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Porträt

"Beim Babier dürfen Männer Männer sein." Bild: Nicolas Y. Aebi

Männer sind es sich auch wert

Von: Clarissa Rohrbach

19. Mai 2015

Immer mehr Männer wollen ihren Bart richtig pflegen. Doch hierzulande gibt es kaum deutschsprachige Barbiere. Eddine Belaid hat deswegen in Zürich die erste Barbierschule der Schweiz eröffnet.

Frauen haben hier nichts zu suchen.  Es ist, als ob im Barbershop ein Geheimnis gehütet würde, von dem das weibliche Geschlecht nichts wissen darf. Zwei Herren sitzen auf den roten Barbierstühlen, der eine lässt sich rasieren, der andere den Bart stutzen. Sie schauen in die gerahmten Spiegel, die Beine übereinandergeschlagen. Um sie herum liegen Rasiermesser, Rasierschaum, Rasierpinsel. Ihre Kittel, die zu ihren Schuhen passen, hängen in der Garderobe. Sie nippen an einem Whisky und wippen dezent zum 30er-Jahre-Jazz. Es riecht nach Holz und Leder und Aftershave. Man denkt an seinen Grossvater, an eine Zeit, in der Frauen noch keine Hosen trugen, geschweige denn Autos fuhren.


«Der Barbier ist der letzte Ort, an dem Männer noch Männer sein dürfen», sagt Eddine Belaid. Der deutsche Coiffeur, der sich in England zum Masterbarber ausbilden liess, besitzt in der Enge drei spezialisierte Salons, zwei für Frauen – darunter ein reiner Aveda-Farbsalon – und einen für Männer. Und im Juli soll der zweite Barbershop eröffnen. Sein Motto: Geschlechtertrennung. «Sowohl Frauen als auch Männer entspannen sich besser, wenn sie unter sich sind.» Was der Coiffeur für die Damen schon immer war – eine Vertrauensperson, der man alles erzählt –, soll der Barbier für die Herren sein. Diese würden allzu häufig stiefmütterlich behandelt, lediglich kurz zwischendurch mit der Rasiermaschine traktiert, meint Belaid. Dabei hätten auch Männer eine Luxuspflege verdient. Und vor allem einen Rückzugsort, an dem sie alleine sind.


An der Alfred-Escher-Strasse rühren Belaid und sein Team Rasiercreme und heisses Wasser mit einem Dachshaarpinsel zu Schaum, bevor sie zum Messer greifen. Die klassische Nassrasur wird mit kalten und warmen Kompressen ausgeführt, Gesichtsmassage gibts danach auch. Bei der Bartpflege werden Haare gestutzt und Konturen geformt. Zur dreiviertelstündigen Behandlung gehört auch ein Peeling, das abgestorbene Hautzellen entfernt und die Durchblutung fördert. Wie auch eine Feuchtigkeitsmaske, das A und O gegen die Hautalterung. Damit die Gesichtshaare geschmeidig bleiben, kommt schliesslich Öl in den Bart.


Doch das Wichtigste ist für Belaid die Zeit, die hat er nämlich aus dem Barbershop verbannt. Hier sollen Männer geniessen, sich verwöhnen lassen. «Mann gibt viel Geld aus für teure Autos. Wieso nicht auch für den eigenen Körper?» Materielles zählt für Belaid wenig, Geld sei nur ein Mittel, um seine Träume zu verwirklichen. Man könnte ihn als Idealisten bezeichnen oder als einen Coiffeur mit Prinzipien. Er spendet, um die Hungersnot in Ostafrika zu bekämpfen, und benutzt nur ökologischen Strom. «Entschleunigung», das sei das Stichwort.


Er stylte Weltstars
Doch Belaid kennt auch den Zeitdruck. Mit 20 Jahren kam er aus dem 6000-Seelen-Dorf Nattheim in der Nähe von Stuttgart ins grosse Berlin. Das Arbeiterkind hatte bisher nur seine Schwestern frisiert, doch Udo Walz – Deutschlands bekanntester Friseur – nahm ihn unter seine Fittiche. Ab da gehörten Weltstars zu seiner Stammkundschaft. Als diese nach einem 12-Stunden-Flug vor Belaid hinsassen, musste alles bereit sein: Essen, Trinken, Kleider. «Für manchen sind das Allüren, für mich war es selbstverständlich.» Später stylte Belaid Promis für über hundert Events.


Doch der heute 41-Jährige wollte zurück zu den Wurzeln, sein Handwerk wieder ausüben. Nach Berlin wäre für ihn zwar New York das nächste Ziel gewesen. Aber es kam anders: Belaid verliebte sich in Zürich, ein «kleines Berlin», wie er es nennt. 2008 gründete er seinen Aveda-Damensalon, der schon bald aus allen Nähten platzte. Zwei Jahre später kam der Barbershop dazu.


Zu wenig Barbiere
Die Nachfrage im Barbershop war so gross, dass Belaid Mühe hatte, Unterstützung zu finden. «Es fehlen deutschsprachige Barbiere. Und nach der Berufsschule können die Coiffeure kaum rasieren.» Deswegen hat er soeben zusammen mit seinem Masterbarber Alessandro Ermito die erste Barbierschule der Schweiz eröffnet. Belaid erinnert sich daran, wie ihm sein Grossvater mit 14 Jahren sein erstes Rasiermesser in die Hand legte, wie er sich dabei schnitt und auch wie er später mit seinem Vater in Tunesien, seiner zweiten Heimat, den Geruch beim Barbier liebte. Doch in der Schweiz war diese Tradition so gut wie verschwunden. Also besuchte Belaid die International Shave Academy in Nottingham. Danach reiste er durch die ganze Welt, trainierte und sprach mit alten Barbieren, die ihm von einem handgemachten Peeling aus Pfirsichkernen und Quarzsand erzählten.


Um dieses Wissen weiterzugeben, bietet Belaid nun Kurse an, auch für Privatkunden. Er gibt Tipps weiter, wie Mann die Rasur praktisch in den Tagesablauf einbauen kann, etwa mit einem Spiegel unter der Dusche. Oder dass Bartträger täglich Öl und mindestens einmal pro Woche Peeling verwenden sollten.


Bart macht attraktiver
Ob Mann einen Bart tragen soll, hänge von der Gesichtsform, dem Bartwuchs und dem Stil ab. Doch ist es eine Tatsache, dass sich der Barttrend bei jungen Städtern hartnäckig hält. «Man fühlt sich einfach männlicher», meint Belaid. Tatsächlich kam eine Studie der Universität Hamburg zum Schluss, dass sich Männer mit Bart unkonventioneller und männlicher fühlen, ein Drittel der Befragten assoziiert Bartwuchs sogar mit Potenz.


Aber Achtung: Der Bart sollte gepflegt werden. Sieht nämlich der modische, lumbersexuelle Mann (Lumberjack = Holzfäller) zwar rau aus, so darf oder muss er sich genauso viele Cremen einreiben wie der metrosexuelle in der letzten Dekade. Denn schliesslich gehts ja darum, den Frauen zu gefallen. Studien legen nahe: Ein Mann mit behaartem Gesicht wird nicht nur als mächtiger, sondern auch als anziehender wahrgenommen.


Erstes Zürcher Männerbrand
Doch ein Bart kann auch zu Missverständnissen führen. So trägt Belaid nur einen kurzen Ziegenbart. «Ich bin halb Tunesier und reise viel. Wenn ich einen Vollbart hätte, würde man mich an den Flughäfen aufhalten, das wäre lästig.» Er holt nun die kalten Tücher für seine Kunden und spricht über die empfindliche, europäische Haut, die sich leicht entzündet. Durch das Kühlen vermeide er Irritationen.


Belaid will Männern Gutes tun. deswegen lanciert er übernächste Woche auch sein erstes Männerbrand «Traditional Zürich». Die Bartcremen, Bartshampoos, Bartöle, Bartpeelings und Aftershaves sind bis zu 98 Prozent natürlich. «Viele schmieren sich irritierende Produkte ins Gesicht. Das muss nicht sein.» Für die Rezepte hat er drei Jahre lang die Meinungen seiner Kunden gesammelt. Denn jeder weiss, was für ihn selber gut ist.

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