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Porträt

Markus Schmid vor dem Chapiteau, dem Hauptzelt, des Circus Knie. Einst betreute er vier von dessen Elefanten bei einer Tournee in Schweden. Bild: Nicolas Y. Aebi.

Kutscher für vier Schwergewichte

Von: Sacha Beuth

24. Mai 2016

Als 20-jähriger Student begleitete der Zürcher Markus Schmid (71) als Pfleger vier Knie-Elefanten bei einer Tournee in Schweden. Seine Erlebnisse von damals liegen nun als Buch vor.

Wehmütig, aber auch erleichtert blickt Markus Schmid auf das Chapiteau, das grosse Zelt, des Circus Knie auf dem Sechseläutenplatz. Noch letztes Jahr begeisterten Knie-Elefanten das Publikum. Nun zeigt der Zirkus keine grauen Riesen mehr. Gemäss Knie-Angaben soll dies auch in Zukunft so sein. Stattdessen will man sich auf die Zucht der bedrohten Tiere in Knies Kinderzoo in Rapperswil konzentrieren. «Als ich beim Radiohören von der Entscheidung erfuhr, war ich erst überrascht. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fand ich gefallen daran.» Der 70-Jährige fühlt sich wie zwischen Stuhl und Bank. Einerseits ist er mit Leib und Seele Tierschützer, andererseits ist da seine Vergangenheit beim Zirkus als Pfleger der Dickhäuter. Vor rund 50 Jahren durfte der Zürcher als sogenannter Elefantenkutscher vier Knie-Elefanten bei einer Tournee in Schweden begleiten. «Eine unvergessliche Zeit, bei der mir nicht nur meine Schützlinge, sondern auch die Zirkuswelt insgesamt ans Herz gewachsen sind.»

Schon von klein auf interessiert sich Schmid für Tiere, vor allem für exotische Wildtiere. «Glücklicherweise wohnten wir am Zürichberg und somit nah am Zoo. Den habe ich als Knirps sicher einmal pro Woche besucht.» Nebst den Raubtieren zählen die Elefanten zu seinen Lieblingen. «Was unter anderem auch daran lag, dass man damals noch auf ihnen reiten durfte.» Auch die Zirkusse faszinieren ihn, weshalb die Hauskatze immer wieder als «Tiger» für selbst inszenierte Vorführungen herbeigezogen wird. Die Passion für die Fauna behält Schmid auch während seiner Zeit auf dem Gymnasium bei. «Eigentlich wollte ich Tierpfleger, damals noch Tierwärter genannt, werden, doch meiner verwitweten Mutter schwebte ein angesehener Beruf für mich vor.» Aber etwas mit Tieren muss es schon zu tun haben, und so beginnt Schmid nach der Matura Zoologie zu studieren. «Doch weil das Studium für meinen Geschmack zu sehr auf Chemie ausgerichtet war und zu wenig Kontakt zum lebenden Tier bot, habe ich es im zweiten Semester abgebrochen.»

Schmid bewirbt sich im März 1967 bei mehreren ausländischen Zirkussen für eine Stelle als Tierpfleger. Über Umwege gelangt eines dieser Schreiben auf den Tisch von Knie-Direktor Fredy Knie sen. Der sucht gerade Hilfskräfte für eine Elefantennummer, die er dem schwedischen Zirkus Scott ausleihen will, und lässt Schmid für ein Bewerbungsgespräch an den Gastspielort Chur kommen. Die Möglichkeit, sechs Monate als Elefantenkutscher durch Schweden zu reisen – von Malmö im Süden bis Kiruna am Polarkreis –, begeistert Schmid. «Und irgendwie muss ich Fredy Knie trotz mangelnder Erfahrung sympathisch gewesen sein. Jedenfalls hat er mich gleich eingestellt.» Das Abenteuer, welches Schmid in einem Tagebuch festgehalten und vor kurzem unter dem Titel «Mit Sandry nach Schweden» veröffentlicht hat (siehe Box), nimmt seinen Anfang.

An einem kalten Apriltag 1967 fährt Schmid mit Sack und Pack zu den Winterstallungen des Circus Knie in Rapperswil. Hier lernt er Sandry, Kanauti, Java und Miniak, seine zukünftigen Schützlinge, sowie deren Dompteur Ruppert Bemmerl, seinen künftigen Chef, und einen weiteren Elefantenkutscher kennen. Bis zum Abend wird Schmid mit seinem Aufgabenbereich vertraut gemacht und lernt die wichtigsten Verhaltensregeln im Umgang mit Elefanten kennen. Nach einer kurzen Nachtruhe auf einer Pritsche wird er früh geweckt und hilft mit, den ganzen Tross auf den Zug zu verladen. Rund drei Tage dauert die Reise nach Schweden, immer wieder gibt es längere Aufenthalte, und Schmid und sein Kollege haben alle Hände voll zu tun, um die Tiere zu füttern und vor allem ausreichend Wasser für sie zu besorgen.

