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Porträt

Karin Müller, die kämpferische Radio-Chefin. Bild: PD

Die Iron Lady des Zürcher Radios

Von: Jan Strobel

01. Februar 2013

Der Kultsender Radio 24 bleibt der Spitzenreiter unter den Deutschschweizer Privatradios. Das «Tagblatt» traf seine Geschäftsführerin Karin Müller zum Kaffee.

Es gibt Labels, die Karin Müller regelmässig angeheftet werden, wenn das Gespräch um ihren Werdegang kreist. Sie ist die nimmermüde «Karrierefrau», «die Grande Dame der Nummer 1 in Zürich», Interviews mit ihr laufen gerne auch im Rahmen von Artikelserien über «erfolgreiche Frauen». Das impliziert natürlich einmal mehr das gängige und sorgsam gehätschelte Bild von der starken Frau als Ausnahmeerscheinung. Die Zuschreibungen allerdings zeigen, wie sehr dieses Bild auch in der Medienbranche tatsächlich zutrifft. Die meisten der grossen Schweizer Meinungsmacher-Titel sind in Männerhand. Und gerade im Medienzirkus tummeln sich Narzissten und Diven, trifft testosterongeschwängerte Eitelkeit auf Selbstüberschätzung. Karin Müller muss also neben ihrer charmanten, unprätentiösen Art auch über eine gewisse Härte sich selbst gegenüber verfügen, um dem Druck standzuhalten, dem sie sich als Geschäftsführerin und Chefredaktorin von Radio 24 ausgesetzt sieht. Immerhin ist der Sender nicht nur eine Zürcher Kultinstitution, sondern auch seit Jahren Marktführer der Deutschschweizer Privatradiostationen. Die Mediendatenbank Publica Data verzeichnet für das zweite Semester 2012 eine Hörerzahl von rund 285 000, dicht gefolgt von Hauptrivale Energy Zürich mit 277 000 Hörern. Ein Aussenstehender könnte einwerfen, das sei nach wie vor ein komfortabler Vorsprung. Aber natürlich funktioniert ein solches Denken in der Realtität nicht. Sich auf ein Ruhekissen zu betten, das kommt für Karin Müller einer Todsünde gleich. Wer rastet, rostet - dieser Spruch trifft ganz besonders auf Radiomacher zu. «Der Wettbewerbsdruck ist enorm», sagt die 47-Jährige. «Wer sich einigelt, sich nicht von klassischen Mustern befreit, verliert das Rennen. Hat sich ein Hörer einmal verabschiedet, ist es schwierig, ihn wieder zurückzuholen.» Als sie die neuen Hörerzahlen ihrem Team bekanntgab, musste sie zum ersten Mal in ihrer Karriere ein Wort in den Mund nehmen, das sie zutiefst verabscheut, vor dem sie sich fürchtet - Verlust. Denn trotz der anhaltenden Erfolgswelle verlor Radio 24 doch 0.5 Prozent Marktanteil. «Daran sehen Sie: bequem ist nichts», bringt Karin Müller ihr Credo auf den Punkt, und sie lächelt dabei, weil das für sie selbstverständlich ist.

