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Porträt

Eine neue Niere, ein neues Leben

Von: Ginger Hebel

25. Februar 2014

David Neidhart litt an Schrumpfnieren und war von der Dialyse ­abhängig - eine Tortur. Viereinhalb Jahre musste er auf eine Spenderniere warten.

Er hat seine Niere einem fremden Menschen zu verdanken. Wäre da nicht jemand gewesen, der sich bereit erklärte, seine Organe nach dem Tod zu spenden, dann wäre das Leben von David Neidhart noch immer eine Belastung. Vor dreieinhalb Jahren wurde ihm eine ­gesunde Niere transplantiert, und sein neues Leben begann.

David Neidhart litt an Niereninsuffizienz, an sogenannten Schrumpfnieren. Die Krankheit ist vererbbar, seine Urgrossmutter war ebenfalls nierenkrank. Weil seine Nieren im Laufe der Zeit immer kleiner wurden, nahm auch deren Funktion ab, nämlich die, schädliche Stoffe aus dem Blut zu filtern und mit dem Harn auszuscheiden. Er litt an Kreislaufproblemen und fühlte sich je länger, je mehr erschöpft. «Ich war müde, abgeschlagen, und hätte mich am liebsten immer hingelegt.» Der Versicherungsangestellte musste sein Pensum reduzieren, denn ganztags konnte er sich nicht mehr konzentrieren.

2006 arbeiteten seine beiden Nieren nur noch knapp 40 Prozent, eine Dia­lyse wurde notwendig. In seinen Bauch wurde ein Katheter implantiert, durch den er viermal täglich eine spezielle Lösung einlaufen lassen und die übrige Flüssigkeit entfernen musste. Diese Bauchfelldialyse dauerte jedes Mal fast eine Stunde. Die Blutwäsche machte er selber, mit Mundschutz und Handschuhen, daheim und bei der Arbeit. Er schloss Türen und Fenster, damit keine Keime und kein Staubkorn in die Eintrittsstelle des Schlauches drangen. «Das Prozedere ist zeitaufwendig und belastend, weil man konzentriert und steril arbeiten muss, damit es keine Infektionen gibt», erklärt Neidhart. Einmal war er nicht vorsichtig genug. «Plötzlich verhärtete sich mein Bauch, ich bekam fürchterliche Schmerzen.» Zehn Tage lag er mit einer schweren Infektion auf der Intensivstation.

Warten und hoffen

Eine Nierentransplantation ist der einzige Ausweg aus der Dialyse. Neidhart stand auf der Warteliste für Organe bei Swisstransplant, der Nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation. Er wartete auf eine Spenderniere und wusste nicht, ob er die Nummer 50 ist oder die Nummer 2, ob er morgen eine neue Niere bekommen würde, in zwei Jahren oder nie. Eine Software errechnet, wer ein Spenderorgan erhält. Zuteilungskriterien sind medizinische Dringlichkeit, medizinischer Nutzen und die Wartezeit. Die Warterei belastete ihn. Die Hoffnung stirbt zuletzt, doch wie viel Sinn macht es zu hoffen, wenn man weiss, dass die Schweiz mit 13,6 Spendern pro Million Einwohner pro Jahr nur halb so viele Spender zählt wie ihre Nachbarländer? «Man kann davon ausgehen, dass heute in der Schweiz jeder dritte Tag ein Mensch aufgrund des Organmangels stirbt, was alarmierend ist», so Franz Immer, Direktor von Swisstransplant.

Zu Beginn war David Neidhart zuversichtlich, mit den Jahren wurden seine Bedenken grösser. An spontanes Verreisen war nicht mehr zu denken, und auch Restaurantbesuche lagen nicht mehr drin, weil er seine Ernährung komplett umstellen musste. Seine spanische Frau kochte für ihn nur noch Dinge, die er ­vertrug. Lebensmittel mit hohem Kaliumgehalt wie Kartoffeln, Gemüse und Fleisch wurden vom Speiseplan fast gänzlich gestrichen. «Meine Frau war mir eine grosse Stütze, doch es war schwer für mich zu sehen, wie sie und mein Sohn all die guten Dinge assen, die ich nicht mehr essen durfte.» Er war immer ein grosser Esser, ein einziges Menü stillte selten seinen Hunger. «Ich fragte mich, ob sie je einen passenden Spender für mich finden oder ob ich mein Leben lang an der Dialyse hängen muss.»

Der ersehnte Anruf nach 4½ Jahren

Am 16. Juli 2010, morgens um fünf, klingelte das Zürcher Universitätsspital das Ehepaar Neidhart aus dem Bett. Seine Frau nahm den Anruf entgegen. «Elena rief, ‹das Spital!›, dann umarmte sie mich, und wir weinten», erinnert er sich an den grossen Moment zurück. Drei Stunden später wurde ihm eine gesunde Niere transplantiert, die Operation verlief mustergültig.

Beim anonymen Spender hat er sich via Swisstransplant schriftlich bedankt, und eine Antwort von dessen Familie erhalten. «Ich weiss nicht, wer die Person war und woran sie gestorben ist. Ihre Familie hat sie als grosszügig beschrieben, ich bin ihr sehr dankbar.» Auch er würde seine Organe sofort spenden, seine Frau auch. «Ich glaube daran, dass die Seele weiterlebt nach dem Tod, warum also sollte man gesunde Organe nicht spenden? Viele Schweizer leben nach dem Motto: Lieber du als ich. In Spanien ist die Mentalität eine andere; wenn man kann, dann hilft man», sagt Neidhart.

Er wünscht sich, dass über Organspende hierzulande mehr öffentlich gesprochen wird und mehr Leute eine Spenderkarte ausfüllen. «Viele sind zu wenig informiert. Ich habe jetzt eine gesunde Niere, man kann mit einer leben, auch Lebend­spenden sind möglich.» Dem 54-Jährigen geht es heute gesundheitlich gut. Er muss Medikamente schlucken, die eine Abstossung verhindern, und hält sich mit Velofahren fit. Er ist auf Jobsuche und engagiert sich im Vorstand des Zürcher Nierenpatientenvereins, wo Betroffene Erfahrungen austauschen können. Die Krankheit hat ihn demütig gemacht. «Ich bin zuvorkommender und dankbarer als früher. Es ist ein sehr gutes Gefühl, nicht mehr von der Dialyse abhängig zu sein. Aber ein Patient werde ich immer bleiben.»

So werden Sie Organspender

• Rund 1270 Menschen warten in der Schweiz derzeit auf ein Organ, dies entspricht einer Zunahme von knapp 10 Prozent innert Jahresfrist. Sie ­brauchen dringend ein neues Herz, eine Niere, eine Bauchspeicheldrüse.

• Im letzten Jahr spendeten im Vergleich zum Vorjahr 13 Menschen mehr ihre Organe. Das tiefe Spenderaufkommen in der Schweiz bleibt nicht ohne Konsequenzen: mit 73 Todesfällen von Patienten, die auf der Warteliste standen, kommt es zu einem Anstieg von beinahe 40 Prozent.

• Wer seine Organe (Herz, Leber, ­Lungen, Nieren, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm sowie Gewebe und Zellen) nach dem Tod spenden möchte, muss eine Spenderkarte ausfüllen. Sie kann gratis beantragt oder online ausgefüllt werden.

Tel: 0800 570 234

www.swisstransplant.org

 

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