mobile Navigation

Porträt

Leben im Museum: Asia Andrzejka Naveen (32) hat zehn Freunde in eine WG im Helmhaus eingeladen. Bild: PD

Fleischgewordene Veränderung

Von: Clarissa Rohrbach

02. Juni 2015

Asia Andrzejka Naveen wohnt mit ihren Freunden im Helmhaus. Die Künstlerin fürchtet sich nicht davor, Besucher zu umarmen oder einen Islamisten zu heiraten. Sie lebt die radikale Offenheit.

Sie ist das Kunstwerk. Asia Andrzejka Naveen lebt für zwei Monate im Helmhaus. Besucher können sie anschauen. Noch lieber mit ihr reden. Die Künstlerin steht vor ihrem Wandbild, soeben hat sie die Flügel eines Schwans um einen Pinselstrich verlängert. «Er flog an mir vorbei, als ich diese Ausstellung vorbereitete, das war ein schöner Augenblick.» Begrüsst der Besucher die 32-Jährige, will sie ihn umarmen. Für manche mag die radikale Offenheit erschreckend sein, für andere ist sie herzerwärmend. Naveen teilt sich die Museums-WG mit zehn Freunden, ihr Leben ist hier die Kunst. Die Begegnung lässt einen hinterfragen, wer man ist, wer die anderen sind und was wir überhaupt miteinander zu tun haben. «Wie lange ich schon hier bin? Weiss nicht, ich zähle die Tage nicht.» Sie lacht und legt sich auf ein Sofa, die afrikanischen Zöpfchen fallen ihr auf die Schultern. «Ich transformiere mich ständig. Dieser Raum soll zeigen, dass Veränderung möglich ist. Ich hoffe, dass sich hier auch die Besucher verändern.» Ein Hund schnüffelt an ihren Socken, dann betritt eine Frau das Wohnzimmer. Sie schaut auf den Ausstellungszettel, dann auf den gebrauchten Teebeutel vor Naveen. Kurz weiss sie nicht, wie sie reagieren soll, ob sie hier Voyeurin oder willkommen ist. «Du hast mega schöne Ohrringe», sagt ihr die Künstlerin. Die Besucherin strahlt. Im Raum wechselt etwas Unmerkliches, beide Frauen sind nach diesem Austausch anders. Das ist sie also, die Transformation, Naveens Kunst.

«Ich bin ausgebrochen aus dem artifiziellen Rahmen der Kunst.» Eine Besucherin habe sich wahnsinnig darüber empört: Kunst solle doch käuflich sein. Naveen lacht und gleitet von der Couch in die Küche. Dort sitzen ihre Mitbewohner, man hört Spanisch, Französisch, Englisch. Sie essen das Couscous, das eine Besucherin für sie gekocht hat. «Hast du schon gegessen? Komm, hier ist noch ein Stuhl.» Man fühlt sich entwaffnet, das ist gnadenlose Direktheit.

Am Küchentisch erzählt Naveen, wie der Zufall sie leitet. Sie wolle dem Sein näherkommen, das heisst, den Moment ehrlich und aufmerksam wahrnehmen, egal ob gut oder schlecht. Denn alles fasziniert sie, auch der Regenwaldbrand in Borneo, bei dem sie fast starb, oder die Hizbollah, die sie im Libanon verhaftete, weil sie im falschen Moment am falschen Ort ein Foto schoss. «Ich sehe die Ereignisse auch immer aus der Makro­perspektive, ich bin zwar drin, aber auch ganz weit weg, das offenbart die Absurditäten.» Die Assoziationskette, in der sie sich so gern treiben lässt, wurde dann unterbrochen, als sie Antidepressiva an sich selbst ausprobierte. «Ich war in einem einzigen Gedanken gefangen und kam nicht mehr weiter», sagt Naveen und gibt einer Freundin zum Abschied einen Kuss.


Im Iran fast vergewaltigt
Angst? Je mehr Naveen ausprobiert, desto weniger fürchtet sie sich. Vor der Zukunft schon gar nicht. «Das einzige Stabile ist, dass nichts gleich bleibt.» Mache man sich Sorgen, ziehe man die schlimmen Sachen nur an. Die körperliche Angst hingegen, die sei gut, sie erlaube einem zu reagieren. Wie etwa damals, als ein Mann sie im Zimmer eines Hotels im Iran vergewaltigen wollte. Sie wehrte sich, er schlug den Kopf an. Es war der Mann, mit dem sie eine Zeitehe eingegangen war, einer ihrer acht Ehepartner.

