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Porträt

Ab und zu hat Maja Steinlin den Spatz auch auf der Hand, aber wichtiger ist ihr, dass dem Lebensraum für die Stadtvögel Sorge getragen wird: Im Rahmen der Neugestaltung der Pastalozzi-Anlage setzte sich die Tierschützerin dafür ein, dass die Hecken und Büsche nicht entfernt wurden. Bild: Nicolas Aebi

Lieber die Vögel in der Stadt, als nur den Spatz in der Hand

Von: Lucia M. Eppmann

29. November 2016

«Ich bin militant», erzählt Maja Steinlin. Was die zierliche Frau, die nachdrücklich, aber mit sanfter, warmer Stimme spricht, genau meint, wird schnell klar. Wenn es um Tiere geht, kennt die 63-Jährige kein Pardon. Unter anderem kümmert sie sich jeden Tag um die Zürcher Stadtvögel.

Tiere sind ihr Lebensinhalt. 365 Tage im Jahr. Maja Steinlin ist «Einzelkämpferin», wie sie sagt. Wo man sich gegen Tierleid und für die Natur einsetzen kann, ist sie dabei. Das war aber nicht immer so.

Eine Depression, ein Zusammenbruch stellten die Weichen der heute 63-Jährigen neu. Das war 1997. Maja Steinlin, die während Jahrzehnten mit viel Enthusiasmus als Kindergärtnerin arbeitete, wusste, dass sie etwas verändern musste, damit sie ihr Dasein wieder als lebenswert empfinden konnte. Maja Steinlin hatte das Glück, finanziell unabhängig zu sein, was ihr damals den Entscheid leicht machte, ein neues Kapitel in ihrem Lebensbuch aufzuschlagen und ihren bewusst gewählten Weg konsequent zu verfolgen. «Kinder und Tiere sind schutzbedürftig, da gibts kein Pardon.» Den Kindern hatte sie die letzten Jahrzehnte gewidmet, für die Tiere wollte sie sich in ihrem neuen Lebensabschnitt einsetzen.

Politik der offenen Tür

Die Tierschützerin wohnt seit 32 Jahren in Zürich. Allein. Das heisst aber nicht, dass sich Maja Steinlin einsam fühlt. Im Gegenteil. «Für eine Beziehung habe ich gar keine Zeit.» Die Wahlzürcherin, die in St. Gallen aufwuchs, finanziert ihr gesamtes Engagement im Tierschutz aus eigenen Mitteln, unterstützt sinnvolle Aktionen finanziell und ideell.

Sie wendet sich zudem mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten an die Zürcher Politik, um auf Missstände in der Stadt aufmerksam zu machen. «Ich bin froh, dass meine Anliegen ernstgenommen werden», und Grün Stadt Zürich sei sehr bemüht, den Vögeln in der Stadt gerecht zu werden, «vom Gärtner, über den Wildhüter bis hin zur Direktion». Glücklich ist Maja Steinlin auch darüber, «dass Stadtrat Filippo Leutenegger eine Kultur der offenen Türe pflegt und auf meine tierschützerischen Anliegen, wo es seiner Meinung nach Sinn macht, eingeht».

Geht es darum, sich gegen Tierquälerein und Tierversuche zu wehren, beteiligt sich Maja Steinlin auch aktiv an Protestmärschen und sichert Organisationen, wie etwa Animal Trust, ihre Unterstützung zu. Sie demonstrierte beispielsweise mit einer Gruppe aufgebrachter Menschen vor dem Bezirksgericht Zurzach, als im Frühjahr der Prozess gegen den Wildschwein-Killer stattfand. Mit Plastik-Wildschweinköpfen und Plakaten verkündeten die Tierschützer ihr Anliegen: Der Mann, der in Böttstein vier Wildschweine, eine Bache und drei Frischlinge brutal mit einem Auto überfahren hatte, sollte die Höchststrafe erhalten. Das Urteil fiel mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten härter aus, als die Staatsanwältin gefordert hatte. Trotzdem, «für uns Tierschützer wäre eine Gefängnisstrafe für den brutalen Tierquäler angemessen gewesen». Dieser Fall sollte ganz einfach nicht unbeobachtet über die Bühne gehen, ist Maja Steinlin nach wie vor überzeugt.

