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Porträt

Anita Winter engagiert sich auch im UNO-Menschenrechtsrat. Bild: PD

Eine Stimme gegen die Gleichgültigkeit

Von: Jan Strobel

27. September 2016

Die Zürcherin Anita Winter setzt sich als Präsidentin der Gamaraal Foundation für armutsbetroffene Überlebende der Schoah ein.

«Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit», schrieb der jüngst verstorbene Friedensnobelpreisträger und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel. Für die Zürcherin Anita Winter (54) ist dieses Zitat gleichsam Mahnung für Generationen und ein Leitmotiv ihres Engagements. Als Präsidentin
der Gamaraal Foundation setzt sie sich seit 2014 für armutsbetroffene Überlebende der Schoah ein, ein Thema, das auch die Schweiz angeht.

Schätzungen zufolge leben hierzulande noch rund 480 Holocaust-Überlebende, die meisten von ihnen sind bereits hochbetagt. «Die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen», ist Winter überzeugt. Denn viele Betroffene  würden über ihre Traumata bis ans Lebensende schweigen. Zurzeit unterstützt die von Winter gegründete Stiftung schweizweit 86 Überlebende, die von Armut betroffen sind. Dreimal jährlich lässt ihnen die ­Gamaraal Foundation jeweils an jüdischen Feiertagen eine finanzielle Zuwendung in Form eines dreistelligen Betrags zukommen, aktuell wieder zum jüdischen Neujahr Rosh Hashanah, das diesen Sonntag gefeiert wird. «Wir müssen ihnen jetzt helfen, denn morgen könnte es schon zu spät sein», betont Winter. «Jeder einzelne dieser Menschen, der es aus der Hölle des Holocaust geschafft hat, ist für mich ein Held.»

Wie ein Schatten
«Das Projekt wird getragen von privaten Spenden, Stiftungen und Unternehmungen, von Holocaust-Überlebenden, denen es gut geht, und Kindern der Tätergeneration», sagt Winter.
Die meisten der Armutsbetroffenen retteten sich während des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz oder kamen nach Kriegsende vollkommen entwurzelt zur Erholung hierher, um anschliessend dauerhaft eine neue Heimat zu finden. Andere immigrierten in späteren Jahren aus politischen, beruflichen oder privaten Gründen in die Schweiz. Doch das Erlittene verfolgte ihr Leben unauslöschlich wie ein Schatten. Häufig sind diese Menschen die einzigen, die von der Familie die Schoah überlebt haben. «Dazu kommt, dass vielen eine fundierte Ausbildung verwehrt blieb. Die Zeit in den Ghettos, in den Arbeits- und Konzentrationslagern, die Zeit im Untergrund oder auf der Flucht, sie raubte ihnen die besten Jahre ihres Lebens. Trotz Sozialhilfe und Beiträgen seitens der Claims Conference, die Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer vertritt, können sich diese Überlebenden oftmals nur das ­Allernötigste leisten», macht Winter deutlich. Einen besonderen Fokus legt die Stiftung auch auf Geschichtsvermittlung. Regelmässig organisiert sie Referate von Holocaust-Überlebenden an Schulen.

Zu wenig hinterfragt
Anita Winters Einsatz speist sich nicht zuletzt auch aus der eigenen Geschichte. Ihr Grossvater war der Einzige seiner neunköpfigen Familie, der den Holocaust überlebte. Ihre Mutter versteckte sich als kleines Mädchen während des Kriegs zeitweise unter falschem Namen in einem französischen Kloster. «Wir, die zweite Generation, haben über die Jahre innerhalb unserer Familien zu wenig hinterfragt. Häufig kam es viel zu spät zu einer Aufarbeitung», sagt Winter.

Ihr Engagement trägt sie auch auf die politische Bühne: Sie hat eine Akkreditierung am UNO-Menschenrechtsrat in Genf und ist Vertreterin der grössten jüdischen humanitären Organisation B’nai B’rith International. Vergangenen Montag stand sie vor dem Plenum – als Stimme gegen die Gleichgültigkeit.

www.gamaraal.org

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