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Porträt

Mark Farner: "Diese Schneewellen, was waren sie anderes als gefrorenes Meer?" Bild: PD

Er brachte das Meer in die Alpen

Von: Jan Strobel

25. November 2014

Mark Farner betreibt die einzige Ski- und Snowboard- Manufaktur der Stadt. Vor über 30 Jahren revolutionierte er die Schweizer Sportlandschaft.

Wenn sich ein Traum, der Vater jeder Leidenschaft, in einem Gesicht widerspiegelt, dann in demjenigen von Mark Farner, wenn er ein Snowboard oder einen Ski in die Hand nimmt. Er streicht sanft über die schwarze, lackierte Oberfläche, er prüft mit seinem Blick die Pressung des Holzes, das zusammen mit dem Grafitbelag, dem Fiberglas und dem metallisch schimmernden Karbon ein handwerkliches Gesamtkunstwerk ergibt, in dem seine Lebensberufung steckt, noch mehr: es ist die Verwirklichung einer Vision.

Farner begrüsst den Besucher in seinem kleinen Reich am Mythenquai in Wollishofen. Er führt hier mit seinen acht Mitarbeitern die einzige Ski- und Snowboard-Manufaktur in Zürich. «Radical Sports» nennt sich der exklusive Kleinbetrieb, eine Institution des Schweizer Wintersports, den Farner und seine Freunde vor über dreissig Jahren revolutionierten. «Radical», in diesem Wort liegt der Ursprung von Farners Traum. «Es hat nichts mit radikal zu tun, sondern meint in der ersten englischen Bedeutung: Zurück zu den Wurzeln.»

Diese Wurzeln liegen im Surfsport, den Farner als Student der Anthropologie an den Stränden Mexikos kennenlernte. Ausgerechnet der Winter hatte ihn, den späteren Snowboard-Pionier, aus Zürich vertrieben. «Es war mir hier einfach zu kalt, zu grau», sagt er. Wenn er sich mit seinem Surfbrett über die Wellenkämme tragen liess, für einen Moment zwischen Himmel und Erde schwebte, bevor ihn die wuchtige Energie des Meeres aufs Neue erfasste, ereilte ihn eine Vision. Er sah vor sich plötzlich mächtige Schneewechten, diese erstarrten Wellen, die er im Hoch-Ybrig als Junge immer wieder bestaunt hatte. «Auf diesen Wechten wollte ich surfen. Diese Schneewellen, was waren sie anderes als gefrorenes Meer?»

Die Vision wurde immer konkreter, immer farbiger, sie wurde «ein Dauertraum mit Fortsetzung», wie Farner es umschriebt. Als er schliesslich nach Zürich zurückkehrte, musste er ihn Wirklichkeit werden lassen. Und wenn der junge Mann etwas wollte, gab es kein Halten mehr.

Das perfekte Umfeld fand er in seinem Freundeskreis, mit dem er sich regelmässig auf der Landiwiese zum Skaten traf. Sie waren Asphalt-Surfer, die sich zur «Swiss Landsurf Association» zusammengeschlossen hatten, dem Ur-Klub der Schweizer Skaterszene. Nicht nur im Meer oder auf Seen, sondern auch auf Schnee zu surfen, diese Idee zündete in diesem Underground-Umfeld sofort. Denn während in den USA das Schneesurfen bereits ein Begriff war, war dieses Konzept hierzulande unbekannt. In einer Villa an der Bellariastrasse, in der Farner, nun als ETH-Sportstudent, mit anderen Kommilitonen wohnen konnte, bauten sie sich ihre ersten Schneebretter zusammen. Den Kunststoff für die Bindungen schmolzen sie im Backofen in Form. Es war gewissermassen die Geburtsstunde des Snowboards in der Schweiz und gleichzeitig der Anfang von Farners eigener Werkstatt. 1984 hob er «Radical Sports» aus der Taufe. «Wir spürten einfach, dass das ein ganz grosses Ding wird, eine Sensation.»

Revierkampf auf der Piste
Mit ihren Brettern zogen die Pioniere hinauf in die Skigebiete – und gerieten innert Kürze in einen Revierkampf mit den Skifahrern. Auf den Unmut reagierten die Skigebiete mit einem Verbot für Snowboards. Doch der neue Sport fand immer mehr Anhänger, vor allem unter den trendhungrigen Städtern. Zürich entwickelte sich zur internationalen Snowboarder-Hochburg. 1986 eröffnete zum Beispiel Pionier Andy Tanner im Kreis 4 mit dem «Beach Mountain» den ersten Snowboard-Shop Europas.

Um den Snowboard-Sport in die «Legalität» zurückzuholen, organisierte Farner mit seinem 1985 gegründeten Radical Snowboarding Club Zürich, dem ersten Snowboard Club Europas, 1987 in St. Moritz die erste Weltmeisterschaft des Kontinents. Jetzt wurde auch die Presse auf das Phänomen aufmerksam «Spätestens ab 1989 explodierte es dann regelrecht», erinnert sich Farner. Die Skiorte buhlten plötzlich um die Gunst der Schneesurfer. Das Snowboard eroberte die Schweizer, Skifahren galt plötzlich als «out». Fast wäre der klassische Alpinskisport dabei untergegangen, hätte er sich nicht am Snowboard orientiert. «Der Carving-Ski, bei dem die starken Taillierungen des Snowboards übernommen wurden, war seine Rettung», sagt Farner. Und schliesslich geriet irgendwann auch das Snowboard in die Wellenbewegung der Trends. Ende der 90er Jahre stiegen viele wieder um auf ihre jetzt hypermodernen Skis und «carvten» schwungvoll über die Pisten. Auch bei «Radical Sports» zeigte sich dieser Umschwung. Farner produzierte neben seinen Snowboards nun auch wieder vermehrt exklusive Skis für eingefleischte Fahrer. Ein Board oder ein Ski aus dem Hause «Radical Sports» ist für sie so etwas wie ein Porsche für die Piste. Die Produkte werden in Mini-Serien handgefertigt, auf Wunsch auch nach Mass. Der Kern besteht aus Schweizer Pappelholz und nicht aus importiertem Tropenholz, das manche Hersteller noch immer verarbeiten.

Ohnehin will es der Zeitgeist heute exklusiver. Das Naturerlebnis ist gefragt, abseits des Trubels. Ein Verkaufsschlager in Farners Manufaktur ist das sogenannte «Split-Board», ein teilbares Snowboard, das sich mit wenigen Handgriffen in Tourenskis umfunktionieren lässt. Auf den Skis wandern die Outdoor-Freunde die Hänge hoch, mit dem Snowboard fahren sie schliesslich hinunter. Allerdings: Eine eingehende Schulung über Lawinenschutz ist hier Pflicht, schiebt der Chef nach. Seinen Kunden bietet er deshalb auch Einsteigertouren an. «Was es jetzt noch braucht», sagt Farner, «ist Schnee in Zürich. Damit auch die Unterländer wissen, dass es den Winter tatsächlich noch gibt.»

www.radical-sports.com

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