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Porträt

"Die Märkte sind gesättigt. Aber Qualität überlebt."

Von: Ginger Hebel

27. Juni 2016

Gastro-Imperium: Rudi Bindella sitzt auch noch mit 68 Jahren bereits ab morgens um fünf im Büro und isst jeden Tag in einem seiner Restaurants. «Der Stier stirbt in der Arena», sagt er und arbeitet weiter.

Nach vier Stunden Schlaf ist Rudi Bindella hellwach. «Ich stehe um 4.20 Uhr mit den Vögeln auf.» Um fünf sitzt er bereits im Büro, in den ruhigen Morgenstunden sei er produktiver. «Ich finde es schade, wenn man das Leben verschläft, aber jeder muss seinen Rhythmus finden», sagt der Patron. Das Büro teilt er sich mit seinem ältesten Sohn Rudi. «Wir sind wie ein gut eingespieltes Ehepaar», sagt er lachend. Die Tür zum Büro steht immer offen, der Chef von 1300 Angestellten mag Transparenz und geistige Offenheit. «Ich bin mit dieser Vertrauenskultur bisher immer gut gefahren.»

Rudi Bindella (68) leitet in dritter Generation den grössten familiengeführten Gastrobetrieb der Schweiz. Macht ihn so viel Verantwortung nicht nervös? «Nein, es würde mich eher nervös machen, wenn ich diese Verantwortung nicht hätte.» Sein Grossvater hatte 1909 damit begonnen, für alle Heimweh-Italiener Chianti zu importieren, und eröffnete in Zürich zwei Restaurants. Rudis Vater erweiterte das Erbe um eigene Weinreben und eröffnete 1965 mit dem Santa Lucia beim Limmatplatz eine der ersten Holzofen-Pizzerien der Schweiz. Rudi Bindella isst jeden Mittag und jeden Abend in einem seiner 42 Lokale. Immer trifft er Leute, die er kennt oder die ihn kennen, er mag die gepflegte Konversation. Ruhe hat er selten, «ich brauche die Ruhe nicht, ich mag es, wenn es quirlig ist». Er besucht die eigenen Betriebe aber nicht, um die Mitarbeitenden zu überwachen, sondern um die Stimmung einzufangen und Probleme zu erkennen; im Büro vor dem PC oder vom Golfplatz aus könne man das nicht, ist er überzeugt. Eine angenehme Atmosphäre im Unternehmen ist ihm das Wichtigste, er hat ein Leben lang dafür gearbeitet, dass man Unstimmigkeiten offen anspricht und Konflikte schnell zu lösen versucht. «Es ist ein bisschen wie in einer Liebesbeziehung. Man muss die Gunst des anderen immer aufs Neue erwerben. Wenn man glaubt, man hätte etwas im Griff, fängt der Sinkflug an.»

Es kommt immer mal wieder vor, dass er spontan die Rechnung eines Stammgastes übernimmt oder ihm einen Kaffee spendiert. Er möchte mit dieser Geste Dankbarkeit zollen in Zeiten, wo die Leute sprunghafter sind denn je, jedem Gastrotrend hinterherrennen und sich alle Optionen offenhalten. Mit der verschärften Konkurrenz muss sich Rudi Bindella messen und vergleichen. «Zürich ist aus gastronomischer Sicht einer der dynamischsten Märkte in Europa.» Aktuell mischen die Grossverteiler den Markt mit neuen Take-away-Konzepten auf. «Sie haben sich ebenfalls die Italien-Orientierung auf die Fahne geschrieben, das müssen wir ernst nehmen», sagt Bindella. Die Entwicklung setzt auch einen erfahrenen Gastronomen wie ihn unter Druck. «Die Leute nehmen sich über Mittag kaum noch Zeit fürs Essen. Alles muss schnell gehen.» Er ist daher überzeugt, dass man in der bedienten Gastronomie überdurchschnittlich gut sein muss, um auch künftig erfolgreich zu sein. «Die Märkte sind gesättigt. Aber Qualität überlebt.»

 

Mit seinem Sohn Rudi (39), der im Unternehmen für Innovation und Projekte verantwortlich ist, hat er auf die Bedürfnisse des Marktes reagiert und vergangenen Dezember das Ristorante Più in der alten Sihlpost eröffnet – das erste Lokal mit Take-away-Bereich in der über 100-jährigen Geschichte von Bindella. An stark frequentierten Lagen müsse man Gerichte «to go» heute einfach anbieten. Das Restaurant läuft gut – so gut, dass nächstes Jahr eine zweite Filiale beim Schiffbau eröffnen wird. Er glaubt aber, dass diese Hektik, die mit dem schnellen Essenskonsum verbunden ist, verfliegen wird. «Jeder Trend löst einen Gegentrend aus», so Bindella sen.

