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Porträt

Antoine Buchs: «Am Anfang hatte ich

Ein «Jeune homme» in Zürich

Von: Sacha Beuth

18. November 2014

Antoine Buchs hat einen für einen jungen Mann eher aussergewöhnlichen Job: Der 17-jährige Freiburger ist Au-pair bei einer Zürcher Familie. Dem «Tagblatt» erzählt er, wie es dazu kam und was er bei seiner Gastfamilie erlebt hat.

«Antoine, kannst du mal bitte Emma ein neues Shirt anziehen – sie hat sich vollgekleckert», ruft Marlies Trachsler*. Antoine Buchs lächelt, nimmt das 18 Monate alte Mädchen in seine Arme und verschwindet mit ihr im Badezimmer. Die Betreuung der Kinder und die Unterstützung im Haushalt der vierköpfigen Stadtzürcher Familie Trachsler gehört seit rund zwei Monaten zum Aufgabenbereich des 17-jährigen Romands. Er ist ein männliches Au-pair, wie im Film «Jeune homme», der vor rund acht Jahren in die Kinos kam und von einem jungen Deutschschweizer handelt, der bei einer welschen Familie diverse Aufgaben erledigt. Nur dass es bei Antoine umgekehrt ist.

Antoine, in Freiburg geboren und aufgewachsen, hat sich aus zwei Gründen für den Job entschieden. «Einerseits möchte ich später auf der Pädagogischen Hochschule in Freiburg studieren, und dafür benötige ich den Leistungslevel B1 in Deutsch, der einen Sprachaufenthalt im deutschsprachigen Raum bedingt. Andererseits halte ich es ganz einfach für eine gute Lebenserfahrung. Schliesslich war schon meine Mutter in jungen Jahren Au-pair und schwärmt heute noch davon. Und: Man bekommt nebst Kost und Logis auch einen Lohn.»

Eine Bekannte rät Antoine, sich zwecks Vermittlung einer Gastfamilie an den Verein Pro Filia zu wenden. Der Gymnasiast wird zu einem Gespräch eingeladen und erstellt darauf ein Bewerbungsdossier. Kurze Zeit später hat er zwei Angebote vorliegen. «Beide aus der Deutschschweiz. Das war mir wichtig, damit ich für das Wochenende schneller zu Hause bin.» Er wählt eine Familie aus Luzern, wird von dieser aber abgelehnt. Der Vater hätte Vorbehalte gehabt, weil er seine Töchter nicht einem jungen Mann anvertrauen wollte, erzählt der Gymnasiast. Also stellt sich Antoine bei der Familie Trachsler vor. Und erhält nach einem Probewochenende den Zuschlag und einen Vertrag für 10 Monate. «Wir hatten zuvor für ein halbes Jahr ein weibliches Au-pair aus Spanien. Doch die befand sich einerseits in ihrer rebellischen Teenagerphase und hatte andererseits beim Spielen keinen Draht zu unserem Sohn Janis. Darum wollten wir als Nächstes lieber einen jungen Mann. Grosse Jungs verstehen meines Erachtens besser, wie kleine Jungs spielen», erzählt Marlies Trachsler. Der dreijährige Janis ist leicht behindert und braucht intensive Betreuung. «Mein Mann Jörg arbeitet als Arzt, und ich studiere im 7. Semester Betriebsökonomie, sodass uns die Zeit dafür fehlt, dies allein zu übernehmen.»

Allerdings dauerte es etwas, bis der Romand in seine Rolle wachsen konnte. «Das lag einerseits an Verständigungsschwierigkeiten. Ich sprach kaum deutsch und meine Gastfamilie nur wenig französisch. Und die Kinder sprechen ausschliesslich Mundart, das machte die Sache noch schwieriger. Zudem hatte ich anfangs schreckliches Heimweh. Ich vermisste meine Familie, meine Freunde, mein eigenes Bett und die ruhige, ländliche Umgebung» sagt Antoine. Inzwischen aber hat er sich eingelebt und kann sich nicht nur gut auf Hochdeutsch unterhalten, sondern hat auch viele schweizerdeutsche Begriffe gelernt. «Zuerst «ässe» und dann die Zahlen, «eis, zwei, drü, vier, föif» und so weiter» zählt der Freiburger lächelnd auf. Die Arbeiten im Haushalt – staubsaugen, Geschirrspüler ein- und ausräumen, Wäsche waschen und bügeln – hätten ihm keine Schwierigkeiten bereitet. «Das kannte ich schon von zu Hause, wo ich solche Sachen oft ebenfalls selbst erledigen musste.» Dagegen sei die Betreuung der Kinder etwas ungewohnt gewesen, sei aber «cool». Marlies Trachsler kann das gut verstehen. «Einen Teenager kann diese Aufgabe schnell überfordern. Darum haben wir dafür gesorgt, dass Antoine sich nie allein um beide Kinder zugleich kümmern muss. Am Montag helfen meine Eltern, ansonsten bin ich oder ist mein Mann da.»

