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Porträt

In Zürich endlich vereint

Von: Simona Pfister, UNHCR Büro für die Schweiz und Liechtenstein

18. Juni 2013

Nach einer gefährlichen Flucht durch die Sahara hat der Eritreer Osman Ali mitten im Kreis 4 ein neues Zuhause und Sicherheit für seine Familie gefunden.

Wieder haben einige die Fahrt nicht überlebt. Die jungen Eritreer stehen benommen neben den Leichen ihrer Reisegefährten, welche den Weg quer durch die Sahara nicht überstanden haben. Doch weder für Trauer um die Freunde noch für Freude über das eigene Überleben ist Zeit. Der Schlepper zwängt die Männer schon weiter in ein winziges Boot, das sie von Libyen nach Europa bringen soll.

Diese Szene seiner Flucht hat sich in Osman Alis Kopf eingebrannt. Der 35-Jährige sitzt heute mit seiner Familie in seinem Wohnzimmer in Zürich und schildert, wie er vor fünf Jahren vom fernen Eritrea in die Schweiz gekommen ist. Osman erzählt langsamer und ruhiger, als er sonst spricht. Er sagt, er habe gewusst, dass die Reise auch für ihn tödlich enden könnte. „Doch wäre ich nicht geflohen, hätte mich Schlimmeres erwartet.“

In Eritrea hatte sich Osman einer Oppositionsgruppe angeschlossen und wollte als Journalist auf Probleme in seiner Heimat aufmerksam machen. „Ich war damals noch sehr jung“, fügt er schnell hinzu, als müsste er sich für etwas entschuldigen, das ihm als Torheit ausgelegt werden könnte.

Denn Osman erzählt, dass Eritreas Präsident Isayas Afewerki in seinem Staat keine kritischen Stimmen oder unabhängigen Medien dulde, geschweige denn eine politische Opposition. Auf der Weltrangliste der Pressefreheit, welche jährlich von ‚Reporter ohne Grenzen‘ erstellt wird, belegt das Land den letzten Platz und rangiert damit noch hinter Nordkorea. „Wer etwas Falsches sagt, schreibt oder tut, wird ohne Gerichtsbeschluss auf der Stelle verhaftet und verschwindet teilweise für immer“, kommentiert Osman.

Gefängnis drohe auch jenen Eritreerinnen und Eritreern, die versuchen, sich dem obligatorischen Militärdienst zu entziehen, erzählt er weiter. Vom letzten Jahr der Grundschule an verpflichte der ‚National Service‘ jeden Bürger für unbestimmte Zeit zu einer gewissen Arbeit im Staat, ohne dass er oder sie dafür nur annährend ausreichend entlohnt werde. Während einige Privilegierte ihren Dienst in einem Hotel oder einem Krankenhaus leisten könnten, würden viele als Soldaten an die Grenze geschickt oder müssten in Bergwerken schuften. „Wer sich weigert oder wem die Kräfte ausgehen, der wird geschlagen, getreten, schlimmstenfalls auf der Stelle erschossen“, erklärt Osman mit aufgerissenen Augen.

Die UN-Spezialberichterstatterin für Eritrea hielt Anfang Juni an der Menschenrechtsratssitzung in Genf fest, dass die Situation im Land durch willkürliche Verhaftung, Folter, ausgerichtliche Erschiessungen und besonders durch das Fehlen von sämtlichen fundamentalen Freiheitsrechten gezeichnet sei. „Das ganze Land ist ein grosses Gefängnis“, resümiert Osman.

Um diesen Umständen zu entfliehen, setzte sich seine Familie schon wenige Jahre nach der Unabhängigkeit Eritreas 1993 in den Sudan ab. Doch Osman erzählt, dass selbst im Nachbarstaat immer wieder eritreische Soldaten bei seinen Bekannten von der Oppositionsgruppe erschienen und sie verhafteten. Falls diese überhaupt je wieder zurückkamen, dann mit Spuren von Folter und Schlägen, meint er.

Eines Nachts sei der eritreischen Geheimdienst schliesslich auch vor Osmans Haus gestanden. Doch bloss seine damals hochschwangere Frau, Javaher, und seine beiden Zwillingstöchter, Waad und Shahad, seien zu Hause gewesen. Die Uniformierten hätten Javaher so lange zu ihren Mann befragt, bis die schwangere Frau vor Aufregung in Ohnmacht gefallen sei. Anschliessend hätten sie das gesamte Haus nach belastenden Dokumenten und Informationen durchsucht.

