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Porträt

Glückssucherin in Kosovo

Von: Jan Strobel

04. Juni 2013

Die Zürcher Studentin Aleksandra Hiltmann machte sich auf die Suche nach dem anderen Kosovo – jenseits von Zerstörung, Hass und Korruption.

Wenn Aleksandra Hiltmann durch das Fenster des Reisebusses blickte, breitete sich vor ihr eine Landschaft aus, die sie an die Schweiz erinnerte. Die sanften Hügel, Bäche, die sich durch Bergtäler schlängelten, Wäldchen wechselten sich mit Feldern ab, sie sah kleine Gehöfte, malerisch, als ob sie irgendein Riese über die satt-grünen Wiesen geworfen hätte. Und immer wieder ein Dorf, überragt vom Minarett einer Moschee. Kosovo zeigte der 26-jährigen Studentin aus Zürich in diesem Moment seine ganze Schönheit, seine herbe Pracht, dieses traumatisierte Land, das in Europa für die Tragik des Balkans steht, gefangen im Sumpf von Korruption und Armut, verwundet durch Kriege und ethnische Säuberungen - 11  000 Quadratkilometer scheinbarer Hoffnungslosigkeit.

Aber natürlich kann es Dunkelheit ohne Licht nicht geben, und genau diese lichten Seiten des Kosovos wollten Hiltmann und ihre drei Schweizer Mitreisenden kennen lernen. Sie waren Teil eines sogenannten Workcamps des Service Civil International (SCI). Die NGO organisiert weltweit Hilfs- und Friedensdienste für Freiwillige, seit einigen Jahren auch in Kosovo. Als Publizistik- und Politologie-Studentin nahm sich Hiltmann eine journalistische Aufgabe vor. In Interviews und Fotoreportagen porträtierte sie Biografien zwischen Mitrovica und Prizren, die eine andere Geschichte erzählen: Sie wollte keinen Betroffenheits-Journalismus betreiben, sondern suchte das Positive. «Die zentrale Herausforderung bestand darin, den Schwerpunkt nicht auf Krieg und Korruption zu richten», erklärt Hiltmann. «Viele in der Schweiz meinen ja noch immer, in Kosovo herrsche Krieg. Dass es dort ein anderes, eben auch glückliches Zusammenleben zwischen Albanern, Serben, Bosniern oder Roma gibt, können sie sich kaum vorstellen.»

Ahmed, der Bosnier
Hiltmann erzählt die Geschichte von der Wohngemeinschaft in Pristina, in der sich ein Serbe, ein Albaner und ein Bosnier zusammen eingerichtet haben. Oder dann die des 17-jährigen Gymnasiasten in Prizren, der sich beim Internationalen Dokumentarfilm-Festival in seiner Heimatstadt engagiert und in geschliffenstem Englisch mit Kulturschaffenden debattiert. Ebenfalls in Prizren lebt Ahmed, ein Bosnier, Betreiber eines Kebab-Shops, der vom alltäglichen Zusammenspiel der Ethnien und Kulturen berichtet. «Viele in dieser Stadt», sagt Hiltmann, «fragen den Nachbarn oder eine neue Bekanntschaft nicht nach der Herkunft. Sie spielt einfach keine Rolle. Da scheint es heute kaum noch vorstellbar, dass hier einmal ein Krieg wütete, der diese komplexe Vielfältigkeit auseinanderzureissen drohte.» Selbst aus dieser Hölle des Kosovokrieges Ende der 90er-Jahre wussten Hiltmanns Interviewpartner noch Positives zu berichten. «Die Leute haben sich gegenseitig das Leben gerettet, sie überwanden Angst und Misstrauen. Bosnier versteckten Albaner, Serben schauten zu, taten aber beiden kein Leid an.»

Doch es wurde an diesem Punkt auch Hiltmann klar, dass ihr Projekt an Betroffenheit eben doch nicht vorbeikommen konnte. Im Dorf Plementina zum Beispiel trat ihr besonders das Elend der Roma in seiner ganzen Brutalität vor Augen. «Ich konnte mir eine solche Armut in Europa nicht vorstellen. Da packt mich noch immer ein stilles Grauen.» Und immer wieder sassen die Schweizer abends im Finsteren, weil gerade wieder der Strom ausgefallen war. «Aber gleich daneben befand sich das riesige Kohlekraftwerk in vollem Betrieb. Es war ein absurder Anblick, besonders, weil wir ja versuchten, unseren Alltag vor Ort möglichst nachhaltig zu gestalten.» Hätte man den Bewohnern des Dorfes von der 2000-Watt-Gesellschaft erzählt, sie hätten vermutlich ziemlich fassungslos reagiert. Absurd waren für Hiltmann auch die Offroader mit Zürcher Kennzeichen, die durch die Strassen der Hauptstadt Pristina kurvten, möglichst an den Terrassen der Boulevardcafés vorbei. Für die einheimischen Gäste an ihren Tischen war das ein alltäglicher Anblick, die «Schatzis», wie sie die Auslandskosovaren spöttisch betiteln, trügen wieder ihren Reichtum zur Schau. Aber Luxusschlitten und Kosovo-Albaner – Aleksandra Hiltmann hört sie schon wieder, die Vorurteile mancher Schweizer. «Das geht dann Hand in Hand mit dem Raser, Drogenhändler und Mafioso. Wenn die Albaner wirklich so wären, sie hätten sich gegenseitig längst vernichtet», sagt die Studentin. «In den News zieht es natürlich nicht, wenn ich sage: Mein kosovarischer Nachbar hat schöne Blumen und lädt mich zum Kaffee ein.» Ihre positiven Geschichten aus dem Kosovo möchten Hiltmann und die SCI-Freiwilligen nun den Zürchern näherbringen – mit einer Lesung aus dem Buch, das sie zusammen gestaltet haben. «Schliesslich», findet Hiltmann, «können die Zürcher noch einiges lernen von den ­Kosovaren.»

Lesung mit musikalischem Rahmenprogramm am 18. Juni, 19 Uhr, im Maxim Theater, Lagerstrasse 98.
www.scich.org

 

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