In Malmö wird die Knie-Truppe von einem unangenehmen Graupelwetter empfangen. Nach einer mitternächtlichen Hauptprobe folgt am nächsten Tag die Premiere. Trotz der langen Reise und den kühlen Temperaturen liefern Sandry und ihre drei Gefährtinnen eine tadellose Leistung ab. Was nicht unbedingt selbstverständlich ist. «Elefanten sind meist ziemliche Sensibelchen, die Veränderungen gar nicht schätzen», erklärt Schmid.

Freizeit ist Mangelware

Der Alltag im Zirkus Scott ist hart. «Nach der letzten Vorstellung wird alles abgebaut, verladen, und man fährt im Zug die Nacht über zum neuen Veranstaltungsort, wo die Zirkuskomposition meist irgendwo auf einem Nebengleis abgestellt wird. Um 6 Uhr morgens ist Tagwache. Dann musste das Zelt für die Elefanten aufgestellt, die Tiere aus dem Waggons bis zum oft mehrere Kilometer weit entfernten Zirkusplatz geführt, gefüttert und getränkt werden. Erst danach konnte man selbst frühstücken.» Sind keine Proben angesagt, bleibt bis zum Mittagessen etwas Freizeit. Ansonsten gilt es, die Tiere für die Proben vorzubereiten – bürsten und Kopfschmuck anlegen – und in die Manege zu führen. Am Mittag werden ebenfalls erst die Tiere versorgt, dann der Mensch. «Anschliessend wurden die Elefanten für eine allfällige Nachmittagsvorführung zurechtgemacht und ihr Zelt ausgemistet. Fand keine statt, führten wir sie in den Wald oder liessen sie, als es wärmer wurde, in einem See baden oder duschten sie ab. Abends wurden sie nach der Vorstellung meist gleich in die Zugwaggons geführt und erhielten dann noch eine Ration Heu für die Nacht.» Obwohl Schmid fast jeden Abend todmüde ins Bett fällt, die Verpflegung wegen der eintönigen Menüs des deutschen Kochs zu wünschen übrig lässt, kann er auf der anderen Seite den Umgang mit Tieren und die gute Kameradschaft unter den Zirkusleuten geniessen. «Jeder hat jedem geholfen. Wenn einer krankheitsbedingt ausfiel, ist man ohne Murren eingesprungen.»

Während der Tournee lernt Schmid nicht nur die Schönheit der skandinavischen Natur – die endlosen Wälder, die blauen Seen und die langen, lauen Sommertage – kennen, sondern auch die Charaktere der Elefanten. «Sandry war die routinierte Anführerin, Java sehr verschmust und zugleich äusserst sensibel, Kanauti ruhig, aber vorsichtig und Miniak das Lausemädchen. Gerade anfangs versuchte sie, mir als Grünschnabel das Leben schwer zu machen. Mal wischte sie mir mit dem Rüssel die Brille vom Kopf, mal stellte sie mir ein Bein.» Generell aber seien die vier sehr wohlerzogen und leicht zu führen gewesen. «Es gab darum auch während der Tournee keine Unfälle oder sonst welche grösseren Vorkommnisse.»

Nach seiner Rückkehr sucht Schmid einen Verleger, der sein Tagebuch herausbringt. Er wird auch fündig. Aber weil im gleichen Jahr schon drei Bücher über Zirkusse erschienen sind, will man noch zuwarten. Das Projekt gerät in Vergessenheit, bis es vor einem Jahr auf Druck von Bekannten aus der Versenkung geholt und umgesetzt wird.

Doch warum ist Schmid seinerzeit nicht beim Zirkus geblieben? «Einerseits, weil die Karrierechancen dort sehr begrenzt sind. Hauptsächlich aber, weil der Umgang mit Tieren damals mitunter zu Wünschen übrig liess.» Stattdessen wird er Sekretär bei der Schweizerischen Gesellschaft für Tierschutz, für die er 16 Jahre tätig ist und wobei er grosse Erfolge – unter anderem bei der Verbesserung der Haltungsbedingungen von Legehennen – erreichen kann. «Rückblickend kann ich aber sagen: Die Zeit im Zirkus möchte ich um nichts in der Welt missen.»

Infobox

Markus Schmids Buch «Mit Sandry nach Schweden» ist für Fr. 44.– im Handel oder über den Verlag Colibri – die Büchermacher erhältlich. Von jedem verkauften Exemplar werden Fr. 5.– dem Verein Aliya zum Schutz von Asiatischen Elefanten gespendet. Weitere Infos: www.co-libri.ch.

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