Vaterfreuden mit 63

Essen hat im Leben von Rudi Bindella einen hohen Stellenwert. Mit welchem Gericht kann man den Gastrokönig denn glücklich machen? «Mit Pasta», sagt er prompt; je schlichter die Zubereitung, desto besser. Er bevorzugt sie mit Olio e Peperoncino oder mit Vongole. «Ich mag es, wenn man sieht, dass es eine Tomatensauce ist oder eine Muschelsauce.» Er isst aber auch mal einen Cervelat mit Brot. Mit seiner kleinen Tochter grilliert er gern im Garten. Mit 63 wurde er noch einmal Vater. Er verliess seine Frau, heiratete eine andere und zeugte mit dieser ein Kind. Doch die Beziehung ging nach kurzer Zeit in die Brüche, er kehrte zu seiner ersten Frau zurück. Die Geschichte avancierte zum Stadtgespräch, aber Rudi Bindella weiss, dass man damit leben muss, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Er spielte immer mit offenen Karten, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte er informiert, ehe sie es aus der Presse erfuhren. «Dass ich nochmals Vater geworden bin, empfinde ich als ausserordentliches Glück.» Er ist auch dankbar, dass ihm seine erste Frau verziehen hat. «Ich habe mich oft gefragt: Warum habe ich sie verlassen, warum habe ich das gemacht? Ich weiss es bis heute nicht. Aber ich habe mein Lehrgeld bezahlt.»

Noch immer ist er stark ins Familienunternehmen eingebunden. «Der Stier stirbt in der Arena, so stelle ich mir das vor.» Von seinen vier Söhnen werden – neben Rudi jun. – wohl noch zwei ins Geschäft kommen, «das ist eine gute Quote», sagt Bindella. Die Firma hat er bereits auf seine Kinder übertragen. An seinem 70. Geburtstag wird er die operative Verantwortung abgeben, seinen Söhnen will er aber weiterhin Ansprechpartner und Berater sein; auch möchte er sich vermehrt um die Detailpflege in seinen Restaurants kümmern. Der begnadete Kunstsammler nagelt jedes Bild in seinen Lokalen eigenhändig an die Wand, auf Augenhöhe, weil das harmonischer wirke.

Wenn er nicht im Büro arbeitet, dann gärtnert er. «Ein Stück Land zu bearbeiten, ist für mich eine der edelsten Tätigkeiten.» Alle sechs bis acht Wochen besucht er das Familienweingut in der Toskana; demnächst wird dort die gesamte Infrastruktur erneuert. Es ist ein schwieriges Jahr für die Reben, der viele Regen schwemmte die ganze Erde weg. Im Frühling hatte sich Bindella seit langer Zeit mal wieder zwei Wochen Ferien am Stück gegönnt, Peru und die Galapagos-Inseln bereist. «Normalerweise habe ich schon nach einer Woche Heimweh.» Er ist ein Familienmensch, wenn immer möglich verbringt er pro Jahr eine Woche Ferien mit seinen Kindern und Enkeln. Auch seine Restaurants sind familienfreundlich, es gibt in jedem Lokal Kinderpauschalen, im Santa Lucia zum Beispiel essen die Kleinen für 9 Franken, egal, ob Pizza oder Crevetten. «Der Warenaufwand ist ja nicht das grösste Problem in unserem Metier, sondern die Mitarbeiterkosten und die Miete.» Er möchte, dass sich auch Familien hin und wieder einen Restaurant­besuch leisten können und die Kleinen sich im Restaurant wohlfühlen – wie in Italien.

Demnächst schliesst das Ristorante Contrapunto beim Paradeplatz seine Pforten und eröffnet im September als Santa Lucia wieder. Auch dieser Schritt ist eine Reaktion auf die gegenwärtige Entwicklung in der Gastronomie. «Die Leute sind preissensibler geworden», stellt Bindella fest. Auch der Weinkonsum pro Kopf ist gesunken. «Als Res­taurantbesitzer macht man heute mit Wein nicht mehr den grossen Umsatz.» Früher hätten die Geschäftsleute über Mittag immer Wein getrunken, heute trinken viele lieber daheim. Rudi Bindella gönnt sich in seinen Restaurants immer ein Gläschen, mittags wie abends, das gehört für ihn zu einem guten Essen dazu. «Es ist im Leben doch alles eine Frage des Masses. Wenn ein Mensch scheitert, dann meistens an der Massfindung.» 

 

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