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Porträt

Die Kakaobohnen werden in der Manufaktur in Zürich-Wollishofen geröstet. Bild: PD

Die neue Schoggi-Welle ist in Zürich angekommen

Von: Jan Strobel

10. März 2020

Schokolade gilt als Massenprodukt, lecker, aber mit anonymem Hintergrund. Das möchten derzeit verschiedene Zürcher Manufakturen ändern. Eine davon ist das Wollishofer Kleinunternehmen «Garçoa».

«Chulucanas» – es ist ein Name wie ein sinnlicher Tanz, vielleicht auch der eines sanft dahinfliessenden Flusses irgendwo in der Schwüle des Amazonasgebiets. Bei Fränzi Akert hingegen steigen ganz andere Assoziationen hoch. Sie spricht von einer «beerigen Säure, fein und komplex, ich denke an die Farbe Rot, im Gegensatz zu ‹Curimaná› mit ihrer sanften Kokosnote, grün und blumig.»

Was Fränzi Akert hier beschreibt, das sind nicht etwa erlesene Rebsorten für einen hoch exquisiten Wein; es geht in diesem sensorischen Gespräch vielmehr um Schokolade und zwar nicht nur auf der Geschmacks- oder Geruchsebene. «Man kann der Schokolade auch zuhören», sagt Fränzi Akert. «Wie eine Tafel bricht, das sagt viel über ihre Qualität aus.»

Dass jemand so über Schokolade spricht, das hat Seltenheitswert. Immerhin ist «Schoggi» das Massenprodukt schlechthin. Rund 10,5 Kilogramm Schokolade vertilgt ein Schweizer durchschnittlich pro Jahr. «Vertilgen» scheint dabei der passende Ausdruck. Denn bei all dem Massenkonsum zwischen Supermarktregalen und dem Kiosk nebenan geht schnell vergessen, dass es sich dabei auch um ein Spitzenprodukt handeln kann, das eine Würdigung und Wertschätzung verdient, wie es beim Wein, Käse oder Kaffee unter Feinschmeckern zur selbstverständlichen Kultur gehört.

Anfänge im Backofen
«Schokolade», sagt Fränzi Akert, «ist gerade in der Schweiz ein stark industrialisiertes Genussmittel. Das wollten wir ändern. In den USA war das schon länger ein Thema.» Zusammen mit ihrem «Schoggi-Partner» Andreas Brechbühl gründete sie 2016 in Zürich ihre eigene Schokoladenmanufaktur «Garçoa» – ein Kunstwort, das sich portugiesisch anhört, aber eigentlich aus den Wörtern «Sugar» und «Cocoa» zusammengesetzt ist.

Neugierde, Kreativität, die Lust, mit dem Rohstoff Kakao nachhaltig und behutsam zu experimentieren, das trieb die beiden Jungunternehmer an. Fränzi Akert, die gelernte Käserin, die an der ETH Landwirtschaft studierte, hatte in Peru ihre Passion für den Kakao entdeckt, als sie auf verschiedenen Kooperativen die Technik der Kakaofermentation und dabei das ganze Universum der verschiedenen Geschmacksnuancen kennenlernte. Andreas Brechbühl seinerseits hatte sich als Agronom besonders in der Elfenbeinküste und in Ghana Expertenwissen in den Strukturen des Kakaoanbaus und des Handels angeeignet.

«Zurück in der Schweiz fingen wir an, in der eigenen Küche zu experimentieren», erzählt Fränzi Akert. «Im Backofen rösteten wir die Kakaobohnen, zerkleinerten sie mit der Nussmühle, bliesen die Schale mit dem Föhn weg. Irgendwann lagen dann tatsächlich duftende Schokoladetafeln vor uns.» Was als heimisches Abenteuer begann, entwickelte sich schliesslich zum kleinen Zürcher Schokoladeunternehmen, dem sich als Dritte im Bunde 2018 auch Eva Schüler als Produktionsleiterin angeschlossen hat.

Eine späte Wiedergeburt
Das Prinzip, nach dem sich die Produktion bei «Garçoa» richtet, nennt sich «Bean to Bar» – «Von der Bohne bis zur Tafel». Die gesamte Verarbeitung des Kakaos in kleinen Chargen wird von den Schokoladeherstellern selbst übernommen, von der Selektionierung bis zum fertigen Produkt. Das Wichtigste ist dabei die Transparenz der Wertschöpfungsketten. «Wir kennen unsere Produzenten und Exporteure und arbeiten eng mit ihnen zusammen», sagt Fränzi Akert. «Das kommt einerseits der Qualität des Kakaos zugute, andererseits auch den Kakaobäuerinnen und Kakaobauern vor Ort. Ihre Arbeit wird wertgeschätzt und angemessen entlöhnt.» Diese Faktoren machen die Produkte von «Garçoa» natürlich für Schweizer Käufer zu einem exquisiten Produkt, zu einer «Edel-Schoggi», eben vergleichbar mit einem exklusiven Wein oder einem raren Käse.

Derzeit stellen Akert, Brechbühl und Schüler zusammen mit freiwilligen Helfern in ihrer Manufaktur in Zürich-Wollishofen vier verschiedene Produkte mit Kakaosorten aus Peru, Indien und Ghana her mit Kakaoanteilen zwischen 75 und 85 Prozent.

«Der Kakao aus Ghana ergibt einen ausgewogenen, balancierten und fruchtigen Geschmack, während die Sorten aus Indien und Peru mit Ecken und Kanten daherkommen», umschreibt Fränzi Akert die verschiedenen Charaktere der «Garçoa»-Welt. «Man sollte diese Schokoladen so schnell wie möglich geniessen und keinesfalls im Kühlschrank aufbewahren, sondern an einem kühlen, trockenen und lichtgeschützten Ort, damit sie die Struktur und den Geschmack nicht verlieren.»