Die Saniererin

2008 holte sie die Tamedia als neue Programmleiterin zu Radio 24. Zu dieser Zeit befand sich der Marktanteil der «Nr. 1 vo Züri» auf Talfahrt. Karin Müller sollte die gefährdete Führungsposition des Senders schützen. Die gebürtige Baselbieterin war wie geschaffen für diese Aufgabe, nicht nur, weil eine Frau an der Spitze immer auch Fortschritt symbolisiert; Karin Müller konnte vor allem eine beeindruckende Karriere vorweisen. Ende der 80er Jahre startete sie ihre Laufbahn als Moderatorin bei Radio Basilisk, stieg dann bei DRS 3 ein, wo sie sich bis in die Porgrammleitung hocharbeitete. Es folgte ein Abstecher ins Fernsehen. Beim Sender 3sat moderierte sie zwei Jahre lang die Sendung «Kulturzeit», um danach wieder zum Radio zurückzukehren, vom öffentlichen dann zum privaten, diesmal als Programmleiterin von Radio Pilatus. Hier lernte sie, was es heisst, unter finanziellem Druck Radio zu machen. Später arbeitete sie selbständig als Kommunikationsberaterin und im Teilpensum bei DRS 1. Ihren neuen Job bei Radio 24 trat sie selbstbewusst mit «einem Topf voller Ideen» an, krempelte die Musikauswahl um, indem sie den Schwerpunkt auf Rock setzte und ihre eigene Sendung «On the Rocks» kreierte. Die Moderationen wurden frecher, direkter, oder, wie es Karin Müller ausdrückt, «ich holte meine Leute ganz nach vorne ans Mikro und damit zurück zu den Zürchern.» Die Vollblut-Radiofrau mit der unbezähmbaren Lockenmähne kam als Saniererin an die Limmatstrasse, und tatsächlich stiegen die Hörerzahlen in den Folgejahren wieder kontinuierlich an. Heute hat sich Radio 24 vom Rock hin zum Pop bewegt, aus «On the Rocks» wurde «On Pop». Die Popkultur ist Karin Müllers Leidenschaft. «Sie ist ein weltumspannendes Lebensgefühl, das uns heute alle beeinflusst. Figuren wie Madonna, Lady Gaga oder Beth Ditto - sie kamen einmal alle aus dem Untergrund, sie haben etwas Revolutionäres, Umwälzendes. Das faszinierte mich schon immer. Pop in all seinen Facetten, das ist es, was unsere Hörer wollen.»

Das Radio der Zukunft

Karin Müller, die Feindin des Stillstands, sie löst die klassische Struktur des Mediums auf, arbeitet an ihrer Vision eines «Social Radio». Die Hörer bezieht sie in die Gestaltung des Programms mit ein. Facebook, Publikumsbefragungen, Life Showcases oder ein eigener TV-Kanal, das sind die Zutaten für das Radio der Zukunft, das über kurz oder lang nicht mehr über analoge UKW empfangen wird, sondern digital, und das in der ganzen Schweiz. Unterstrichen wird dieser Aufbruch mit dem Umzug in das umgebaute Löwenbräu-Areal. «Radio 24 bleibt seinen Wurzeln treu, die im Kreis 5 liegen, am Puls der Stadt», sagt Karin Müller. Sie hat die quälende Ungewissheit während des turbulenten Übergangs von der Tamedia zu Peter Wanners Radio Medien AG hinter sich gelassen. Jene Monate 2011 bezeichnet sie als «verlorene Zeit», als «einen Zustand in der Schwebe, in der wir nicht wussten, was auf uns zukommt, bis mit Peter Wanner ein Unternehmer gefunden wurde, der sein ganzes Herzblut in unser Radio steckte.» In dieser Zwischenzeit von Bord zu gehen, das kam für die Frau nicht in Frage, im Gegenteil war ihre Liebe zur Konfrontation wieder einmal der Motor, der sie und ihr Team vorwärts brachte. Es war vielleicht so, wie es Sänger Sting einmal formulierte. Dem Schwierigen ins Auge zu sehen, dass sei «wie der erste Schluck Campari oder Kaffee - zuerst bitter, aber dann beginnt man, es zu lieben.» Karin Müller hat vor Kurzem beim Aufräumen ein Relikt aus ihrer Vergangenheit entdeckt, einen abgegriffenen Brief mit Fettflecken darauf, datiert auf das Jahr 1989. Die 23-jährige Radio Basilisk-Moderatorin, die Tag und Nacht im Studio arbeitete, um sich das Germanistikstudium finanzieren zu können, sass damals in einer Basler Pizzeria und schrieb eine Bewerbung für einen Moderationsposten bei DRS 3, den sie, mit Fettflecken, abschickte. «Against all odds, gegen jede Chance», wie Karin Müller heute mit Phil Collins sagt. Jeder hatte ihr damals versichert, ein Wechsel vom Privatradio zum öffentlich-rechtlichen könne nicht funktionieren. Doch sie foutierte sich darum. Sie war schlicht die Frau am richtigen Ort zur richtigen Zeit. 

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