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Porträt

Rita Angelone: "Den Leuten tut es gut, zu wissen, dass andere Eltern auch im Chaos leben". Bild: Nicolas Y. Aebi

Die ehrliche Mamma

Von: Clarissa Rohrbach

18. Juni 2013

Die zweifache Mutter Rita Angelone erzählt seit vier Jahren im «Tagblatt» vom ganz normalen Wahnsinn des Familienlebens. Wir haben die Angelones zu Hause besucht.

«Wissen Sie, manchmal fehlt mir einfach die Energie, um mich hübsch zu machen, heute ist aber zum Glück kein solcher Tag.» Rita Angelone staunt selber über die Ruhe in ihrem Einfamilienhaus in Albisrieden. Meo (5), ihr jüngerer Sohn, schaut Fernsehen, ausnahmsweise am Nachmittag, weil er krank ist. Ivan (7), der ältere, ist im Musikunterricht. Im Wohnzimmer herrscht Stille. Ein Ausnahmezustand bei den Angelones, das wissen die «Tagblatt»-Leser. Denn in ihrer Kolumne beschreibt die Mutter seit vier Jahren den ganz normalen Wahnsinn des Familienlebens. Angelone schreibt unverblümt über den Stress, Arbeit und Familie zu vereinbaren, die organisatorischen Herausforderungen und den Gruppendruck unter den Müttern. Das macht sie direkt und ehrlich, so wie es zu ihrem italienischen Temperament passt. «Früher hat es hier ganz furchtbar ausgesehen, mit einem Laufgitter in der Küche, einem Wickeltisch im Bad, Kleider und Spiele auf dem Boden verteilt, dazu die schreienden Buben.»

Sie möchte erzählen, wie es wirklich ist, Kinder zu haben. Nach der ersten Geburt verbrachte Angelone anderthalb Jahre zu Hause, eine Zeit, in der sie aus Langeweile alle möglichen Mütter-Blogs, -Foren und -Magazine las. Aber was sie fand, stresste sie. Da waren auf der einen Seite abgehobene Diskussionen, die aus einem Detail wie einem Milchschoppen einen gesellschaftspolitischen Diskurs machten. Und auf der anderen diese Hochglanz-Superfrauen, gut aussehende, heraus­geputzte Mütter, die nebenbei noch Grafikerin oder Architektin sind, französische Küche lieben und am Abend Vernissagen besuchen. «Das ist für 95  Prozent der Mütter nicht die Realität, die Medien geben ein verzerrtes Bild wieder.» Und da Angelone immer schon ein Händchen für Texte hatte, fing sie an, über ihre Sicht der Dinge zu schreiben.

Stillen oder nicht Stillen?

Verschiedene Sichtweisen, wie ein Kind erzogen werden soll oder eben nicht, bergen ein enormes Konflikt- und Stresspotenzial. «Man misst sich als Mutter immer mit den anderen Müttern, das ständige Vergleichen liegt in der Natur des Menschen», erklärt Angelone. Und im Umgang mit Bekannten kommen immer wieder Fragen auf. Kürzlich sagte eine Frau zu ihr: «Aha, dein Kind hat Wilde Blattern, wieso hast du es nicht geimpft?» Impfen oder nicht impfen ist nur eine der vielen Grundsatzfragen, die sich eine Mutter stellen muss. Es fange schon mit der Schwangerschaft an, sagt Angelone. Wie hat sich eine gute Mutter zu verhalten? Will sie eine natürliche Geburt? Im Wasser? Oder doch Kaiserschnitt? Und danach? Wie lange soll sie stillen, wenn überhaupt? Und dabei sei jede Mutter überzeugt, nur sie habe recht und greife nicht selten andere an. «Man investiert so viel in die Erziehung, dass alles, was die Kinder betrifft, einem sehr nahe geht. Deswegen braucht es nicht viel, und schon fühlt man sich angegriffen.»