Das Wollishofer Schoggi-Unternehmen ist nicht das Einzige in der Stadt Zürich, das sich der Herstellung exklusiver, nachhaltig produzierter Schokolade verschrieben hat. «Die Kunst der Schokoladenherstellung jenseits der Massenproduktion», sagt Fränzi Akert, «erlebt hierzulande tatsächlich eine Art Wiedergeburt. Man könnte durchaus von einer Schoggi-Welle sprechen. Die Branche war sehr lange traditionell geprägt, da hat sich nicht besonders viel bewegt. Der Zeitgeist setzt heute auf Spezialisierungen, auf Naturprodukte. Mit Verspätung ist nun auch die Schokoladenproduktion auf diesen Zug aufgesprungen. Allein auf dem kleinen Platz Zürich gibt es drei neue Chocolatiers. Das heisst auch: Schokolade wird lokal hergestellt, sie ist kein anonymes Massenprodukt mehr.»

Wenn am 3. und 4. April – so es die Coronavirus-Massnahmen zulassen – das erste Schoggifestival in Zürich stattfindet (siehe Artikel unten) wird auch «Garçoa» als Aussteller mit von der Partie sein und den Besuchern farbige Einblicke in die Kakaowelten geben – rot wie die beerige Säure aus Peru oder schwarz wie die kantige Knusprigkeit aus Indien.

Eine neue Generation von Chocolatiers: Andi Brechbühl und Fränzi Akert gründeten 2016 ihr Schokoladenunternehmen «Garçoa». Bild: Bigi Moehrle

Weitere Informationen:
www.garcoa.ch

Ehrlich, kritisch und sinnlich

Zum ersten Mal findet am 3. und 4. April im Kraftwerk Zürich das Schoggifestival statt. Es steht im Zeichen der Sinnlichkeit und der Verantwortung.

Die beiden Festivalleiterinnen: Anja Glover (l.) und Andrea Hüsser. Bild: PD

Wenn es ums Schoggi-Geschäft  geht, ist die kleine Schweiz eine Grossmacht. Barry Callebaut, Nestlé oder Lindt & Sprüngli, alle diese Giganten mit Milliardenumsätzen haben ihre Hauptsitze in Zürich, Vevey oder in Kilchberg. Den Blick auf diese Industrie vertiefen und dabei auch neue, alternative Wege in der Schokoladenherstellung aufzuzeigen, das haben sich Anja Glover und Andrea Hüsser mit dem ersten Zürcher Schoggifestival auf die Fahne geschrieben. Der Anlass wird nach aktuellem Kenntnisstand am 3. und 4. April im Kraftwerk Zürich stattfinden.


«Wir möchten mit diesem Festival den Rohstoff und das Genussmittel Kakao sinnlich, aber auch kritisch aus der Anonymität holen», sagt Anja Glover, deren Vater Yayra Glover in Ghana der Initiator eines bekannten Bio-Kakao Projekts ist. «Alle wissen, wie eine Kaffeebohne aussieht. Aber wie eine Kakaobohne beschaffen ist, das ist vielen ein Rätsel und das, obwohl Schokolade ein Massenprodukt ist, das wir fast täglich essen.»

Zur Masse geselle sich eine gesellschaftliche und ökonomische Haltung, fügt Andrea Hüsser an.  «Die Mehrheit der Konsumierenden, selbst ökologisch Bewusste, ist nicht unbedingt bereit, für Schokolade mehr zu bezahlen. Dabei ist die Transparenz im Schokoladengeschäft keineswegs immer gewährleistet, sowohl beim Herstellungsprozess als auch bei den Arbeitsbedingungen. Auf den Kakaoplantagen, gerade in der Elfenbeinküste oder in Ghana, herrschen teilweise prekäre Bedingungen, geprägt von Ausbeutung und Kinderarbeit. Dazu stellt auch die Abholzung für den weltweiten Kakao-Sektor ein grosses ökologisches Problem dar. Die Schweiz hat eine besondere Verantwortung.»

Genuss und Verantwortung, diese zwei Komponenten seien unzertrennlich. Und genau hier setzt das Schoggifestival an. «Wir zeigen nicht nur das Produkt, sondern auch die Menschen, die dahinterstehen. Wir möchten bei den Besuchenden das Bewusstsein für ihren Schoggi-Konsum stärken», sagt Anja Glover. Programma­tisch hat sich das Schoggifestival dem Motto «ehrundredlich» verschrieben.

Während des zweitägigen Festivals stellen Schweizer Schokoladenmanufakturen, Organisationen und NGOs, welche die Festivalmacherinnen mit ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung überzeugen, ihre Produkte, Geschäftsmodelle und Projekte vor. Daneben tauschen sich Schoggi-Liebhaber, Fachleute oder Exponenten der Kakao-Produktionskette und von Organisationen an Vorträgen, an Filmvorführungen, Workshops oder interaktiven Diskussionen aus.

Die ganze Schoggi-Sinnlichkeit bieten Degustationen  und Verkostungen unter der Anleitung von Foodexperten und Schoggimacherinnen. Immerhin kann erst mit der richtigen Degustationstechnik die reiche Welt der Schokoladenaromen und Geschmäcker erfahren werden. Eine traditionelle Maya-Kakao-Zeremonie führt die Bedeutung des Kakaos als uralte Medizin und als rituelles Getränk vor Augen. An der offiziellen Afterparty «Calabash» kann zum Abschluss des Festivals zu afrikanischer Clubmusik in die Nacht getanzt werden.

Weitere Informationen:
www.schoggifestival.ch

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