stadt in Auftrag gegeben hat, und von Google Earth. «Die Dächer waren das Komplizierteste an den Modellen.» Er hatte mit den Schatten auf den Aufnahmen zu kämpfen. Und um die Hinterhöfe zu rekonstruieren, klingelte er schon mal an fremden Türen. «So habe ich auch eine neue Freundin gewonnen.» In der ganzen Altstadt gibt es nur drei oder vier Winkel, die Richner nicht genau nach­modellieren konnte. Die Leerstellen hat er logisch aufgefüllt.

Richner ist pensionierter Architekt, Konstruktionslust hatte er schon immer. Der heute 79-Jährige baute in seiner Karriere unter anderem die Mensa der Universität Zürich. «Ich habe meinen Beruf geliebt, aber unter den heutigen Umständen würde ich nicht mehr bauen wollen.» Mit der Uniformität der heutigen Architektur sei kein Platz mehr für Eigencharakter, findet er.

Die Altstadt hat es ihm «mit ihrer Kompaktheit und Gleichmässigkeit» angetan, «vor allem der älteste Teil zwischen Gemüsebrücke und Lindenhof». Perfekt ist die Zürcher Altstadt für ihn aber nur fast. Ihn stört das Geschäftshaus an der Ecke Limmatquai/Mühlegasse. «Der Glashaufen ist oberschlimm. Diesen Würfel könnte man ruhig abreissen.» Wieder aufbauen würde Richner hingegen die alte Metzgerhalle bei der Gemüsebrücke. «Der Bau hat in seinen Proportionen einfach gestimmt, und die Fassade war so schön detailliert.»

Kirche St. Peter als Erstes

Dass die Karton-Altstadt sein Hobby wurde, kommt nicht von ungefähr. «Für ein Projekt habe ich ein Geschäftshaus am Central als Kartonmodell visualisiert. Meine Modelle waren sonst meistens aus Holz. Aber mit Karton zu arbeiten, fand ich Wahnsinn.» Mit der Pensionierung dann kamen die Zeit und die Lust, die Gebäude links und rechts der Limmat mit Karton nachzubauen.

Als Erstes pickte er sich die Kirche St. Peter heraus. «Ich brauchte ein Gebäude, das allem anderen Halt gibt, und die Kirche war für mich ganz klar das Zentrum der Altstadt.» Es folgten das Rathaus, die Schipfe. Erst nach etlichen Stunden Kartenstudium und Plänezeichnen nahm Richner den Karton zur Hand. Dann kam die Farbe auf den Fassadenhalbkarton, den klebte er auf 1,5 Millimeter dünnen Graukarton, markierte die Details mit dem Bleistift, stanzte die Fenster aus und klebte noch einmal dunklen Karton dahinter: drei Schichten. Jede Häuserecke hat ihren genauen Falz.

Beim allerletzten Modell, dem Geschäftshaus an der Ecke Rudolf-Brun-Brücke/Mühlegasse, hat er drei Anläufe für die Fassade gebraucht. Die Fenstergitter wollten einfach nicht stimmen. Doch in all den Jahren hat Richner nie den Stechbeitel zur Seite gelegt, weil er ungeduldig wurde. «Ich habe einfach die Ausdauer und den Willen für eine solch präzise Arbeit.» Ursula Richner nickt. «O ja, das hat er.» Sie hat ihn all die Jahre in seinem Projekt unterstützt. «Ich finde es toll, den ganzen Prozess mit ihm zu erleben.» Franco Richner lächelt. «Ich bin froh, dass du diese Einstellung hast.»

Bis zur Vernissage am Samstag haben die beiden noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich. Die ganze Altstadt muss zum Alterszentrum Klus-Park gezügelt werden. Für die Ausstellung hat Richner extra aus Karton Unterbauten und Sockel für die Gebäudegruppen konstruiert.

Richner hat genug

Die Altstadt ist fertig gebaut, die letzten drei Brücken, ein Limmatschiff, ein Tram. «Eigentlich habe ich überlegt, ob ich noch das Grossmünster und das Fraumünster als Abschluss modellieren soll – aber das stinkt mir.» So gerne er die letzten 13 Jahre an den Modellen sass, so müde sei er der Modelle jetzt auch. Als Nächstes: «Ein Doppeldeckerflugzeug aus Sperrholz von 1,5 Meter Spannweite.» Und vielleicht setzt er sich auch mal wieder mit einem Stuhl in die Stadt, malt Aquarelle – von Häuserfronten zum Beispiel.

Die Vernissage beginnt am 11. August um 18.30 Uhr. Vom 12. bis 17. August ist die Ausstellung «Mis Züri» von 14 bis 18 Uhr, am 18. August von 13 bis 15 Uhr zu sehen. Am 12. und 15. August lädt Barbara Hutzl-Ronge jeweils um 16 Uhr zu einer «Stadtführung». 

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare