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Porträt

Bild: Nicolas Y. Aebi

Kariem Hussein: Leichtathlet und Prophet

Von: Sacha Beuth

27. August 2013

Eigentlich wollte Kariem Hussein Fussballprofi werden, ehe ihn eine ­Infektion aus der Bahn warf. Nun startet er bei «Weltklasse Zürich» über 400 m Hürden.

Seit zwei Jahren ist der Ostschweizer Kariem Hussein für den LCZ aktiv und gilt als eines der grössten Schweizer Talente im Hürdenlauf. Morgen bietet sich dem 24-Jährigen die Gelegenheit, sein Können im Letzigrund bei «Weltklasse Zürich» erneut und vor allem vor grossem Heimpublikum unter Beweis zu stellen.

Ursprünglich hatte der in Münsterlingen TG geborene Sohn eines ägyptischen Orthopäden und einer Schweizerin jedoch ein ganz anderes Ziel. Wie so viele Jugendliche wollte auch er Fussballprofi werden. Jedoch nicht nur. «Ich besuchte als Kind oft meinen Vater bei der Arbeit und war fasziniert von der Humanmedizin. So stand für mich schon früh fest, dass ich studieren und dann eine eigene Arztpraxis führen will», erinnert sich Hussein.

Seine Sportkarriere beginnt er beim FC Tägerwilen, bei dem er sämtliche ­Juniorenauswahlen durchläuft und schliesslich mit 16 Jahren sein Debüt im Fanionteam des damaligen Zweit­ligisten gibt. «Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich fussballerisch auf dem Höhepunkt.» Der Traum von einer Karriere als Profi in der Super League ist in greifbare Nähe gerückt. Doch es kommt alles ganz anders. «Eines Tages bin ich zu Hause plötzlich in Ohnmacht gefallen», erzählt Hussein. Als er wieder zu sich kommt, hat er fortan heftige Schmerzen am Steissbein. Mehrmals begibt er sich zu einem Arzt, doch lange vergebens – bis ihm Blut genommen wird. Dabei entdeckt man eine Bakterieninfektion, durch die sich Abszesse im Gesässmuskel gebildet haben. Hussein muss für rund drei Wochen zur Pflege ins Spital. Die Infektion wird mit Antibiotika bekämpft, trotzdem hat Hussein weiter Schmerzen und gewöhnt sich darum eine falsche Liegeposition an, die wiederum eine Beckenverschiebung nach sich zieht. «Es war der Horror. Ich konnte mehrere Monate keinen Sport betreiben und bin lange an Krücken gegangen. Als ich endlich wieder normal laufen konnte, war die Form natürlich weg, und ich musste bei null anfangen.»

Hussein kämpft sich zurück und spielt bis 2009 bei Tägerwilen, erreicht aber nie mehr das Topniveau wie vor seiner Erkrankung. In diesem Jahr nimmt er an der Thurgauer Mittelschulmeisterschaft im Hochsprung teil. Ohne gross trainiert zu haben, überspringt er 2,01 Meter und gewinnt. «Hinterher ist einer aus dem Publikum auf mich zugekommen und hat gesagt, mit dieser Höhe hätte ich es in meiner Altersklasse in der Schweizer Meisterschaft auf das Podest geschafft.» Das Talent bleibt auch Werner Dietrich, Trainer der LG Oberthurgau und ehemaliger Coach von Kugelstosslegende Werner Günthör, nicht verborgen. Er fragt Hussein, ob er nicht auf Leicht­athletik umsteigen wolle. Der reagiert zurückhaltend: «Ich mache es nur, wenn ich darin auch einigermassen Erfolg habe.» Hussein versucht sich erst über verschiedene Kurzstreckendisziplinen und den Hochsprung, ehe er in den 400 Meter Hürden seine Berufung entdeckt. Schon in seinem zweiten Rennen über diese Distanz sorgt er mit 52:52 Sekunden für Furore und verpasst die U-23-EM-Limite nur knapp. An den darauf folgenden Schweizer Meisterschaften wird er Zweiter und darf eine Woche später am U-23-Länderkampf im Berliner Olympiastadion teilnehmen. «Es war ein erhebendes Gefühl, im Schweizer Dress und dann noch vor einer riesigen Zuschauermenge anzutreten», erinnert sich Hussein. In dieser Phase sagt er sich vom Fussball los und wechselt endgültig zur Leichtathletik. «Nicht, weil ich den Spass am Kicken verlor, sondern weil ich in der Leichtathletik Spitzensport und Studium besser vereinbaren konnte. Im Fussball musst du dich nach dem Teamkalender richten, als Hürdenläufer konnte ich meinen Trainingsplan viel individueller gestalten.» Und es gibt noch einen weiteren Grund. «Wenn du auf die Karte Fussball setzt, gehst du ein hohes finanzielles Risiko ein. Du kannst nicht nebenbei noch etwas anderes machen. Und packst du es nicht, stehst du mit leeren Händen da.»

