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Porträt

Mit 50 noch einmal in die Lehre: Stift Raffael Spielmann.Bild: JS

Lebenskünstler mit Arbeitshunger

Von: Jan Strobel

05. Juni 2018

Neustart: Raffael Spielmann (50) ist einer der ältesten Stifte der Schweiz und erzählt in einem DOK-Film, wie er sich vor der Arbeitslosigkeit rettete.

In der Berufsschule nennen sie ihn manchmal bloss den «Grufti», er selbst hingegen bezeichnet sich als «Lebenskünstler». Denn was das bedeutet, weiss Raffael Spielmann (50) wie kein Zweiter in seiner   Klasse von den meistens 17-Jährigen, die ­seine Mitschüler sind. Die Welt, denken viele dieser Teenager, hat schliesslich genau auf sie gewartet. Man darf es vorerst also «easy» nehmen. In Spielmann aber lodert ein Feuer. Er will ein neues und endlich erfolgreiches Kapitel in seinem Leben schreiben, eines mit Zukunft. Die dreijährige Lehre zum Rezyk­listen bei Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) ist seine «letzte Chance», wie er sagt. Raffael Spielmann ist mit seinen 50 Jahren einer der ältesten Stifte der Schweiz. Morgen Donnerstagabend wird er auf SRF 1 im DOK-Film «50 + und arbeitslos»  darüber berichten, wie es dazu ­gekommen und wie es möglich ist, das Steuer herumzureissen. «Ich sehe mich als Wegweiser für andere in meinem Alter», sagt er. 

«Moralische Verpflichtung»
Wie sehr das Feuer für den Beruf des Rezyklisten lodert, zeigt sich beim Gespräch in einem Café. Spielmann erzählt mit fast zärtlicher Leidenschaft vom Schmelzpunkt und von der Dichte von Metall und klopft dabei kenntnisreich auf die Eisenplatte des Tisches. In Gedanken zerlegt er den Stuhl neben sich in seine Einzelteile, Holz hier, Eisenrahmen dort. 

Dass er diese Leidenschaft für einen Beruf noch erleben würde, war alles andere als klar. Das Leben hatte es nicht immer gnädig mit Raffael Spielmann gemeint. Als Jugendlicher wollte er Briefträger werden. Seine Lehre allerdings brach er ab. Es folgte eine richtungslose Wanderung durch verschiedenste Berufe, vom Packer bis zum Job bei McDonald’s. Er gründete eine Familie, wurde alleinerziehender Vater. Einen Abschluss machte Spielmann nie. Nach einem Arbeitsunfall bezog er eine 50-Prozent-IV-Rente. Doch auf dem Kissen des Sozialstaats wollte es sich Spielmann nie bequem machen, das sei, bekräftigt er, seine moralische Verpflichtung. «Ich habe deshalb genommen, was ich an Gelegenheitsarbeit bekommen konnte. Das funktionierte damals noch. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich ohne Abschluss und mit Ende vierzig keine Chance mehr bekam, gerade zu einem Zeitpunkt, als ich noch einmal richtig durchstarten wollte. Ich bekam es mit der Angst zu tun.» Eine Tür öffnete sich bei der Arbeitslosenkasse, die Spielmann einerseits das kantonale Programm zur Berufsbildung für Erwachsene nahelegte, andererseits einen Termin im Laufbahnzentrum empfahl. «Dort lernte ich Berufe kennen, von deren Existenz ich zuvor gar nie etwas wusste. Das war eine enorme Horizonterweiterung. Die Lehre zum Rezyklisten sprach mich sofort an. Und tatsächlich ermöglichte es mir das ERZ, diese Ausbildung zu machen.» Im Sommer 2019 wird er nun seine Abschlussprüfung ablegen, den ersten Abschluss seines Lebens. 

Gemäss ­Statistik erfährt die Zahl der Erwachsenen ohne Bildungsabschluss in der Schweiz einen Rückgang und liegt derzeit bei knapp zehn Prozent. Trotz zahlreicher Initiativen und Kampagnen sind aber nach wie vor besonders Menschen über 50 am stärksten von Lang­zeitarbeitslosigkeit betroffen. Die Arbeitslosenquote liegt bei den 55- bis 59-Jährigen aktuell etwa bei 2,7 Prozent. Am höchsten ist sie mit 3,3 Prozent bei den 30- bis 34-Jährigen, die allerdings viel leichter wieder einen Job finden. Raffael Spielmanns Rat an seine Altersgenossen auf Arbeitssuche: «Sie müssen lernen, flexibel zu werden, die Augen aufzumachen und dabei die eigene Lebenserfahrung anzuzapfen. Die ist nämlich unser entscheidender Pluspunkt.» 

Weitere Informationen:
«50 + und arbeitslos», Donnerstag, 7. Juni, 20.05 Uhr, SRF 1.

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