„Als Javaher wieder zu sich kam, waren die Soldaten verschwunden“, berichtet Osman. Weinend hätte sie ihn angerufen und vom nächtlichen Verhör erzählt. In der Zwischenzeit hätte er aber bereits erfahren, dass der Geheimdienst während der Nacht drei weitere Mitglieder seiner Oppositionsgruppe besucht und abgeführt hätte. Bis heute seien sie verschollen, meint Osman. „In diesem Moment wusste ich: ich muss weg.“

Übers Telefon hätte er sich hastig von seiner Frau verabschieden müssen, das nötige Geld für die Schlepper zusammen gekratzt und sich auf den gefährlichen Weg vom Sudan quer durch die Wüste bis nach Libyen gemacht. Dort stieg er auf ein Boot um, das ihn und die verbliebenen Reisegefährten nach Italien brachte – eine Überfahrt, die laut UNHCR allein 2011 1500 Personen das Leben kostete. „Ich habe viele Menschen auf dem Weg sterben sehen: verdurstet oder ertrunken“, kommentiert Osman knapp.

Es ist der 27. Oktober 2008, als Osman die Schweizer Grenze erreicht. „An diesen Tag erinnere ich mich noch gut“, sagt Osman bestimmt. Überhaupt scheint er sich jedes Datum genau gemerkt zu haben, das einen wichtigen Schritt in sein neues Leben in der Schweiz markiert. „Nach ungefähr zwei Wochen, am 12. November 2008, wurde ich vom Empfangszentrum in Vallorbe ins Asylzentrum in Zürich verlegt. Dort blieb ich eineinhalb Jahre lang, bis ich am 14. Juni 2011 einen positiven Asylentscheid erhielt.“

Diese Monate dazwischen waren vielleicht die schwierigsten überhaupt. „Während meines Aufenthaltes im Asylzentrum sorgte ich mich ständig um meine Frau und meine Kinder,“ meint Osman. So oft wie möglich versuchte er deshalb, mit Javaher zu telefonieren, um auf diese Weise zu erfahren, wie es ihr und den Kindern geht. „Jedes Mal hat Javaher geweint und gefragt, wann wir uns wohl wieder sehen können, aber ich konnte ihr keine Antwort geben.“

Als Osman schliesslich als Flüchtling anerkannt wird, beantragt er sofort einen Familiennachzug, den die Schweizer Behörden schnell bewilligen. Als Javaher sich anschliessend im UNHCR Flüchtlingscamp Shagarab im Sudan registrieren lässt, wird sie als Osmans Frau bestätigt und von dort zusammen mit den drei Kindern in die Schweiz geflogen. Nun ist die Familie endlich wieder vereint und Osman kann zum ersten Mal den gemeinsamen Sohn Ahmed in den Armen halten.

Seit dem hat sich die Familie in Zürich ein neues Zuhause aufgebaut. „Die Kinder sprechen schon fliessend Deutsch“, meint der stolze Vater lachend. Freudig erwarten die sechsjährigen Mädchen den Beginn der ersten Primarschulklasse. Der Sohn Ahmed tritt nächsten Sommer in den Kindergarten ein.

Damit sich auch andere eritreische Familien in der Schweiz zurecht finden, veranstaltet Osman in Kooperation mit der kantonalen Integrationsstelle Zürich Abendkurse für seine Landsleute. „Ich zeige ihnen ganz alltägliche Dinge: Wie man jemanden begrüsst, wie man den Müll rausbringt, oder wie man sich für eine Arbeit bewirbt.“

Er selbst hatte leider noch kein Glück mit der Stellensuche. Weil er im Sudan bereits eine Ingenieursausbildung absolviert hat, bräuchte er bloss noch ein sechsmonatiges Praktikum in einer Werkstatt, um das Schweizer Diplom zum Automechaniker zu erhalten. „Ich lerne fleissig weiter Deutsch. Dann wird es hoffentlich bald klappen.“

Neben der Arbeit beschäftigt ihn auch die Sorge um seinen jüngerer Bruder Mohammed sehr, der noch immer im Sudan lebt. Seit einigen Monaten würden öfter eritreische Beamte bei ihm erscheinen. Sie verhafteten und folterten den 30-Jährigen, „weil sie hoffen, auf diese Weise Informationen über mich zu erhalten“, vermutet Osman. „Aber Mohammed kann nicht auf gleiche Weise wie ich fliehen, weil es seit Ghaddafis Sturz noch gefährlicher ist über Libyen zu reisen.“ Der Eritreer hat deshalb letzten Sommer auch für seinen Bruder einen Antrag auf Familiennachzug gestellt.

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