2011 erstmals Schweizer Meister

Das will Hussein auf keinen Fall erleben, und so klemmt er sich hinter die Matura und – nachdem er diese bestanden hat – hinters Medizinstudium. Trotz der Doppelbelastung wird er 2011 erstmals Schweizer Meister über 400 m Hürden und verteidigt seinen ­Titel ein Jahr darauf erfolgreich. Das eigentliche Highlight ist jedoch die Qualifikation für die Olympischen Spiele in London. «Damit ging nicht nur ein Traum, sondern auch eine Prophezeiung von mir in Erfüllung.» Eine Prohezeiung aus dem Jahr 2008. Damals kam Usain Bolt als frischgebackener Olympiasieger über 100  m und Weltrekordhalter zu «Weltklasse Zürich». «Nach dem Rennen kreuzte er in einer Bar auf, in der auch meine Fussballkollegen und ich uns befanden. Er wurde sofort bestürmt, und es herrschte ein Riesenhype. Darauf sagte ich: Jungs, eines Tages gehe auch ich zu den Olympischen Spielen.»

Die Prophezeiung erfüllt sich 2012. Das London-Abenteuer verläuft für Hussein allerdings alles andere als erfreulich. Kurz vor den Vorläufen verletzt er sich und muss auf den Start verzichten. «Im ersten Moment war ich total niedergeschlagen, fühlte eine grosse Leere, und es sind auch ein paar Tränen der Enttäuschung geflossen. Aber dann bin ich gleich wieder trainieren gegangen.» Sein Club- und Nationaltrainer, Flavio Zberg, sieht gerade darin eine der Stärken Husseins: «Er bringt nicht nur vom Körperbau ideale Voraussetzungen für die Hürdendisziplin mit, sondern kann auch Rückschläge relativ gut wegstecken.» Die Eigenschaft ist auch dieses Jahr gefragt, als Hussein die Qualifikation für die WM in Moskau verpasst. «Ich kam schlicht zu spät in Form. Anfang Juni hatte ich mir einen Muskelfaserriss zugezogen, und Ende Juni hatte ich an der Uni Prüfungen, für die ich ziemlich pauken musste. Aber ich habe lieber die Prüfungen bestanden und dafür die WM verpasst als umgekehrt.»

Hier würden sich klar die typisch schweizerischen Eigenschaften in ihm zeigen. Aber auch mit der Heimat seines Vaters fühlt er sich verbunden. «Ich bin oft in Ägypten in den Ferien oder besuche Verwandte.» Dementsprechend nahe gehen ihm die Unruhen in diesem Land. «Zum Glück wohnen meine Verwandten in Kairo abseits der Innenstadt und damit abseits der Tumulte. Trotzdem telefoniert mein Vater täglich mit ihnen.» Dies habe dann auch Einfluss auf seine Einschätzung der Situation. «Denn die Schilderungen der Verwandten unterscheiden sich teilweise beträchtlich von denen der westlichen Medien.

Man merkt, das Thema ist dem introvertierten Muslim unangenehm. Lieber spricht er von seinen sportlichen und beruflichen Zielen. «Zuerst will ich bei ‹Weltklasse Zürich› um den Sieg laufen und eine persönliche Bestleistung erzielen. Dann möchte ich nächstes Jahr an der EM in Zürich für Furore sorgen und mindestens einmal an der Olympiade und an einer WM teilnehmen. Und daneben will ich mein Medizinstudium erfolgreich beenden, damit auch der Traum von der eigenen Praxis wahr wird.» Auf eine Prophezeiung will er sich dieses Mal allerdings nicht einlassen.

Kariem Hussein tritt morgen Donnerstag um 18.45 Uhr zum 400-m-Hürdenlauf an. Weitere Infos zu «Weltklasse Zürich» unter: www.diamondleague-zurich.com.

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Leserkommentare

Erkan Aki - Mashallah Kariem!

Vor 9 Jahren 8 Monaten  · 
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