Wie ein grosser Bruder

Von morgens 7.30 Uhr bis abends um 17 Uhr dauert Antoines Arbeitstag. Mittwochnachmittag hat er frei. Zweimal die Woche besucht er zudem von 20 bis 22 Uhr den Deutschunterricht der Klubschule Migros. In seiner Freizeit spielt er gelegentlich Klavier («sehr gut», wie Marlies Trachsler findet), trifft sich aber meist mit anderen Au-pairs von Pro Filia. «Wir gehen dann entweder lädele oder in den Starbucks oder McDonalds, um zu tratschen.» Wenn er am Feierabend ausgehen möchte, muss er sich allerdings jeweils vorher das Einverständnis der Trachslers einholen. «Kein Problem, auch das kenne ich von zu Hause.» Man merkt, der scheue Mann fühlt sich wohl. «Inzwischen sehe ich mich als Freund der Familie und als grossen Bruder von Janis und Emma.» Marlies Trachsler geht sogar noch weiter: «Er wird von uns eigentlich wie ein Familienmitglied behandelt. Die Konstellation bringt es auch mit sich, dass man zu einem gewissen Teil die Elternrolle übernimmt und gelegentlich Reibungen entstehen.» Antoine sei in dieser Beziehung aber sehr pflegeleicht, und ausserdem habe man mit seinen Eltern klare Regelungen getroffen, was er dürfe und was nicht.

Auch in der Stadt Zürich und mit den Eigenheiten der Deutschschweizer kommt Antoine inzwischen gut zurecht. «In Zürich wird viel öfter Velo gefahren als in Freiburg. Auch sind die Zürcher Fremden gegenüber offener als wir. Auf der anderen Seite verstehe ich immer noch nicht, warum man in Zürich in Zug, Tram und Bus drängelt, obwohl noch nicht alle Leute ausgestiegen sind.» Derlei Aktionen erlebt er jeden Donnerstagabend, wenn er nach der Schule übers Wochenende nach Hause fährt. Kaum dort angekommen, verabredet er sich als Erstes mit seinen Freunden und erzählt den Eltern, was er in der vergangenen Woche erlebt hat. «Etwa, als sich Emma einmal mit Schoggijoghurt das ganze Gesicht verschmiert hatte und alle lachen mussten.» Nicht immer sind die Geschichten lustig. «Einmal wollte Janis mit seine Rollgehilfe einen steilen Weg hinunterlaufen, ist aber hingefallen und hat sich das Gesicht aufgeschlagen. Zum Glück ist ihm nichts Ernstes passiert und zum Glück ge­schah es in Begleitung von Marlies und nicht, als ich allein mit ihm unterwegs war.» Anekdoten, die jenen in «Jeune homme» gleichen. «Ehrlich?» fragt Antoine Buchs. «Ich glaube, dann muss ich mir diesen Film bei nächster Gelegenheit ausleihen.»

*Name geändert.

Infobox

Im Jahr 2014 wurden im Kanton Zürich 101 Au-pairs durch Pro Filia platziert (davon 18 in der Stadt Zürich). Die meisten stammen aus der Westschweiz und dem Tessin (65), gefolgt von Au-pairs aus den USA und den Philippinen. Der Anteil an männlichen ­Au-pairs beträgt nur 5 Prozent. Die Tendenz der Vermittlungen nach Zürich ist steigend.

Weitere Informationen zu Pro Filia Kantonalverein Zürich unter www.zh.profilia.ch.

 

 

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