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Porträt

Alexander Wenger: «Andere lösen Sudokus oder schreiben Krimis, ich suche Menschen.» Bild: Andrea Monica Hug

Im Auftrag der Sehnsucht

Von: Jan Strobel

31. Juli 2017

Die Leidenschaft des Journalisten Alexander Wenger ist die akribische Recherche. Damit widmet er sich seit Jahren einer ganz besonderen Aufgabe. Er führt vermisste Menschen wieder zusammen.

Eine junge Frau sitzt auf dem Sofa und blickt auf die Fotografie ihrer Halbschwester. Sie kämpft mit den Tränen. Es ist der Moment, in dem sie die Wucht einer verschütteten Geschichte noch einmal trifft, in dem das kaum noch Vorstellbare Wirklichkeit wird: die Antwort zu finden auf das Rätsel der eigenen Biografie und die diffuse Einsamkeit aufzulösen, die während 30 Jahren neben ihr einherschritt wie ein stummer Begleiter. Der Mann, der ihr das Foto übergeben hat, ist Alexander Wenger, der die Frau jetzt fragt: «Willst du deine Halbschwester kennen lernen?» Wenger folgt einem Auftrag. Seine Mission ist es, vermisste Menschen zusammenzuführen. Wenger ist der Menschensucher.

Leidensvoller Prozess
«Meistens haben die Leute, die mich beauftragen, bereits vorher zum Teil jahrelang vergeblich nach verschwundenen Angehörigen geforscht. Jetzt wollen sie es noch ein letztes Mal angehen mit meiner Hilfe. Es ist für meine Auftraggeber ein langer, oft auch leidensvoller, sehr emotionsbehafteter Prozess.» Andere würden Sudokus lösen oder Krimis verfassen, umschreibt er seine Arbeit, «ich suche eben Menschen».

Detektivisch geht er jeder erdenklichen Spur nach, das journalistische Handwerk, die Recherche, ist Wengers Berufung. Seit elf Jahren arbeitet er als Journalist. Wenger ist ein «Fernsehmensch», wie er sagt. Als Reporter bei TeleZüri führte er zum ersten Mal Menschen zusammen. Heute produziert er Sendungen bei B & B Endemol Shine fürs Schweizer Fernsehen. Die Menschensuche betreibt er als Hobby privat weiter.

Mit den wenigen Angaben zu den vermissten Personen begibt er sich in Gemeindehäuser, durchforstet alte Akten oder Geburtsregister in Spitälern, fragt am ehemaligen Wohnort nach. Oder er telefoniert einfach Namen ab, schreibt Briefe und durchleuchtet natürlich das Internet, die sozialen Medien. «Allerdings sind besonders Plattformen wie Facebook mitunter nicht besonders hilfreich. Zum Beispiel haben viele Frauen ihren Nachnamen gewechselt, andere sind nur mit einem Nickname präsent.» Wenger sucht auch im Ausland, wo sich die Datenquellen zum Teil erheblich von denjenigen in der Schweiz unterscheiden. In Australien sind es Wählerlisten, die einen Hinweis liefern können, in den USA die Social Security Number. «Es gibt tatsächlich Fälle, die ich innerhalb einer halben Stunde bereits gelöst habe, für andere braucht es mehrere Wochen.»

Dabei gilt es immer auch, professionelle Distanz zu den einzelnen Geschichten zu wahren, sich nicht mit ihnen zu identifizieren, die Recherche pragmatisch anzugehen. Emotionen führen nur selten ans Ziel. Essenziell ist psychologisches Gespür, besonders dann, wenn die Realität mit den Erwartungen kollidiert. «Es kommt vor, dass die gesuchten Menschen gestorben sind oder dement. Oder sie wollen schlicht keinen Kontakt mehr zu ihren Angehörigen», sagt Wenger. Die Erfolgschance, jemanden zu finden, liegt bei etwa 50 Prozent. Manchmal bleibt auch der Menschensucher ratlos. Wenn er sich auf die Suche begebe, sagt Wenger, «gibt es eben nur Sieg oder Niederlage».

Weitere Informationen:

www.dermenschensucher.ch

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