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Porträt

Kerstin Suter ist das Gesicht des Strandbads Mythenquai.

Grüezi und Uf Widerluege!

Von: Ginger Hebel

11. August 2015

An der Kasse führt kein Weg vorbei. Wir haben vier Personen getroffen, die seit vielen Jahren als Kassiererin oder Kassierer arbeiten: am See, in der Migros und im HB.

Alberto Dornbierer, Schiffskasse

«Man muss Menschen mögen, wenn man an der Kasse arbeitet», sagt Alberto Dornbierer. Er mag Menschen, sehr sogar. Seit 14 Jahren verkauft der 64-Jährige im Kassenhäuschen beim Schiffssteg am Bürkliplatz Tickets für die Kleine und die Grosse Rundfahrt sowie die Traumschiffe; das Schlager-Party-Schiff sei derzeit der Renner. Alberto Dornbierer ist eine treue Seele. Nach der Lehre bei der Swiss­air arbeitete er 30 Jahre in verschiedenen Abteilungen, auch am Abfertigungsschalter. «Dort war es sehr hektisch, und man hatte öfters Probleme mit Leuten, die ihr Über­gepäck nicht bezahlen wollten», erinnert er sich. Das Swissair-Grounding erlebte er hautnah mit, eine traurige Zeit sei das gewesen, «wir waren wie eine Familie». Lange hatte er nach einer neuen Stelle gesucht, bis er den Kassenjob bei der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft (ZSG) bekam. Man brauche viel Geduld in seinem Beruf, denn man wieder­hole sich ständig. Möchten Sie auf die MS Wädenswil oder die MS Pfannenstiel? 1. oder 2. Klasse? Kleine oder Grosse Rundfahrt? Auch beim hundertsten Kunden und denselben Fragen muss er ruhig und freundlich bleiben.

Rund die Hälfte aller Passagiere, die ein Ticket kaufen, sind Touristen, «es kommen weniger Europäer als früher, heute begrüssen wir viele Brasilianer, Chinesen und Inder», sagt Dornbierer. Fast alle buchen die Kleine Rundfahrt, denn wenn er ihnen sagt, dass die Grosse vier Stunden dauert, schrecken sie zurück. Die meisten seien höflich, doch einige behandelten ihn auch von oben herab. Seine Reaktion: Er lächelt. «Wer lächelt, bekommt ein Lächeln zurück, nicht immer, aber oft.» Bei schönem Wetter klingeln die Kassen. Pro Tag steigen 2000 bis 3000 Menschen am Bürkliplatz in ein Schiff, am Gratistag vom 31. Mai waren es 33 271 – so viele wie noch nie in der 125-jährigen Geschichte der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft. Dornbierer: «Ich fertige die Leute nicht ab, aber ich versuche, sie möglichst schnell zu bedienen, damit die Schlange vor der Kasse nicht noch länger wird.»

Viele Begegnungen wird er nie vergessen. Darunter die mit jener betagten Frau, die stets abgezähltes Münz für ein Schiffsticket im Plastiksäckchen dabei hat, oder diejenige mit einem alten Mann, der oft vor seiner Kasse steht und den er akustisch nicht versteht. Kürzlich stellte sich heraus, dass er gar nicht hier sein dürfte, sondern immer wieder aus dem Pflegeheim ausbricht und dahin geht, wo er angeblich nicht mehr hingehört – ins Freie, auf den See.

 

Claudia Spina, Kiosk am HB

Pendler, Touristen, Obdachlose, und mitten im Getümmel: Claudia Spina. Seit fünf Jahren arbeitet sie im verspiegelten Kiosk in der Haupt­halle im HB. «Hier spürt man den Puls des Lebens.» Als sie vor fünf Jahren von einem Sprachaufenthalt in Südamerika zurückkehrte, brauchte sie dringend einen Job und landete im Kiosk. Ihre Schicht beginnt um 4.45 Uhr und dauert bis 13.45 Uhr. So sei sie früh mit der Arbeit fertig und habe Zeit für ihren kleinen Sohn. 1000 bis 3000 Kunden bedient sie pro Tag. «Ich hätte nie gedacht, dass man an einem Bahnhofskiosk eine Stammkundschaft hat.» Jeden Morgen kommen dieselben Leute und kaufen Zeitungen und Zigaretten. Hat sie nie Angst, überfallen zu werden, wenn sie in aller Herrgottsfrühe in der Bahnhofshalle den Kiosk aufschliesst? «Nein, aber am Wochen­ende tummeln sich hier viele Betrunkene, dann wird es manchmal mühsam.»