«Ich habe jeden Tag so viele Aufgaben», die grösste Leidenschaft der Wahlzürcherin sind allerdings die Zürcher Stadtvögel. Allein rund 6000 Tauben leben im Stadtzentrum von Zürich. Und Maja Steinlin betreut als freiwillige Helferin von Grün Stadt Zürich seit über zehn Jahren den städtischen Taubenschlag auf dem Lindenhof. Dann sind da noch die Turmdohlen, eine der äusserst bedrohten Vogelarten, die in den beiden Türmen des Grossmünsters nisten. Maja Steinlin hilft mit, dass diese prächtigen Tiere in Zürich nicht aussterben. Täglich, von April bis August, bringt sie eine von ihr speziell zubereitete, eiweissreiche Spezialmischung zu den Futterplätzen, damit die Dohlen ihre Nestlinge aufziehen können. Aber was wäre Zürich ohne die Spatzen? «Ich setze mich tagtäglich ein, dass ihr Lebensraum erhalten bleibt.»

Der ganze Morgen ist für die Vögel...

Tagtäglich, ohne Ausnahme, macht Maja Steinlin in der Stadt jeweils am Morgen ihre Tour. Krank ist sie nie. Konsequent hat sie ihr Ziel vor Augen. Sie besucht Plätze, an denen sich die von ihr betreuten Vogelarten heimisch fühlen. Sie nimmt Futter mit, im Sommer weniger, im Winter mehr. Jeder Rundgang dauert zwei bis drei Stunden. Ihre Tour ist immer dieselbe: Stadelhofen, Limmatquai, Grossmünster, Lindenhof, Urania-Spielplatz, Globus-Provisorium, Pestalozzianlage, Bahnhofgebäude, Landesmuseum und Platzspitz. Maja Steinlin füttert die Vögel, beobachtet, ob es kranke oder verletzte Tiere hat, und bringt die Vögel zur Behandlung in die Volière. Zudem versucht sie Veränderungen der Lebensräume festzustellen, forscht nach Hintergründen, interveniert an geeigneter Stelle und hofft letztlich auf Goodwill, dass ihre Anliegen ernstgenommen werden. «In unserer Stadt muss man den Vögeln schauen, denn ihre Lebensräume sind immer mehr bedroht.»

Infobox: Weniger Spatzen

In der Fachsprache nennt man ihn Haussperling, in der Schweiz ruft man ihn Spatz. Sein Bestand hat schweizweit fast um die Hälfte abgenommen. Auf Kantonsgebiet hat sich die Population innerhalb von 30 Jahren um 25 Prozent verringert, und auch in der Stadt Zürich schrumpft der Bestand der Spatzen. In England ist der Haussperling sogar auf der Roten Liste der gefährdeten Vogelarten gelandet. Der Schweizer Vogelschutz macht auf die Nöte des kleinen Vogels aufmerksam. Moderne Gebäude würden keine Unterschlüpfe mehr für den kleinen Vogel bieten. Und Insektizid-Sprayaktionen an Fassaden gegen Spinnen, die für die Aufzucht der jungen Spatzen wichtig sind, machen die Nahrung knapp.Dadurch mangelt es an Insekten, die wichtiger Nahrungsbestandteil der Spatzen sind. Damit sich die Bestände wieder erholen, schlägt der Vogelschutz vor, Einschlupflöcher bei alten Häusern zu erhalten. Bei Neubauten rät er, dass Nisthilfen integriert und einheimische Sträucher und Bäume gefördert werden sollen. Sicher wirken sich jedoch der fehlende Grünraum und das schwindende Nistplatzangebot in den Städten negativ auf die Population aus, denn Spatzen leben gerne in Hecken, Gebüschen und Sträuchern. Dieser fällt in Städten immer häufiger Bau- und Sanierungsarbeiten zum Opfer.

Buchtipp: Ganzjährig füttern, ganzjährig helfen

Jahrzehntelang stand das Füttern von Vögeln in der Kritik von Naturschützern. Diese These wird im Buch «Vögel füttern, aber richtig» von Peter Berthold und Gabriele Mohr widerlegt. Verlag: Kosmos ISBN-13: 9783440131787

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