Einige Leser haben Rita Angelone schon vorgeworfen, sie beklage sich zu oft. «Das tue ich nicht, ich betone nur immer wieder, dass nichts vorhersehbar ist. Den Leuten tut es gut, zu wissen, dass andere Eltern auch im Chaos leben.» Denn im Hause Angelone passiert nämlich immer irgendetwas. Heute hat der Kleine die Wilden Blattern. Die letzten drei Wochen hat eine Magen-Darm-Grippe der Familie immer wieder den Sonntag vermiest. Dann stellt sich die Frage: Wer verzichtet am Montag auf die Arbeit? Angelone erklärt, dass ein grosser Teil der Aufregung auch vom Spagat zwischen Arbeit und Familie abhängt. «Man kann die Ereignisse nie steuern, es kommt einfach, wie es kommt, zum Glück sind unsere Arbeitgeber flexibel.» Dazu kommen die organisatorischen Kraftakte. Ein Single muss nur schauen, dass er es pünktlich ins Büro schafft. Eine Mutter wie Angelone muss schauen, dass drei Menschen rechtzeitig das Haus verlassen, womöglich ausgerüstet für einen regnerischen Waldtag, einen Nachmittag im Hort und am Abend noch Fussball. «Der Speicher ist irgendwann voll, aber bevor ich den ganzen Bettel hinschmeisse, packt mein Mann die Situation an.» Und wieder meint Angelone, sie beklage sich eigentlich nicht, im Vergleich zu alleinerziehenden Müttern sei ihr Leben rosig. «Ich kann alles mit meinem Mann teilen, die Alleinerziehenden leider nicht.»

Bis sie ihren Mann Dani kennen lernte, wollte Rita Angelone gar keine Kinder. Die bekam sie erst mit 38 respektive 40 Jahren. Zu wichtig waren ihr die Ausbildung und der Job. Die Tochter eines Italieners aus der Nähe von Neapel und einer Nordspanierin wuchs im Glarnerland auf. Nach der Matur absolvierte sie das KV, weil sie nicht wusste, was sie studieren sollte. Sie stieg ins Bankenwesen ein und bildete sich berufsbegleitend noch in Betriebsökonomie weiter. Als sie dann nach Zürich kam, wechselte sie zur Personalentwicklung in einen Industriebetrieb. Da wusste Angelone: Mit und für Menschen zu arbeiten, ist ihr wichtig. Heute ist sie von Montag bis Mittwoch bei der Stiftung Berufslehr-Verbund tätig und schafft neue Lehrstellen bei Firmen. «60 Prozent neben der Familie zu arbeiten, ist viel, aber ich liebe diesen Job, weil er etwas bewirkt, auch für die Zukunft meiner Buben.»

Trotz des Arbeitsfleisses entschied sie sich, mit Dani Kinder zu haben. Die beiden hatten sich vor acht Jahren im Ausgang kennen gelernt, ein Jahr später war Angelone bereits schwanger. «Es hat sich etwas im Herzen verändert, man kann das nicht rational entscheiden.» Mit Dani hätten sich Perspektiven eröffnet, die sie früher nicht kannte. Sie wusste, zusammen können sie etwas aufbauen. Und so wurde er zum Familienoberhaupt, wie Angelone ihren Mann mit einem Augenzwinkern nennt. Bis Ende 1987 hielt das Schweizerische Zivilgesetzbuch nämlich fest, dass der Mann das Oberhaupt der Familie sei. «Männer fühlten sich so besser, obwohl schon immer die Frauen zu Hause das Sagen hatten.» Bei den Angelones, da gelte aber die Gleichberechtigung.

Kaum Zeit für Pedicure

Donnerstags und freitags ist die Mutter zu Hause, schreibt für ihren eigenen Blog und den von der Zeitschrift «Wir Eltern». Doch wenn die Kinder da sind, muss sie diese immer im Auge behalten. Basteln, spielen oder die gezielt eingesetzte Hypnose des Fernsehens sind willkommene Beschäftigungen. Die Zeit für sich alleine, die komme in der Prioritätenliste zuletzt. «Manchmal finde ich mit Mühe und Not zwei Stunden, um Pedicure zu machen, aber das stört mich nicht.» Vielmehr wünscht sie sich mehr Zeit mit ihrem Mann, denn wirklich alleine sind sie nur zwei bis drei Wochenenden pro Jahr. Und auch dann könne man nie richtig von den Kindern abschalten.

Doch Angelone denkt nie daran, wie es wäre ohne Kinder. «So bin ich jetzt, eine Mutter, und es hat mich verändert.» Sie weint öfters, Geschehnisse berühren sie mehr, die Empathie hat zugenommen. «Ich denke auch nachhaltiger, weil ich meinen Buben eine schöne Welt überlassen will.» Früher, da sei sie viel egoistischer gewesen. Rita Angelone denkt über vieles nach, macht sich Notizen, lässt die Ideen im Kopf reifen. Und diese sind dann, als einige der wenigen vorhersehbaren Dingen in ihrem Leben,  jede Woche im «Tagblatt» zu lesen. 

www.dieangelones.ch

 

 

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