Am Kiosk wird geklaut, was das Zeug hält. «Man staunt, wer alles klaut», sagt die 28-Jährige. Oft erwischen Polizisten in Zivil einen Dieb in flagranti. Vielfach seien es Leute, von denen man es nie erwarten würde, zum Beispiel ältere Männer, die einen Tagi klauen. Saure Schlangen und Kinderüberraschungseier sind der Renner seit Jahren. Auch Glückslose verkauft Claudia Spina wie warme Weggen. «Wenn bei Euromillions ein Megajackpot lockt, dann müssen wir zusätzliches Personal einstellen, um den Ansturm zu bewältigen.»

Kerstin Suter, Badi Mythenquai

An einem Hitzetag verkauft Kerstin Suter 7000 Badieintritte, dann heisst es 7000-mal Grüezi und Sali sagen. Jeder Badegast muss an ihr vorbei. «Ich bin das erste Gesicht, das sie sehen, eine Art Visitenkarte der Badi, das ist ein schönes Gefühl.» Schon als Kind verbrachte Kerstin im Strandbad Mythenquai jede freie Minute. Sie habe immer eine grosse Klappe gehabt und mit den Bademeistern gequatscht, die mochten sie und sagten: «Wenn du mal gross bist, wirst du auch Bademeisterin werden.» Genau so kam es. Die erste Saison als Bademeisterin erfolgte noch während ihrer Schulzeit. Seit 11 Jahren arbeitet sie im Strandbad Mythenquai an der Kasse und als Aufsicht. In den vergangenen Jahren musste sie zweimal ins Wasser springen, um jemanden zu retten, täglich verarztet sie Gäste mit Bienenstichen und Schürfwunden.

Der See ist für sie das Grösste, «es ist der schönste Arbeitsplatz im Sommer». Im Winter arbeitet die 29-Jährige in einer Kommunikationsagentur. Einsam an der Kasse sitzt sie nie, die Gäste kommen auch, wenn Petrus versagt: Die Schwimmer, das Jassgrüppli und die Golden Girls, jene braun gebrannten Damen, die sich in der Badi kennen gelernt haben und sich stets am selben Platz auf der Liegewiese treffen – bei Regen und bei Sonnenschein, in der Badi ist man nie allein. Zum Ende der Saison bringen manche Gäste dem Team Kuchen und Schokolade, als Dank für einen tollen Sommer. «Das ist eine schöne Anerkennung für meine Arbeit», sagt Kerstin. Sie arbeitet auch am Wochenende, und wenn sie frei hat, dann kommt sie auch, zum Baden in ihre Lieblingsbadi.

Maura Weibel, Migros-Kasse

Maura Weibel scannt die Produkte und lächelt. «Ich habe Freude am Schaffen», sagt die 57-Jährige. Seit 26 Jahren arbeitet die gebürtige Philippinerin als Kassiererin bei der Migros, ­zuerst in der Migros-City Löwenplatz, dann am Flughafen, jetzt in Seebach. Hier kennt sie den Grossteil der Kundschaft. «Wenn jemand eine Woche nicht auftaucht, dann wird er bereits vermisst, und wir fragen uns, wo er bleibt.» Früher musste Maura Weibel die Preise der jeweiligen Artikel noch selber eintippen, sie war schnell und wusste viele auswendig. Das automatisierte Kassensystem sei eine Umstellung gewesen. «Wenn die Technik einen Fehler macht, dann ist man für einen Moment hilflos.» Dank Self-Scanning kann man heute als Kunde die Produkte selber scannen und bezahlen, in der Filiale Seebach würden aber nach wie vor viele die bediente Kasse bevorzugen, auch wenn sie länger anstehen müssen. «In Seebach gibt es einige Altersheime und somit ältere Leute, die kann man nicht so einfach ­digitalisieren», sagt Maura Weibel.

Sie mag ihren Job, weil sie dadurch den ganzen Tag Kontakt zu Leuten hat. Manchmal lassen sie den Frust an ihr aus, doch dann schaltet sie die Ohren auf Durchzug. In der Filiale in Seebach wird alles gekauft, was es zum Leben braucht, anders am Flughafen. «Dort kaufen die Kunden massenhaft Schokolade und Käse.» Nie wird Maura den Moment vergessen, als Stéphanie von Monaco vor ihr stand. «Ich dachte nur wow! Eine Prinzessin an meiner Kasse. Das war der schönste Moment.»

 

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