Die mehrfachen Heiraten waren Teil des Projekts «sukzessive Monogamie». Dabei machte sich Naveen die Unterschiede der Gesetze in verschiedenen Ländern zunutze, um zu zeigen, dass die Ehe nicht unbedingt eine Zweierbeziehung sein muss. Sie nahm an einer Massenhochzeit in Indien teil, an der Transgender-Menschen sich mit der Gottheit Aravan vermählen, weil sie sich sonst nicht binden dürfen. Oder wurde die Frau eines Schamanen in Guatemala, weil es dort genügt, zusammenzuwohnen, um den Ehebund zu schliessen.

«Ich finde, der Staat greift in die persönliche Freiheit ein, wenn er bestimmt, welche Liebesbeziehung gültig ist.» Naveens erster Bräutigam war ein Ägypter, der zweite ein schwuler Freund, die dritte eine Lesbe aus Berlin, aber nur den vierten heiratete sie kirchlich. Im St. Jakob am Stauffacher war die ganze Welt eingeladen, die Gäste durften sich untereinander küssen. Die Leute fragen sie heute, ob das jetzt nun ihr richtiger Mann sei, wegen der Kirche. Das findet Naveen lustig. Als Teenager wollte sie nie heiraten, heute tut sie es mehrfach, weil es ihr unmöglich ist, nur einen Menschen auf einmal zu lieben.


Der ganze Besitz in einem Koffer
Die Monogamie ist für Naveen ein Konstrukt, Nationen und Identitäten sind es auch. «Strukturen geben uns die Illusion von Stabilität, aber wir haben zu viele davon.» Naveen sitzt nun auf einer Yogamatte. Sie trainiert täglich. Ob es kein einheitliches Selbst gäbe? Das bildeten sich die Menschen nur ein. Sie versuchen krampfhaft, eine kohärente Identität aufrechtzuerhalten. Dabei seien wir widersprüchlich, einmal so und einmal so, und niemand könne uns im Ganzen fassen. «Falls eine Idee oder ein Selbstbild nicht mehr stimmt, dann werfe ich es über Bord.» Doch wenn das alle Leute täten, müssten sie ständig ihr Leben verändern, und das würden sie nicht wollen. Deswegen reagieren einige brüskiert auf Naveens Kunst: «Sie fühlen sich in ihren Werten angegriffen. Dabei ist klar, dass die Gesellschaft nicht gleich bleiben würde, wenn alle so frei wären wie ich.»

Vor der Ausstellung schlief Naveen auf der Couch eines Bankers. Seit zwei Jahren hat sie ihren Wohnsitz aufgegeben. Und auch all ihren Besitz. Nun steht der Koffer mit ihren Habseligkeiten neben der Jurte, in der die Museumsbewohner schlafen. Manchmal gehen sie erst um 4 Uhr ins Bett, dann stehen die Besucher am nächsten Morgen vor der schlafenden Truppe – darunter ein Arzt, eine Sängerin und ein Wirtschaftsinformatiker. Sie kommen aus Mexiko, Polen, Somalia, Frankreich.

Wie es weitergehen soll, weiss Naveen nicht. «Mal abwarten, was das Leben bringt.» Die gebürtige Winterthurerin, der die Eltern einen Namen auf Sanskrit gaben, schloss an der ZHDK, in Indonesien und China den Master of Fine Arts ab. Geld und Sicherheit sind ihr egal. Kinder? Kinder wolle sie keine. Während der Schweinegrippe lebte sie mit einem Schwein und stellte die Ängste der Leute bloss. «Ich wollte nur noch mit dem Schwein zusammen sein, mich darum kümmern. Muttergefühle sind nichts für mich.»

Ein Mitbewohner unterbricht die Künstlerin, er sucht seinen Pyjama. Daneben liegen Bücher. Eines davon heisst «Die Riten der Selbstauflösung». Naveen erzählt von der Vergangenheit des Helmhauses, von den Hexen, die hier im Mittelalter zum Tode verurteilt wurden. «Hier sind viele Energien, deswegen träumen wir viel, aber manchmal müssen wir den Raum ausräuchern, um sie zu befreien.»

Privatsphäre? Ab und zu sehnt sich Naveen danach, doch was habe sie schon zu verstecken? Wichtig sei die Balance: nach aussen zu gehen und trotzdem bei sich zu bleiben. Sie pinselt wieder an ihrem Bild. Da ist ein Sufi und ein Luchador, ein mexikanischer Kämpfer. Was das zu bedeuten hat? «Weiss nicht, das Bild bin ich.» Ihre Freunde sagen ihr, sie sei eine Philosophin, die ihre Philosophie lebt. Beim Abschied gibt es eine Umarmung.  

Asia Andrzejka Naveens Ausstellung ist bis 21. Juni im Helmhaus zu sehen.

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare