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Porträt

Das Wirtepaar Kathrin Ansorge und Daniel Ris bei der Besprechung des wöchentlichen Menüplans. (Bild: Werner Schüepp)

Ein Lokal im Niemandsland

Von: Werner Schüepp

22. Oktober 2019

Ihre Nachbarschaft besteht aus Künstlern, Asylbewerbern und Prostituierten. Kathrin Ansorge und Daniel Ris führen das Restaurant Transit. Die umfunktionierte Baracke sorgt für Charme auf einem Industrieareal.

Das Restaurant Transit liegt an der Aargauerstrasse hinter dem Bahnhof Altstetten. Die Gegend ist nicht gerade einladend: Von der nahen Autobahn ist das Rauschen der Fahrzeuge zu hören, Büroklötze aus Beton ragen in den Himmel, und Markthallen warten auf Lastwagenlieferungen. Der Weg zum Transit führt vorbei am städtischen Strichplatz mit den Sexboxen, gefolgt vom Basislager, in dem Kreative und Start-ups in ihren Ateliers arbeiten, und dann tauchen orange und gelbe Container einer Wohnsiedlung für Asylbewerber auf. Hier, auf dem Grundstück der Asylorganisation Zürich, steht das Transit, früher eine Tankstelle, die die Stadt abreissen wollte.

Seit sieben Jahren führen Kathrin Ansorge und Daniel Ris das Lokal. Wie wirtet man in Zürich an einem solchen speziellen Ort? Mit Prostituierten, Flüchtlingen und Künstlern als Nachbarn? «Wir hatten in den sieben Jahren keine Probleme, sondern einen regen Austausch mit unseren Nachbarn», sagt Daniel Ris, «das Transit ist ein fester Bestandteil des Areals mit seinen vielseitigen Nutzern und Bewohnern geworden.» Sie hätten im Laufe der Zeit einen guten Draht zum multikulturellen Nachbarschaftsmix gefunden, fügt Ansorge hinzu, man kenne und grüsse sich. Oft würden auch Kinder aus der Siedlung hier bei ihnen spielen, und mit ihnen ergebe sich automatisch Kontakt zu den Eltern, sagt Ris. Als Kunden erscheinen die direkten Nachbarn jedoch eher selten.

Bartheke aus Kandersteg

Mit der Beiz am Stadtrand hat sich das Wirtepaar, welches privat kein Paar ist, einen Traum erfüllt. «Ich geniesse hier als Gastronom alle Freiheiten. Weit und breit kein Chef, der mir dreinredet», sagt Ris. Seiner Geschäftspartnerin gefällt, dass im Transit unterschiedliche Bevölkerungsschichten zum Mittag- oder Abendessen einkehren. Ansorge: «Unser Restaurant ist sicher unkonventionell, was den Standort betrifft, aber es hat den Charme einer gemütlichen Oase.» Der Wohlfühlfaktor zeigt sich auch an der Auswahl der Holzmöbel, welche die beiden quer durch die Schweiz zusammengesucht haben. Das Prunkstück des Interieurs, die zentral angeordnete Theke, stammt aus der letzten Bar von Kandersteg.
«Der Start vor sieben Jahre war ein Chrampf. Es war nicht einfach, da wir alles von null aufbauen mussten», erinnert sich Kathrin Ansorge, «hier gab es nichts, auf dem Areal wurde noch bis in die 1950er-Jahre der Müll der Zürcher gelagert.» Es handelte sich um die städtische Abfalldeponie Herdern. Später entstand hier ein buntes Gemisch verschiedener kleiner Handwerkerbuden, Autogaragen und Schrebergärten.

Trotz schmalen Budgets ist es den beiden Pächtern gelungen, eine Beiz auf die Beine zu stellen, deren Geschäftsgang sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt hat und die bezahlbare Gerichte auf der Speisekarte führt, wie es sich für ein Lokal im Niemandsland gehört. Schweinsschnitzel mit Nüdeli, Ghackets und Hörnli mit Apfelmus, Siedfleisch mit Gemüse oder eine Pasta an hausgemachtem Rucola-Pesto: Im Transit wird die gutbürgerliche Küche gepflegt. «Unsere Küche ist mit drei Herdplatten und ungefähr zwölf Quadratmeter Grundfläche sehr klein, auch darum haben wir uns auf einfache, klassische Gerichte spezialisiert», sagt Ris, der als gelernter Koch oft auch noch selbst am Herd steht.

Wenig Geld, viel Kreativität

Kathrin Ansorge und Daniel Ris sind ein professionelles, eingespieltes Team. Sie haben schon vor zehn Jahren aus einem alten Ford Transit mit eingebauter Küche Gäste bewirtet, als das Basislager seinen Standort noch in der Binz in Wiedikon hatte. Ris ist ganz der Typ Lebenskünstler. Nachdem er seine Kochlehre abgeschlossen hatte, ging er nach England. «Mein Ziel war, Hoteldirektor zu werden, das hat allerdings nicht geklappt», sagt er. Zurück in der Schweiz, übte er diverse Jobs aus. Er war Nacht-Hotelmanager, wurde Betriebsanalyst in einem grossen Zürcher Hotel, wechselte dann in die IT-Abteilung einer Versicherung, war später Programmierer, bis er schliesslich in einer Firma landete, die massgeschneiderte Haarprothesen herstellte. «Die klassische Karriereleiter hin­aufzusteigen, hat mich nie interessiert. Mir ist wichtiger, dass ich kreativ sein und meine Träume verwirklichen kann.» Was will er mit dem Transit erreichen? Die Antwort folgt schnell. Den Beweis antreten, dass man in einer der teuersten Städte der Welt auch mit wenig Geld und viel Kreativität etwas bewirken könne.

Kathrin Ansorge ist der ruhigere Typ der beiden. Im Zürcher Unterland aufgewachsen, ist ihr ursprünglicher Beruf Landschaftsarchitektin. Das blieb sie aber nicht lange. Was sie stattdessen tun wollte, wusste sie nicht. Sie konnte sich vorstellen, einen Waschsalon zu übernehmen oder Privatgärtnerin zu werden, und informierte sich über den Beruf der Rangierlokführerin. Dann traf sie zufällig Daniel Ris und seinen zum Küchenwagen umgebauten Ford. «Dani und ich ergänzen uns bei der Arbeit bestens. Er ist das Gaspedal, ich die Bremse», charakterisiert sie die unkomplizierte Zusammenarbeit. Inzwischen ist die Belegschaft auf sechs Personen angewachsen. Seit vier Jahren wirkt Michael Hühnli als Küchenchef, Aron, Axmed  und Senait arbeiten als Allrounder im Service und in der Küche.

Harte, aber schöne Arbeit

Ein Restaurant erfolgreich zu führen, ist harte Arbeit mit sehr viel Präsenzzeit. Trotzdem sind die beiden nach sieben Jahren nicht ausgebrannt. Sie empfinden ihre Arbeit als sehr vielseitig. Unter der Woche ist normaler Restaurantbetrieb. An den Wochenenden öffnen sie das Lokal für geschlossene Gesellschaften. Gefragt sind Firmenessen, Geburtstagspartys, Familienfeiern und Hochzeiten, Pensionierungen und Leidmahle. Bis Ende Jahr sind alle Wochenenden ausgebucht. So gleicht keine Woche der anderen, jeder Anlass bringt andere Gäste.

Wie geht es weiter mit der gemütlichen Baracke im Nirgendwo? «Wir bleiben weiter Untermieter der Asylorganisation Zürich», sagt Ris, «hier ist mit den Jahren ein exotisches Biotop entstanden, und das wollen wir alle noch lange weiterpflegen.» Schon länger gibt es Gerüchte, die Stadt wolle auf dem Grundstück irgendwann ein Tramdepot bauen. «Das ist für uns kein Thema. Wir schauen im Transit weiterhin zu unseren Gästen, damit es ihnen gut geht und sie sich bei uns wohlfühlen», so Ansorge.

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